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schwarzer Pfeffer in einer länglichen Schale

Grigorijkalyuzhnyj/Pixabay

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Tränen trocknen mit Petersilie

Vom Essen, Weinen und Lachen an der reichgedeckten bulgarischen Tafel, und warum Petersilie gut gegen Tränen ist.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Bernd weinte. Er saß am Ende der Bank am Tisch und seine Tränen flossen ohne Unterlass. Die restlichen Leute am Tisch hörten langsam zum Reden auf und einer nach dem anderen schauten sie ihm zu. Am Tisch herrschte Stille, man hörte nur, wie Bernd gerade weint. Seine Tränen flossen wie der Brunnen am Schwarzenbergplatz. Die anderen Menschen am Tisch fingen an zu raten, warum Bernd wohl gerade weinte. Sie sprachen alle Bulgarisch und Bernd als Österreicher verstand kein Wort. Die meisten meinten, dass Bernd zu viel Rakija gehabt hatte und dadurch sentimental geworden sei. Der Onkel der Gastgeber erzählte, dass er, wenn er ein bisschen mehr getrunken habe, an die erste Frau seines Lebens denke. Damals war er so betrunken gewesen, dass er es nicht geschafft hatte, sie zu beeindrucken und sie ihn für immer verlassen habe. Wenn er jetzt daran denke, müsse er immer weinen. Ganz ohne Mitleid mit dem Onkel lachten alle über ihn. Alle am Tisch hatten Mitleid mit Bernd und lachten über den Onkel. Der Onkel lachte am meisten. Bernd hingegen schaute in die lachenden Gesichter der anderen und weinte doppelt so sehr.

Die Oma der Gastgeber war besorgt, dass der Grund für Bernds Tränen die Menge des schwarzen Pfeffers in der Köfte sein könnte. In ihrem Rezept aß man Köfte mit viel Pfeffer, vielleicht aß man es in Österreich anders? Was wäre, wenn der Bub allergisch auf Pfeffer war? Sie stand auf und rannte in den Garten, denn sie meinte, dass frische Petersilie am besten die Folgen von schwarzem Pfeffer bekämpfe.

Salat

pastel100/pixabay

Während sie Petersilie pflückte, meinte die Mutter der Gastgeber, dass Bernd weine, weil er einsam sei. Er sei ja ein Ausländer in einem Land, wo er die Sprache nicht verstehe und die meisten seine Sprache nicht verstünden. Sie kenne dieses Gefühl daher, als sie ihre Tochter in Neuseeland besucht habe. Sie musste dorthin fliegen und das Flugzeug war voll mit Menschen aus unterschiedlichen Ländern. Sie hätten alle während des Fluges geschlafen und die Mutter fühlte sich wie im Zauberland. Sie wollte fliehen, aber wohin kann man auf 11.000 Meter Höhe fliehen? In diesem Moment stellte sie fest, dass sie niemals Astronautin werden könnte. Man würde sie auch nicht in eine Raumstation einladen, denn für ihr Gewicht brauche die Rakete extra Raketensprit. Diese Geschichte über die Einsamkeit der Mutter löste wieder Gelächter aus, was den weinenden Bernd noch komischer aussehen ließ.

Endlich fragte der Gastgeber Bernd in seiner Sprache, was das Problem sei. Bernd deutete um sich herum: der Tisch voll mit Salaten (Bernd aß zum ersten Mal so köstliche Tomaten), mit duftender Köfte und mit eiskalter Rakija. Er zeigte auf die Menschen, die ihn mit einem Lächeln ansahen. Bernd erzählte, dass er zum ersten Mal so viel gute Energie an einem Ort erlebe. Zuhause müsste er sich, wenn er seine Mutter besucht, selbst ein Sandwich mitbringen. Nur zu Weihnachten koche seine Mutter für ihn, er müsse aber die Zutaten dafür selber zahlen. Er sähe zum ersten Mal fremde Menschen, die sich so gut um ihn kümmern. Der Gastgeber versuchte ihm zu erklären, dass das hier normal sei. Bernd war zufrieden. Bis die Oma mit der Petersilie zurückgekommen war, hatte sein Weinen aufgehört.

Ob sich Bernd heute noch daran erinnert? Oder lebt er weiter in der kosmischen Einsamkeit der Mutter? Und ob er seiner Mutter davon erzählt hat?

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