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„Gib mir mal die Hautfarbe“: Antirassismus für die Kleinsten

Ein Jahr nach Black Lives Matter rückt Erziehung in den Fokus. Hier beginnt die Idee einer antirassistischen Gesellschaft. Olaolu Fajembola und Tebogo Nimindé-Dundadengar betreiben einen Webshop mit Kinderprodukten mit ethnisch-diverser Repräsentation. Jetzt haben sie dazu auch einen Elternratgeber geschrieben.

Von Franziska Schwarz

Gibt es ein “zu jung” für eine Auseinandersetzung mit Rassismus? Nein, lautet die Antwort von Olaolu Fajembola und Tebogo Nimindé-Dundadengar. Wer im Internet nach Kinderprodukten mit ethnisch-diverser Repräsentation sucht, stößt schnell auf den Online-Shop der zwei Neo-Autorinnen. Zu antirassistischen Inhalten für Kinder gibt es in deutschsprachigen Raum nur ein eingeschränktes Angebot für Eltern; das ändert sich mit „Gib mir mal die Hautfarbe“, das am 18. August im Beltz-Verlag erschienen ist.

Mit „Gib mir mal die Hautfarbe“ haben die Autorinnen einen Elternratgeber bezogen auf Rassismus im deutschsprachigen Raum geschrieben. Das ist ein Gamechanger, denn bis jetzt gab es diese Art von Buch nicht. In deutschsprachigen Kinderbüchern wird Rassismus meistens anderswo verortet: Oft in den USA, Stichwort Rosa Parks, aber nicht in Österreich oder Deutschland - wo es ihn aber natürlich ebenso gibt.

Olaolu Fajembola und Tebogo Nimindé-Dundadengar

Christina Salgar

Olaolu Fajembola und Tebogo Nimindé-Dundadengar

Was als „Hautfarbe“ gilt, hängt von der eigenen Sozialisierung ab. Was ist normal? Weiß, schwarz, rosa? Ähnlich verhält es sich mit der Reflexion der eigenen Position im System Rassismus: Muss ich mich gezwungenermaßen mit Rassismus beschäftigen, weil ich betroffen bin, als (Bi)Poc (Black, Indigenous and People of Color), oder falle ich in die Kategorie weiß* und habe damit auch viel eher die Möglichkeit, wegzuschauen?

* Schwarz als politischer Begriff wird in „Gib mir mal die Hautfarbe“ nach May Ayim groß geschrieben – denn diese Zuschreibung beschreibt kein Merkmal eines Menschen, sondern eine konstruierte, soziale Kategorie. Entsprechend wird weiß als Konstrukt klein und kursiv geschrieben.

Für (Bi)PoC und weiße

Mit der eigenen Rolle im System Rasissmus sollte sich im Idealfall jede Person auseinandersetzen, so Olaolu Fajembola und Tebogo Nimindé-Dundadengar. Für weiße Eltern wurde 2020 viel publiziert. „Gib mir mal die Hautfarbe“ richtet sich auch an PoC-Eltern, vor allem BiPoC, da die Autorinnen hier am meisten aus ihren eigenen Erfahrungen teilen können.

„Wir wollten unbedingt auch unsere eigene Community – also auch unsere Schwarzen MitbürgerInnen – ansprechen. Wir wollten klarmachen, dass sie eine Expertise haben, dass auch sie Anleitungen benötigen, wie sie mit ihren Kindern sprechen, aber dass auch ein ganz anderer Wissensvorsprung da ist."

Auch wenn man glaubt, sich bereits mit Rassismus auseinandergesetzt zu haben: Antirassismus ist kein Zustand, es ist eine Praxis, deren Diskurs sich laufend verändert.

Cover "Gib mit bitte mal die Hautfarbe"

BELTZ

„Gib mir mal die Hautfarbe“ von Olaolu Fajembola und Tebogo Nimindé-Dundadengar ist bei BELTZ erschienen.

Erklärt werden Begriffe wie „Afrodeutsch“, „Schwarz“* oder „Bindestrich-Identitäten“. „Gib mir mal die Hautfarbe“ bietet einen Überblick über Selbst- und Fremdzuschreibungen und Begriffe, die man 2021 weglassen sollte. Sei es, weil sie veraltet, rassistisch oder klar abwertend sind. Beantwortet werden Fragen, die Betroffene oft müde sind zu hören: So zum Beispiel, warum man das N-Wort nicht verwenden soll.

Viele Fragen, viele Antworten

„Gib mir mal die Hautfarbe“ punktet mit konkreten Handlungstipps, Erklärungen, einem Glossar und einem antirassistischen Wörterbuch. Es gibt Tipps zu Produkten und Empfehlungen der Autorinnen zu Serien, Büchern und Puppen. In Kapiteln wie „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen ... Best-of rassistischer Äußerungen“ werden oftmals gehörte Einsprüche des weißen Publikums detailliert auseinandergenommen.

„Bitte rechtfertige eine persönliche oder private Erfahrung und Beziehung zu einer marginalisierten Person nicht, um alle Schwarzen Menschen mit einem problematischen Begriff zu bezeichnen. […]
Jeder Mensch kann sich so benennen, wie er möchte. Wenn du unsicher bist, wie du dein Gegenüber bezeichnen sollst, dann frag die Person. Und überleg dir schon vorher, warum die Bezeichnung in dem Kontext überhaupt wichtig ist.“

Für ein Sachbuch ist der Text überraschend nah an den persönlichen Erfahrungen der Autorinnen. So wird erzählt vom Kindergarten 1985: Da spielten die Autorinnen mit den anderen Kindern „Wer hat Angst vorm Schwarzen Mann“ und beide wollten wirklich davonlaufen.

„Rassistische Praktiken gehörten in unserer Kindheit so selbstverständlich zum Alltag, dass wir nicht verbalisieren konnten, was da eigentlich passierte; doch es gab dieses bedrückende Gefühl.“

Um Wissen über Rassismus weiterzugeben, müssen Erwachsene besser informiert sein als Kinder. Hier setzt „Gib mir mal die Hautfarbe“ an. Das Buch bietet einen kurzweiligen, aber doch sehr umfassenden Überblick über ein leider noch immer brandaktuelles Thema.

„Heute finden wir Worte für die rassistischen Erfahrungen, die wir in unserer Kindheit gemacht haben. Wir blicken zurück und können einige Episoden in einem anderen Licht deuten. Viel wichtiger ist jedoch: Wir blicken auf unsere Kinder und damit auf die Gegenwart und in die Zukunft.“

Lieber Buch als Slide-Share-Posting

2021 ist es beinahe ungewöhnlich für Online-Edukatorinnen, ein physisches Buch zu publizieren. Denn damit entscheidet man sich gegen die auf Instagram beliebten, aber sehr kurzlebigen Slide-Share-Postings.

„Der Slide von gestern interessiert heute kaum noch jemanden und auch der Umfang ist natürlich sehr gering. Eine Caption ist nicht besonders lang, da lässt sich nicht viel schreiben. Und wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich oft aus Slides mehr Fragen ergeben haben. Der Vorteil an einem Buch ist, dass es wesentlich umfangreicher und tiefgründiger ist und natürlich auch nachhaltiger. Es ist viel einfacher, nochmal nachzuschauen und das Buch aus dem Regal zu nehmen. Dabei findet auch eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Thema statt,“ so Olaolu Fajembola und Tebogo Nimindé-Dundadengar im Interview.

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