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Montage von Filmstills aus "The Green Knight" und "Father"

Constantin Film/Filmladen/A24 Montage FM4

Wenn sich Realitäten verschieben: „The Father“ & „The Green Knight“

Ein Familiendrama und ein Fantasy-Epos der anderen Art: Zwei sehr konträre Filme befassen sich auf ihre Weise mit Veränderungen des Bewusstseins.

Von Christian Fuchs

Eine Wohnung als einziger Schauplatz, eine Handvoll Schauspieler, ganz viel Dialog: Das klingt mehr nach Theater als nach großem Kino. Tatsächlich hat der französische Bühnenautor Florian Zeller sein eigenes Erfolgsstück „The Father“ für die Leinwand adaptiert. Wer jetzt aber an ein sprödes Kammerspiel denkt, liegt falsch.

Zeller ist ein filmisches Meisterstück gelungen, das sich von der Theatervorlage emanzipiert. Wir verfolgen den Alltag des 80-jährigen Anthony in einer gutbürgerlichen Londoner Wohnung. Wieder einmal ist die Stimmung angespannt zwischen dem alten Mann und seiner Tochter. Anne will mit ihrem Ehegatten nach Paris ziehen und ihren Vater einer Pflegerin überlassen. Er habe alles unter Kontrolle, versichert Anthony im Gespräch - und wirkt gleichzeitig hochgradig irritiert.

Die Verunsicherung des Vaters springt bald auf uns Zuseher*innen über. Denn eines Morgens steht da eine andere Frau in dem Apartment, die sich scheinbar als seine Tochter ausgibt. Auch deren Ehemann wirkt auf einmal fremdartig. „The Father“ ist aus der Perspektive des Protagonisten erzählt. Und wenn Anthony Schübe schwerer Demenz erleidet, verlieren wir mit ihm die Orientierung.

Filmstills aus "The Father" mit Anthony Hopkins

Constantin Film

Körperliche Performance ohne Eitelkeit

Und so verschieben sich, durch eigentlich simple filmische Mittel, die Realitäten immer verstörender. „The Father“ verwandelt sich schrittweise in eine Art Horrorfilm. Mit dem psychischen Verfall der Titelfigur transformieren sich auch der Raum, die Möbel, die Dialoge.

Doppelt beklemmend wird die Inszenierung durch die Darsteller*innen. Olivia Colman als Tochter, Rufus Sewell als deren Gatte oder Imogen Poots in der Rolle einer Krankenschwester machen die Verzweiflung im Umgang mit dem alten Mann spürbar. Es ist aber der einmalige Anthony Hopkins, der uns zum Weinen bringt. Seine körperliche Performance, die ihm zu Recht den Oscar einbrachte, kommt ohne einen Hauch schauspielerischer Eitelkeit aus.

„Warum soll ich mir aber so einen deprimierenden Film anschauen?“, fragte mich dennoch ein Freund, nicht ganz unverständlich. Meine Antwort: Wegen Anthony Hopkins. Weil an dem Thema niemand vorbeikommt, ob es um enge Verwandte oder den Blick in die eigene Zukunft geht. Weil „The Father“ sehr berührend ist, aber rührseligen Kitsch vermeidet. Weil Florian Zeller virtuos auf engem Raum Spannung erzeugt. „The Father“ ist ein Pflichtfilm, dem man sich stellen sollte.

Filmstills aus "The Father" mit Anthony Hopkins

Constantin Film

Eine höchst dramatische Vereinbarung

Von dem kargen Familiendrama einen Übergang zu einem pittoresken Historienepos zu finden, ist gar nicht leicht. Aber „The Green Knight“ hat bei aller Gegensätzlichkeit doch etwas mit „The Father“ gemeinsam. Die Figuren in beiden Filmen entgleiten allmählich der Wirklichkeit, wir im Publikum werden in diese veränderten Bewusstseinszustände hineingezogen.

Wer noch nie vom Ritter Gawain gehört hat, muss sich nicht unbedingt genieren. Die Figur ist wirklich nur Kennern der Sagenwelt rund um König Artus und seiner Tafelrunde vertraut. Dank dem US-Regisseur David Lowery wird Gawain aber nun zu einem mythischen Charakter des Gegenwartskinos.

Die ziemlich bizarre Story beginnt mit einer höchst dramatischen Vereinbarung. Ausgerechnet zu Weihnachten erscheint am Königshof in Camelot ein mysteriöser Gast. Der grüne Ritter, halb Mensch, halb Baum, fordert die anwesenden Männer heraus. Sein Gegner darf im Duell den ersten Schlag ausführen, muss jedoch ein Jahr später den exakt selben Hieb hinnehmen.

Filmstill aus "The Green Knight"

Filmladen/A24

Psychedelisches Roadmovie

Es ist der junge Gawain, der den Pakt annimmt, blitzschnell enthauptet er den grünen Ritter. Als das übernatürliche Wesen aber wieder aufsteht, mit dem eigenen Kopf unterm Arm, hat der Bursche ein Problem. In 12 Monaten muss auch er seinen Schädel hinhalten.

Man könnte diesen Plot als plakatives und kassenträchtiges Fantasy-Abenteuer inszenieren. Aber der US-Regisseur David Lowery ist für ungewöhnliche filmische Zugänge bekannt. Vor allem lässt er sich nicht auf einen eindeutigen Stil festlegen. Filme wie das existentialistische Drama „A Ghost Story“, das Animationsmärchen „Pete’s Dragon“ oder der Altherren-Krimi „The Old Man & The Gun“ begeistern auf ganz unterschiedliche Weise.

Jetzt verpackt Lowery die Geschichte des unglücklichen Gawain in ein elegisches Kino-Kunstwerk, das in seinem Verlauf immer mehr einem Fiebertraum ähnelt. In langsamen Einstellungen entfaltet sich das Schicksal des Todgeweihten in diesem psychedelischen Roadmovie.

Filmstill aus "The Green Knight"

Filmladen/A24

Betörende Bilder, intensive Farben

Wenn Gawain durch geheimnisvolle Wälder reitet oder über blutige Schlachtfelder wandert, flackert der Einfluss von Leinwandradikalen wie Andrei Tarkowski oder Alejandro Jodorowsky auf. David Lowery bedient sich aber auch einer gewissen Pop-Ästhetik, die man mit dem hippen Produktionsstudio A24 assoziiert.

Inmitten der magischen Landschaften voller gefährlicher und surrealer Begegnungen - ein sprechender Fuchs und eine Gegend voller stummer Riesen wirken besonders eindrucksvoll - ist auch Platz für tolles Schauspiel. Der junge Ritter, in früheren Verfilmungen als nobler Recke angelegt, wird von Dev Patel als melancholischer Slacker dargestellt, weit weg von klassischen Konstruktionen von Männlichkeit.

Filmstill aus "The Green Knight"

Filmladen/A24

Die stets charismatische Alicia Vikander schlüpft gleich in zwei zentrale Frauenfiguren, Joel Edgerton und Sarita Choudhury funkeln in kleineren Auftritten. Der wahre Star des Films ist aber Kameramann Andrew Droz Palermo. Seine betörenden Bilder voller intensivster Farben machen diese (Anti-) Heldenreise ins Arthouse-Reich unbedingt sehenswert.

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