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Drake

Republic Records

song zum sonntag

Der Song zum Sonntag: Drake - „Champagne Poetry“

Ganz schön viel Nostalgie, Selbstbetrachtungen und Erklärungsversuche auf „Champagne Poetry“, dem Opening Song auf Drakes neuer Platte „Certified Lover Boy“.

Von Christoph Sepin

Das ist eigentlich alles fürchterlich altmodisch. Mit seinem Pop- und Hip-Hop-Entwurf wirkt Drake wie aus der Zeit gefallen, mit Geschichten zwischen hartem Leben und kompletter, unkritischer Selbstdarstellung. In seiner knapp zwanzigjährigen Karriere hat der kanadische Rapper über 170 Millionen Platten verkauft, ist bei den Billboard Music Awards als „Artist of the Decade“ ausgezeichnet worden und hat mit OVO seine eigene „all-encompassing lifestyle brand“ gegründet.

Und veröffentlicht dann aber doch auf seiner neuen Platte „Certified Lover Boy“ Zeilen wie „Never had a lot, this is all I need“ und „You gotta live that shit for real, you can’t just say whatever“. Relatable ist das nicht, auch wenn Drake das vielleicht mit seinen Texten versucht. Wenn sich kontemporäre Popmusik einerseits durch komplett niederschwellige Offenheit, andererseits durch übersteigerten, eskapistischen Futurismus auszeichnet, dann ist die Musik auf „Certified Lover Boy“ in der Vergangenheit einzuordnen - der alte Mann mit seiner Perspektive irgendwo zwischen Chauvinismus und Prahlerei.

„A combination of toxic masculinity and acceptance of truth which is inevitably heartbreaking“, postet Drake zu „Certified Lover Boy“, distanziert sich damit doch ein Stück von seinen Geschichten und bedient sich des Autoren-Ichs. Vielleicht ist das alles doch Konfronation mit dem eigenen Ego, das Rauslassen aller seltsamen Gedanken, um dann daraus zu wachsen. Auf dem Opening Song „Champagne Poetry“, dem besten Lied auf Drakes neuer Platte, scheint dieser Versuch zumindest am offensichtlichsten.

Ausgerechnet mit einem Beatles-Sample beginnt dieser Track. „I love you, I love you“, singt ein hochgepitchter Paul McCartney in dem Auszug aus dem Lied „Michelle“. Darüber Drake, der seinen Eröffnungssong in mehrere Kapitel unterteilt. „It’s the pretty boys versus the petty boys“ und „Nothing else bigger than the OVO letterman boys“ seine Zeilen im ersten Verse.

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Da geht’s zuerst einmal um Selbstdarstellung, um „cashmere knits for the nighttime boat rides“ und das Haus, das er für sich und alle seine Freunde gebaut hat („Built this house for us all, pain in my back still“ und „About to build a second guest house, cause we’re growing too much“). So weit, so unspannend, dann biegt Drake aber doch noch einmal ab und beginnt seine Geschichte selbstkritischer nach innen zu richten.

„I haven’t been able to see family for a while“, wohl eine im Lockdown entstandene Zeile, „My parents divorce is on me“, dann schon ziemliche Selbstkonfrontation, gefolgt von „My therapist’s voice is making the choices for me“. Hier also das Abbröckeln der Fassade und Musik als Therapie: „The pressure is weighing on me, career is going great, but now the rest of me is fading slowly“.

Ja, das klingt, wohl auch dem sehr schönen Beatles-Sample zu verdanken, nach Vergangenheit. Und kommt damit full circle zurück zu Drake als Nostalgie-Artist. Aber hier passt auch seine Erzählung: Das fühlt sich substanziell an, nach Worten, die unbedingt gesagt werden müssen, nach Erklärungsversuchen, Betrachtungen der Welt in sich drin und der rundherum („The city’s on fire and people are in denial“). Ein düsterer Track als Lichtblick auf dieser Platte, von der nicht nur das Albumcover seltsam ist.

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