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Liars

Clemens Habicht

Das neue Liars Album gleicht einem Wurmloch ins Selbst

Agnus Andrew, der einzige Verbliebene des ursprünglichen Quartetts, begibt sich auf „The Apple Drop“ auf eine Reise durch alle bisherigen Schaffensphasen der Band

Von Natalie Brunner

Vor zwanzig Jahren haben die Liars mit ihrem Debütalbum „They Threw Us All In A Trench And Build A Monument On Top“ die Bühne betreten. Damals waren sie ein Quartett, das in New York residierte und das inmitten des aufblühenden Post-Punk-Revivals ein manisch furioses Album auf die Welt losgelassen hat.

Der Dance Punk, den die Liars damals gemacht haben, begann aber schnell zu mutieren und schon beim zweiten Album „They Were Wrong, So We Drowned" (2004) war das Klangkleid der Band wesentlich sperriger und von Krautrock inspiriert. „They Were Wrong, So We Drowned“ war ein Konzeptalbum, dass sich um Hexenverfolgungen und die Walpurgisnacht dreht.

Cover "The Apple Drop"

MUTE

Auch auf den folgenden sieben Alben machte die Band große musikalische Sprünge. Was auch damit zu tun hat, das die Struktur der Band ständig mutiert hat. Die einzigen Konstanten in der zwei Dekaden umfassenden Geschichte der Liars sind Veränderung, Experimentierfreudigkeit und Angus Andrew, der Sänger und Textschreiber der Liars. Die beiden letzten Liars-Alben, „TFCF“ (2017) und „Titles with the Word Fountain“ (2018), hatte der Bandgründer Angus Andrew schließlich komplett im Alleingang aufgenommen.

Nun ist ein neues Liars Album erschienen „The Apple Drop“. Agnus Andrew ist immer noch das einzige Mitglied der Liars - aber er ist nicht mehr alleine.

„The Apple Drop“, also der Name des neuen, zehnten Albums der Liars, spielt wieder auf einen kolportierten historischen Moment an: Isaac Newton döst unter einem Apfelbaum und entdeckt durch den Sturz der Frucht auf sein wertes Haupt die Schwerkraft. Agnus Andrew erzählt aber auch, dass er sich für Psychedelika und die wissenschaftliche LSD-Kultur der 60er Jahre interessiert hat. The Acid Drop wäre ihm aber zu platt gewesen.

Auf was für eine Art Erkenntnismoment spielt Agnus Andrew also nun an? Hört man sich durch die 11 sinistren Songs des Albums, die zwischen Pop und Avantgarde quasi Rekurs nehmen auf alle bisherigen Schaffensphasen der Band, so könnte man vermuten, dass Agnus Andrew versucht hat, sich einen Weg durch sein inneres Labyrinth zu bahnen. Im Video zu dem Albumvorboten Sekwar sieht man ihn, wie er sich durch eine Art Höhlenlabyrinth wühlt.

Zusätzlich genährt werden meine Spekulationen dadurch, dass er in Interviews erzählt, zum ersten Mal ein Album gemacht zu haben, ohne seine Panik-Attacken mittels Antidepressiva im Zaum zu halten.

Die Perspektive auf sich selbst, das bisherige Schaffen neu zu fassen, den Fokus und die Distanz zu ändern, das alles scheint etwas zu sein, das auf der neuen Liars-Platte wichtig ist. Und also Referenzsystem haben die Liars dann auch gleich das größte mögliche Tableau gewählt: Den Weltraum.

In Interviews spricht Agnus Andrew davon, dass er sich während des Schreibens für Science-Fiction interessiert hat. Er hat sich mit Ideen über Raumfahrt, Wurmlöcher und verschiedene Dimensionen beschäftigt und wissen wollte, was Menschsein im Angesicht dieser großen Zusammenhänge bedeutet. Er wollte „The Apple Drop“ so schreiben, dass es wie ein Drehbuch funktioniert und er sich vorstellen kann, die Hörerinnen durch die Platte zu führen.

Für das zehnte Album Album sind die Liars wieder zu einer Band geworden, Agnus Andrew sich Mitstreiter*innen geholt. Den Jazz-Schlagzeuger Laurence Pike, den Multiinstrumentalisten Cameron Deyell und die Literatin Mary Pearson - die auch seine Ehefrau ist.

The Apple Drop ist eine erschreckende, faszinierende und gleichzeitig beruhigende Reise, während der das Größte und das Kleinste, das Nächste und das Fernste, das Innerste und das Äußerte ineinander kollabieren.

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