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Villagers und sein neues Album "Fever Dreams"

Rich Gilligan

Villagers und „Fever Dreams“

Der irische Songwriter Conor O’Brien veröffentlicht mit seiner Band Villagers ein unglaublich reiches und vielgestaltiges Album zwischen Sanftmut und Chaos.

Von Christian Lehner

Der Name ist ein kleiner Witz. Villagers nennt Conor O‘Brien sein Musikprojekt. Der Songwriter aus Dublin betreibt es seit 11 Jahren. Doch der Plural, den das „s“ im Namen bezeichnet, ist nur selten ins Spiel gekommen. O’Brien schrieb, arrangierte und produzierte seine Musik bisher überwiegend allein. Ein Gast hier, eine gemeinsame Aufnahme da, waren in der Vergangenheit eher die Ausnahme von der Regel. Der Dorfbewohner blieb unter sich.

Das letzte Villagers-Album „Pretending To Swim“ markierte den Höhepunkt dieser künstlerischen Autonomie. O’Brien richtete in seiner Wohnung ein kleines Tonstudio ein und schloss die Tür hinter sich. Die Welt musste draußen bleiben. Doch je einsamer die Produktionsbedingungen, desto reichhaltiger wurde die Musik. Mit „Pretending To Swim“ hielt die Elektronik Einzug in den Musikkosmos der Villagers. O‘Brien bewegte sein Projekt weg vom zerbrechlichen Indie-Folk hin zum Pop mit Überschwang.

Das fünfte Villagers Album „Fever Dreams“ setzt diesen Weg fort, doch Conor O‘Brien hat sich aus seiner Selbstisolation gelöst und das Album in mehreren Sessions mit seinen Villagers eingespielt. Ganz in echt. Das „s“ im Namen ist nun kein Witz mehr. Im Dorf tummeln sich zahlreiche Bewohner*Innen.

Sanftmut und Chaos

„Da gibt es keinen Weg zurück“, sagt Conor O’Brien im Video-Chat. „Mir ist erst mit diesem Album klar geworden, dass die Magie der Musik im gemeinsamen Schaffen liegt. Das hat eine soziale Komponente, die ich nicht mehr missen möchte.“

Diese Gruppendynamik hört man dem Album an - so viele Ideen und überbordende Emotionen stecken in den Songs und Arrangements. Villagers schütten auf “Fever Dreams” ein Füllhorn an Musik über uns aus. Klaviermelodien und Trompeten-Schlieren, Vintage-Megafone, zirpende Synthesizer und aufbrausende E-Gitarren wandeln zwischen Balladen und Sound-Orgien.

Villagers und sein neues Album "Fever Dreams"

Rich Gilligan

Zum Folk-Pop kommt nun eine Formen dehnende Psychedelic und eine nicht zu unterschätzende Brise Free-Jazz. Den Blue Eyed Soul hat O’Brien ohnehin drauf. Sanftmut und Chaos vertragen sich dabei überraschend gut. Und obwohl die Musik von Villagers unter Indie-Pop firmiert, hat dieses Haus sehr viele verschiedene Musikzimmer. Für die Aufnahmen hat der Multiinstrumentalist sein Trompetenspiel aufgefrischt und Flügelhorn dazugelernt.

„Wir wollten sensationelle Momente schaffen, uns ins Delirium spielen, Spaß haben, Träume als Projektionen in die Zukunft deuten“, so Conor O’Brien.
Die Zeit der Narrative und Bekenner-Alben scheint vorerst vorbei, das Kribbeln im Bauch rules. Belege dafür sind die schwärmerischen Singles „So Simpatico“ und „The First Day“.

“Hey, kid, now you’re part of a team
In a new kind of a colourful dream and there’s
A whole world in the palm of your hand
’Cause a dreamer gives what a dreamer can.”

Mit „Fever Dreams“ wollte Conor O’Brien ein Werk schaffen, dass den persönlichen Austausch zwischen Menschen in den Vordergrund rückt. Das war ihm bereits vor Corona ein Anliegen. Weniger Bildschirme, mehr direkter Kontakt – das gilt auch für die Kultur. O‘Brien selbst hat eine Zeit lang nur Bücher gelesen, die vor der Ausbreitung des Internets geschrieben wurden. Dabei geht es dem Iren weniger um die Entfremdungseffekte der Digitalisierung, sondern um die Art, wie Social Media und Co. unser Denken und die Wahrnehmung von Kunst und der Welt im Allgemeinen verändern.

Fieberträume statt Social Media Nightmares

„Das Album feiert die Nuancen und das Komplizierte am Leben, die Aspekte, die nicht skalierbar sind, den Umstand, das Gut und Böse in uns allen stecken und miteinander verschwimmen“ so O’Brien. „Wir stehen erst am Anfang des Internetzeitalters, aber derzeit gibt es eine starke Tendenz hin zum binären Denken und zum Stammeswesen. Du bist entweder für oder gegen etwas. Und du musst dich tagtäglich bekennen, bis du zu deinem eigenen brand wirst. Im besten Fall stimulieren Kunst und Literatur die Neugierde auf eine vielschichtige, uneindeutige und komplizierte Welt.“

Villagers und sein neues Album "Fever Dreams"

Domino

„Fever Dreams“ von Villagers ist auf Dominor Records erschienen. Hier geht es zum Interview-Podcast mit Conor O’Brien.

Mit dem Album „Darling Arithmetic“ (2015) und seinen Songs über das Aufwachsen als schwules Kid im katholischen Irland, wurde Conor O’Brien für viele Fans eine Empowerment-Ikone. Seither wird er medial nicht selten als „gay singer-songwriter“ vorgestellt. Von der Reduzierung auf die identitätspolitischen Aspekte seiner künstlerischen Person hält der Villagers-Vorstand allerdings nicht sehr viel.

„Ich bin das ja alles! Aber ich habe dennoch überhaupt keine Lust, von irgendwelchen Leuten für irgendwelche Fragen der Identität und sexuellen Veranlagung vereinnahmt zu werden“, sagt Conor O’Brien. „Das Ding der Gleichberechtigung homosexueller Menschen war doch immer, dass man eben nicht mehr darüber reden und es extra betonen muss. Ich glaube, auch hier spielen branding und auch Narzissmus mittlerweile eine große Rolle.“

Ganz die Finger vom Digitalen konnte Conor O’Brien doch nicht lassen. Das Album wurde bereits vor Corona eingespielt – die letzte Session fand den letzten Tag vor dem ersten Lockdown statt. Conor nutzte die Zeit der sozialen Isolation für die Nachbearbeitung. Er zog einen neue Ebene in den Sound ein. Viele Songs haben jetzt an manchen Stellen schwere Beine. Die Musik klingt wie eine ausgeleierte Musikkassette, oder als hätte man sie am Grund des Meeres aufgenommen. Der Effekt erinnert an das künstlerische Konzept der Hauntology. In den Nullerjahren simulierten Produzenten wie Burial und Oneohtrix Point Never mittels Verzerrungen und Verwaschungen im Sound Zeit- und Erinnerungsbrüche.

„Das Album spielt mit Träumen und mit verschiedenen Zeitebenen. Ein Gefühlszustand kann 100 Jahre oder eine halbe Sekunde andauern und in nur einem Song kann sich beides entfalten.“

„Fever Dreams“ liefert, was der Titel verspricht. Am Ende eines Traums stehen oft ernüchternde oder rauschhafte Gefühlszustände. Die Erinnerung löst sich in Fragmente auf, die man festhalten oder abstoßen möchte, aber nicht kann. Nur langsam kehrt die Gegenwart zurück. Wie so oft im Pop wird der Augenblick zum magischen Moment.

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