„Promising Young Woman” ist ein Ausnahmefilm
Von Martina Bauer
Gleich die erste Szene des Films lässt das Blut schockartig in den Adern gefrieren, dann kochen. Eine anscheinend sich kaum aufrecht haltend könnende, alkoholisierte Frau im Business-Look wird von Männern an der Bar taxiert. Es fallen Sätzen wie: bringt sich selbst in Gefahr, bittet geradezu...
In einem Post-MeToo-Kino stellt sich diese Konstellation freilich schnell gedreht dar: Cassandra betreibt ein allwöchentliches, nennen wir es, Ritual samt Schauspiel. In Nachtlokalen täuscht sie die vollends Berauschte an, bis irgendwann ein vermeintlich netter Kerl seine Hilfe anbietet. Welche allerdings durchgängig in seiner Wohnung endet wie darin gipfelt, dass Mann die Situation sexuell auszunutzen versucht.
Zeit für Cassie, wie sie kurz genannt wird, zum Vergeltungsschlag auszuholen. Einem heldinnenhaften Racheengel gleich erteilt sie Männern Lektionen, in ihrem Notizbuch findet sich eine lange Zähl-Strichliste.

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Promising Young Woman & Female Revenge Movies: Üblicherweise schickt Hollywood stoische Männer auf Rachefeldzüge, weil deren Ehefrauen oder Töchter Opfer von Gewalt geworden sind. Anlässlich des Filmstarts von „Promising Young Woman“ werfen Pia Reiser und Christian Fuchs einen Blick auf Frauen, die zurückschlagen. Inklusive Filmen wie „Elle“ oder „The Girl With The Dragon Tattoo“.

Focus Features
Traumagetrieben
Treibender Motor hinter Cassies nächtlichen Streifzügen ist die Vergewaltigung ihrer Kindheits- wie besten Freundin Nina. Einst waren beide angehende Ärztinnen. Heute arbeitet Cassie in einem Coffee-Shop, wohnt bei Ma und Pa, ihre Zeit ist irgendwie eingefroren. Ein Umstand, den der Film gut zu visualisieren weiß. Wie er überhaupt ein inszenatorisches Glanzstück ist.
„Promising Young Woman“ lässt sich zwar dem Genre Female Revenge Movie zuordnen, ist aber gleichzeitig Thriller wie Drama. Dazu schieben sich RomCom Elemente ein, da ein Popfeeling, dort eine Portion mal mehr, mal weniger schwarzer Humor. Eine Art Genre-Hybrid mit wendungsreicher Plotline, der immer wieder Erwartungen konterkariert und seinen gelungenen Soundtrack als umrahmendes Stilmittel einzusetzen weiß.
Explizite Gewalttätigkeit zeigt der Film im Übrigen so gut wie nicht, er setzt wenn auf den Kopf, und Cassies Aktionen sind ohnehin weitgehend psychischer nicht physischer Natur.

Focus Features
Ausgezeichnet von Schauspiel bis Drehbuch
Es ist eine Paraderolle für eine großartig-mitnehmende Carey Mulligan, die immer wieder in besonderen Frauenrollen zu sehen ist. Vom quasi Durchbruchs-Film „An Education“ über „Drive“ oder „Suffragette“ oftmals für ihre Darstellungen ausgezeichnet wie gelobt, gab es auch für „Cassie“ eine Oscarnominierung als Beste Schauspielerin.
„The idea of anyone else playing Cassie made me anxious and furious“. (Carey Mulligan)
Gewonnen hat der heuer insgesamt fünffach (unter anderem als Best Picture) nominierte Film letztendlich den Oscar für das Original-Drehbuch, geschrieben von Emerald Fennell, die auch Regie geführt wie mitproduziert hat. „Promising Young Woman“ ist ihr Spielfilm-Debüt. Fennell ist als Schauspielerin übrigens aus „The Crown“ bekannt, sowie Off-Screen bei „Killing Eve“ involviert.

Universal Pictures
Haltung und Haltungen
Rache mag zwar ein schönes Schlagwort sein, aber eigentlich geht es hier um Gerechtigkeit und Wiedergutmachung. Vor allem aber ist „Promising Young Woman“ ein Film über eine traumatisierte Frau und über noch immer herrschende Ansichten, eine gesellschaftliche Kultur sowie über Mitläufer*innen, Seilschaften, ein Wegblicken.
Der Film hantiert neben seinem Kassandra-Verweis auch mit drei Kapiteln bzw. Akten, in denen Cassie einst rund um die Vergewaltigung Involvierte aufsuchen, sie auf unnachahmlich-durchtriebene Art belehren wird. Dazwischen scheint die Liebe, ein Wiederanfang, aufzupoppen, bis die Vergangenheit sie erneut einholt und in ein Grande Finale führt, das Harley-Quinn-Referenzen hat.
Apropos: Margot Robbie und ihre Produktionsfirma sind ebenfalls Mitproduzierende. Wie sich bekannte bis große Namen überhaupt bis in die kleinste Nebenrolle finden. Von Connie Britton, Alison Brie oder Laverne Cox bis zu - durchaus ihrem Image entgegen besetzt - Bo Burnham, Adam Brody, Max Greenfield oder Chris Lowell.
Ein WOW-Film in der Heftigkeit seiner Message wie eben in Cast, Inszenierung, Anordnung. Golden wie jene Herz-Hälfte eines klassischen Freundschaftskettchens, das hier gewissermaßen als Vermächtnis weitergeben wird.

Focus Features
Publiziert am 23.08.2021