FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Drangsal

Drangsal

Drangsal und „Exit Strategy“: Das Spaghetti Bolognese-Album

Drangsal hat mit „Exit Strategy“ ein ganz fabelhaftes Pop-Metal-Punk-Schlager-Album zwischen Introspektion und Spaß an der Sache geschrieben.

Von Christoph Sepin

„Ich würd mir wünschen, dass jede Drangsal-Platte ein eigenes kleines Haus in einer Reihensiedlung ist...", erzählt ein wie immer gut gelaunter Max Gruber aka Wolfgang Miesepetry aka Dr. Angsal aka Drangsal über seine Alben, "... das vom selben Architekten gebaut wurde, aber immer in einem anderen Stil eingerichtet ist. Aber es finden sich durchaus Elemente der anderen Häuser in diesem.“

Mehr Visualisierungen? Vielleicht sogar kulinarische? Klaro: Wären Drangsal-Platten Speisen, dann wäre das Debüt-Album „Harieschaim“ aus dem Jahr 2016 blanker Reis: „Weil ich zu der Zeit kein Geld hatte und fast nur Reis gegessen hab“. Album Nr. 2 „Zores“ wäre in Bezug auf den manchmal bei Drangsal-Shows gezeigten Kurzfilm „Das Weißwurstessen“ eben eine Weißwurst. Und „Exit Strategy“, das gerade erschienene, dritte Album? „Spaghetti Bolognese.“

Das geht sich alles gut so aus: eine Feel-Good-Mahlzeit, eben; eine, mit der man auch spielen kann; die man so richtig mit der Gabel durchmixen kann, die dann auch ein bisschen ekelig ausschauen darf, aber gut schmeckt.

Für Platte Nummer 3 gibt sich Max Gruber offensichtlich komplette kreative Freiheit: „Ich hatte diesmal wirklich kein Credo oder so. Außer, dass ich simple, ja, fast dumme Musik machen möchte, die Spaß macht. Und das hat sich dann bei mir so amplifiziert, wie das oft ist. Dass, wenn man sich einmal ’Oh-Eh-Oh" getraut hat, dass man dann so ist: Boah, jetzt übertreib ich’s auch.“

Und „Oh-Eh-Oh“-Momente gibt’s einige auf dieser Platte zwischen Pop und Punk und Metal und Schlager, aber dazwischen auch Schauplätze der Introspektion und vielleicht Drangsals bis jetzt selbstreflektivste Textzeilen: „Hab ich das gesagt? Ist mir längst egal“, singt Max Gruber bereits im Opening-Song „Escape Fantasy“ (ein aktuelles, weil so schön relatable, Lieblingslied). „Baby, ich weiß doch gar nicht wer ich bin!“ Und im Hintergrund die Gitarren wie von Johnny Marr und Atmosphäre und Bässe aus dem Synthesizer.

„Oh, Baby, ich weiß doch gar nicht, wer ich bin“, zitiert sich Max Gruber selbst im Interview. „Ich glaube, das hört man auf der Platte auch ganz gut. Und ich will’s auch gar nicht wissen, vielleicht“. Er wolle immer alles machen, so Drangsal. Am besten gleichzeitig. Und schnell. Mit möglichst wenig Platz zwischen Kick und Snare. „Dass man halt so viel Krach macht, dass man seine eigenen Gedanken nicht mehr hören kann“.

Wie aus dem Bub ein Biest wurde

Als Drangsal hat Verkleidungs- und Wrestlingfreund Max Gruber immer einige Masken getragen, eine teuflische davon blickt uns schon vom Albumcover von „Exit Strategy“ entgegen. „So wurde aus dem Bub ein Biest, ich erinner mich ganz genau“, dazu die passende Songzeile. Aber dann auch ganz viele andere Facetten: Titeltrack „Exit Strategy“ als Lied gegen Einsamkeit und für Durchhaltekraft, „Mädchen sind die schönsten Jungs“ gegen Heteronormativität und das binäre Komplott und ein Highlight der Song „Ich bin nicht so schön wie du“ mit der Zeile „Ich bin so wie ich bin, besser du nimmst das jetzt hin, denn anders wird’s mich nicht geben“.

Eine Zeile, die man missverstehen kann: „Ich mag ‚Ich bin so wie ich bin und du nimmst das jetzt hin‘, weil ich sehr oft Streit hatte in meinem Leben mit Personen, die das als Argument benutzt haben, um ihr Scheißverhalten zu rechtfertigen. Und ich war auch lange so. Und ich find den Refrain so lustig, weil die Leute den so empowering hören. Ich find ‚Ich bin so wie ich bin‘ eine sehr billige, Achtung, ‚Exit Strategy‘!!“ Fabelhaft, das alles.

Noch ein bisschen Provokation

Drangsal ist heutzutage nicht mehr so konfrontativ, wie noch vor einigen Jahren, aber ein bisschen Provokation wird wohl immer in der Musik bleiben: „Ich mag das halt, dass man so stichelt mit der Musik“. Aber die Wut richte sich mittlerweile nach innen und er suche andere Wege, um auf musikalische Art und Weise, Leute ein bisschen zu foppen. Und dann entstehen solche goldenen Textzeilen, wie „Alles geht zu Bruch, Herz und Nasen, Freundschaft, Vasen, nur ein Lied geht niemals kaputt“.

Genau hinhören will man auch wenn die Zeile „Wir ignorieren gekonnt Warnsignale beim Freudentanz entlang der Abwärtsspirale“ auftaucht. Ja, Abwärtsspirale passt sehr gut, denn irgendwie fühlt sich „Exit Strategy“ an, wie Drangsals Version des NIN-Albums „Downward Spiral“. Ein irgendwie Konzeptalbum über die Reise eines Autoren-Ichs durch verschiedene Szenarien, Emotionen, Ups und Downs. Liebe und Hass, Selbsttherapie, Selbstakzeptanz.

„Ich bin nicht so jemand, der supergerne mit Freund*innen über meine Probleme spricht. Weil ich hab das Gefühl, wenn ich selber die schon in meinem Kopf so durchdenken muss, dann will ich nicht nochmal immer den selben Weg betreten. Und dann ist Musik doch auch Therapie. Und das ist für mich immer schon so gewesen, dass es halt der Katalysator ist, dass es raus muss und in irgendwas verwandelt werden muss, was mich weniger abfucked als der Initialgedanke.“

Ein Tag auf dem Rummel

Vor allem aber soll dieses Album Spaß machen: „Ich mach’ die Musik, weil sie mir gefällt. Ich freu mich über jede Person, der es auch so geht. That’s all! Wenn ich Metal machen will und Schlager machen will, dann mach’ ich halt Metal-Schlager. Ich mach’ halt alles die ganze Zeit. Und dann das eine mal mehr, dann das andere mal mehr.“

„Exit Strategy“ ist ein Drangsal-Album durch und durch und es ist ein sehr gutes. Und macht, wie erhofft, Spaß. Es ist vielseitig, es ist voll, typisch für Max Gruber-Musik, mit klassischen Hooks, mit akustischen Referenzen auf die Geschichte von Pop, Post-Punk, Metal und alles andere auch. Es provoziert an den richtigen Ecken und wird wohl auch einige Leute fürchterlich aufregen, was ja spitze ist.

Und alles dreht sich so dahin: „Es wirkt so ein bisschen wie ein Tag auf dem Rummel, das Album“, sagt Drangsal abschließend dazu. „Und ich finde auch, dass es wie so ein Kreislauf ist. Es geht dann einfach wieder von vorne los, das kann ein Tag sein, eine Woche oder ein Jahr.“ Also vielleicht doch Jahrmarktsessen als kulinarische Metapher, statt der Spaghetti Bolognese? Hot Dogs und Zuckerwatte? Max Gruber lacht: „Boah, ich krieg jetzt schon Bauchschmerzen.“

mehr Musik:

Aktuell: