FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Autorin Didi Drobna in einer Ruine der alten Munitionsfabrik im Hirtenberger Wald

Barbara Wirl

„Was bei uns bleibt“: Wenn sich Erinnerungen in die DNA einbrennen

Je älter Protagonistin Klara wird, desto mehr kommen die Erinnerungen aus ihrer Jugend hoch, als sie während des Zweiten Weltkriegs als Patronenfrau Munition herstellte. Autorin Didi Drobna stellt in „Was bei uns bleibt“ die Frage, was die eigenen Nachkommen wissen müssen, um sich selbst besser zu kennen.

Von Lena Raffetseder

Klara ist über 80, lebt mit ihrem mittlerweile erwachsenen Enkel Luis auf einem Hof und blickt im Alter auf ihr Leben zurück. Je mehr sie ihr eigenes Ende kommen spürt, desto schneller holen sie Erinnerungen aus ihrer Jugend ein. Vor allem Erinnerungen vom Zweiten Weltkrieg, die sie nie mit ihrem Enkel besprochen hat. „Sie realisiert, dass es eben Geschichten gibt, die noch nicht erzählt wurden und sie versteht, dass sie diese Dinge auch einmal aussprechen muss, weil sie über ihr Leben hinaus reichen,“ beschreibt Autorin Didi Drobna die Prämisse von „Was bei uns bleibt.“

Cover von "Was bei uns bleibt"

Piper

Didi Drobna wurde 1988 in Bratislava geboren und lebt seit 1991 in Wien. „Was bei uns bleibt“ (Piper, 256 Seiten) ist nach „Zwischen Schaumstoff“ (2014) und „Als die Kirche den Fluss überquerte“ (2018) Drobnas dritter Roman.

2012 hat Didi Drobna beim FM4 Wortlaut Wettbewerb den dritten Platz belegt.

Während Luis damit beschäftigt ist, das alte Bauernhaus in Stand zu halten und seine Großmutter zu pflegen, denkt Klara immer öfter an Hirtenberg. Dort hat sie im Krieg als „Patronenfrau“ in einer unterirdischen Munitionsfabrik gearbeitet und mit rund 3000 anderen – vor allem – Frauen, in den Hoch-Zeiten der Fabrik bis zu eine Million Patronen am Tag produziert.

Österreichische Geschichte „vergammelt“ im Wald

Das niederösterreichische Hirtenberg liegt südlich von Wien, wirklich bekannt ist die Geschichte der Fabrik einer breiten Masse aber nicht. Auch für Autorin Drobna war sie neu: „Hirtenberg ist ein paar Kilometer südlich von Wien. Es war die größte Munitionsfabrik Mitteleuropas im Ersten und im Zweiten Weltkrieg. Und ich hatte noch nie davon gehört. Ich bin dann ein bisschen wie Alice im Wunderland ins Kaninchenloch gefallen, weil ich immer weiter recherchiert hab.“

Drobna hat in Archiven der Hirtenberg Holding – die erst 2019 die Munitionssparte verkauft hat – recherchiert. Sie hat mit Zeitzeug*innen in Österreich und der Slowakei gesprochen. Um sich mit der Materie vertraut zu machen, hat Drobna Schießstunden genommen und ist mit einer Karte aus den 1940er Jahren in den Hirtenberger Wald gegangen, um die halb-unterirdische Fabrik – oder was von ihr übrig ist – zu finden. „Das sind schon sehr eindrucksvolle Bilder der österreichischen Vergangenheit, die da einfach irgendwo im Wald rumliegen und vergammeln,“ sagt Drobna.

Ende 1944 errichteten die Nationalsozialisten in Hirtenberg ein Konzentrationslager, das „KZ-Außenlager Hirtenberg.“ Rund 400 Frauen wurden etwa von Auschwitz und Ravensbrück nach Hirtenberg überstellt und in der besonders feuergefährlichen Produktion eingesetzt.

Eine Fabriksruine im Wald

Didi Drobna

„Manchmal ist es gut zu schweigen, aber manchmal ist Reden besser“

In „Was bei uns bleibt“ schreibt Drobna aus der Sicht von Enkel Luis, der Nachbarsfamilie, der 20-Jährigen Klara und Klara als alter Frau. In den 40er Jahren passiert die Handlung, die dann über 60 Jahre später in den Charakteren wirkt und aufgearbeitet wird. Klara ist eine Protagonistin, die nicht in die schwarz-weiße Täter-Opfer Aufteilung passt.

„Ich war kriegswichtiges Personal. Der Gedanke gefiel mir. Er machte mich stolz.“

Klara meldet sich freiwillig zum Dienst in der Fabrik und ist stolz auf ihre Arbeit. Erst mit dem herannahenden Kriegsende hinterfragt sie ihre Situation: „Bisher hatten wir gut gelebt in Hirtenberg. Und nun lernten wir, dass dies eine Illusion war. Wir dachten, wir wären wichtig. Aber das waren wir nicht. Wir waren austauschbar.“ Auch wenn Klara in den letzten Kriegsmonaten nicht mehr untätig blieb, scheint die alte Klara zu bereuen.

Dieses Hinterfragen der eigenen Handlungen ist für Autorin Didi Drobna ein natürlicher Lauf der Dinge, den sie anhand der Figur dieser alten Frau zeigen wollte: „Dass wir uns alle diese Fragen stellen früher oder später: Gibt es Dinge, die wir bereuen, kleine oder große Dinge? Ich glaube, dass dieses Erinnern zu unserer DNA gehört, genau wie die biologische Genetik zu unserer DNA gehört, sind es auch diese Erinnerungen von uns, unseren Eltern und Großeltern, die uns mitgegeben werden als Erbe.“

In „Was bei uns bleibt“ steht demnach nicht nur die Zeitzeug*innen-Generation im Fokus, sondern auch nachfolgende Generationen in der Figur des 32-Jährigen Luis. Es ginge nicht immer nur darum, dem Thema NS-Vergangenheit nachzuspüren, sondern sich selbst nachzuspüren, meint Drobna. Die Geschichte der Vorfahr*innen zu verstehen ist zentral, um sich selbst zu verstehen: „Wer sind wir, woher kommen wir und was mussten wir dafür überwinden?“

mehr Buch:

Aktuell: