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Drake - Certified Lover Boy

Emily Staats / Universal Music Group

Drake ist immer noch nicht erwachsen

Seit Drake am Freitag sein heiß ersehntes sechstes Studioalbum „Certified Lover Boy“ veröffentlicht hat, gibt es online schon so viel Gossip, dass er mindestens dreimal gecancelt werden könnte. Was dahinter steckt und wie das neue Drake-Werk klingt.

Von Melissa Erhardt

Eigentlich hätte „Certified Lover Boy“ schon im Jänner dieses Jahres erscheinen sollen. Dann kam aber Drakes Knie-Verletzung und einige ungewollte Leaks von Tracks wie „Fair Trade“ oder „TSU“, die den Album-Release verzögert haben. Viel mehr, als dass das Album noch vor Ende des Sommers erscheinen würde, wusste man bis vor Kurzem nicht. Zumindest, bis Kanye ungewollt „Donda“ gedroppt hat, das in Drake - geht man nach seinen Lyrics und dem unendlichen Kanye-Drake-Beef - einen unausweichlichen Competitions-Drang ausgelöst hat, der ein längeres Zögern schlichtweg unmöglich gemacht hätte - und zu einem unmittelbaren Release geführt hat. Vielleicht war es aber auch einfach nur Zufall.

Drake - Certified Lover Boy

Universal Music Group

Drakes 6. Studioalbum „Certified Lover Boy“ ist am 3. September 2021 bei Universal Music erschienen.

Drake wie er leidet und lebt

Jetzt ist zur Freude vieler Drake-Fans „Certified Lover Boy“ also endlich draußen. Auf insgesamt 21 Tracks gibt sich Drake darauf, wie wir ihn schon von seinen letzten Alben kennen: Als Herzen-brechender Player (man nenne es Certified Lover Boy oder einfach nur Fuckboy), der das alles ja gar nicht so meint und sich eigentlich nur die eine Seelenverwandte wünscht, auf der Suche nach ihr aber immer wieder von seiner eigenen Unkontrollierbarkeit aufgehalten wird.

Zumindest im Business läuft es – und das ist es ja eigentlich, was er seit 2009 will: Mit seiner Musik erfolgreich sein. Er zählt zu den bestverdienenden Musikern weltweit, hält dank Hits wie „Hotline Bling“ oder „God’s Plan“ unzählige Billboard-Rekorde und lebt auf über 4600 Quadratmeter in einer palastähnlichen Villa in Toronto. Dass der Weg dorthin einsam werden würde, weiß er seit Jahren, macht es aber auf dem „Intro Champagne Poetry“ von CLB über ein von Masego abgewandeltes Beatles-Sample nochmal deutlich:

„The Pressure is weighing on me, career is going great but now the rest of me is fading slowly (…) My heart feel vacant and lonely, but still I’m making most of the shit and more”

Drake, wie er leidet und lebt also. Seine neue Rolle als Vater nimmt auf CLB übrigens weitaus weniger Platz ein, als man sich erwartet hätte: Ein paar Zeilen hier und da – insgesamt scheint er aber noch immer derselbe Kindskopf von damals zu sein. Musikalisch hält er an seinem Erfolgsrezept von ausgefeilten Produktionen und softem R’n’B gepaart mit prahlerischen Punchlines fest, zeigt sich aber, bis auf ein paar Ausnahmen, weniger kommerziell als auf „Scorpion“ oder „More Life“. Es ist eher der alte Drake, der hier wieder aus seinen Schlupflöchern hervorkriecht - mit dem für ihn typischen Playlist-Charakter-Album.

Toxische Männlichkeit und arger Male Gaze

Mit Features wie Jay-Z, Future, Young Thug, 21 Savage, Lil Baby oder Travis Scott hat sich Drake für sein Loverboy-Projekt die üblichen Verdächtigen mit ins Boot geholt, die für die Platte keine unwichtige Rolle spielen.

Besonders hervorheben könnte man hier die Trap-Interpretation des britischen Hits von Right Said Fred, „Way 2 Sexy“, gemeinsam mit Young Thug und Future. Auf den ersten Anhieb ein direkter Stich ins Herz der Political Correctness mit Zeilen, die ich hier nicht einmal zitieren möchte, entpuppt sich der Song spätestens mit seinem Video als großartige Parodie auf die Toxische Männlichkeit, die Drake, sei es freiwillig oder unfreiwillig, auf CLB behandelt.

So beschreibt er seine Platte in einem Instagram-Post als: „A combination of toxic masculinity and acceptance of truth, which is inevitably heartbreaking“. Die Frage ist: Weiß er wirklich, wie toxisch er eigentlich ist? Oder benutzt er das einfach nur als Vorwand, um sich nicht mit Kritik herumschlagen zu müssen?

Als eine Parodie ist womöglich auch „Girls want Girls“ mit Lil Baby gedacht gewesen - bei der Fetischisierung lesbischer Beziehungen und Drakes Outing als Lesbe („Say that you a lesbian, girl, me too“ … what?) verliert sich der Track textlich aber in irgendwelchen skurrilen Zwischenwelten des Male Gaze und ist einfach nur cringe. Dass der Song trotzdem Ohrwurm-Charakter hat und man diesen Nonsense auch mit einem ‚Er weiß es halt wirklich nicht besser‘-Schmunzeln abtun könnte, wird wahrscheinlich dazu führen, dass er einer der Signal-Tracks des Albums werden wird (oder bereits ist, immerhin hat er damit bereits den Rekord für die meisten Streams eines Songs in der Spotify US-Geschichte gebrochen).

Wenn wir aber schon dabei sind, können wir auch kurz über die Tatsache sprechen, dass Drake auf dem Song TSU R. Kelly als Co-Writer kreditiert hat. Online hat das für viel Aufregung gesorgt – gerade jetzt, wo R. Kelly wegen sexuellen Missbrauchs vor Gericht in New York aussagen muss. Warum bietet Drake diesem Mann eine Plattform? Das haben sich viele gefragt und schon bald sind auch die ersten Cancel-Rufe laut geworden.

Was steckt dahinter? Auf dem Sample, das im Intro des Songs verwendet wurde, hört man den DJ und Produzenten OG Ron C sprechen. Im Hintergrund seines Monologs läuft leise, so dass man es kaum hören kann, der Song „Half a Baby“ von R. Kelly, wie Drakes langjähriger Produzent Noah ‚40‘ Shebib auf Instagram klarstellt. Ob man einfach auf ein anderes Sample zurückgreifen hätte können, um sich klar und deutlich gegen R. Kelly zu positionieren? Auf jeden Fall. Aber Drake deswegen als R. Kelly-Supporter zu betiteln? Ich weiß nicht. In Kombination mit dem Track „Fucking Fans“ und dem Albumcover ergibt das Ganze dennoch ein relativ unangenehmes Bild und man kann sich schon fragen: Muss das denn wirklich sein, Drake?

Drakes Gespür für Hits bleibt da

Abgesehen davon hat das Album trotzdem ein paar musikalische Highlights zu bieten. Da wäre etwa das Feature „Fair Trade“ mit Travis Scott, auf dem Drake über ein Sample der kanadischen Sängerin Charlotte Day Wilson davon erzählt, wie es sich ohne Fake Friends einfach viel friedlicher lebt. In manchen Hinsichten ist er also doch gewachsen. Oder der Track „Love All“ mit Jay-Z, der einfach einen nicen Vibe hat. An beiden Tracks hat übrigens der Schweizer Produzent OZ mitgearbeitet, der nicht nur für Deutschrap-Größen wie Shindy produziert, sondern auch einer der wenigen Produzent*innen aus dem deutschsprachigen Raum ist, der international Fuß gefasst hat.

Musikalisch anders und stark anlehnend an den Afrobeat-Drake aus der „More Life“- Ära (den ich persönlich ja sehr mag) ist das Feature mit der großartigen nigerianischen Musikerin und Produzentin Tems. Das sanft-weiche Piano und die dezent eingesetzten Afrobeats liefern eine willkommene Abwechslung auf die sonst relativ ähnlichen Produktionen des Albums und zeigen einmal mehr Drakes Gespür dafür, auch mit anderen Rhythmen zu spielen und damit Hits zu schaffen.

Papi’s home?

Insgesamt schafft Drake mit „Certified Lover Boy“ dennoch keine Innovation. Es ist dasselbe Erfolgsrezept, dass ihn auch schon in den letzten Jahren an die Spitze der Charts gebracht haben. Die Frage ist aber, ob Drake, DER Popstar des bisherigen Jahrhunderts, überhaupt Innovationen braucht. Denn auch wenn ich diese Schnulzen-Schiene vielleicht nicht so fühle, wächst da draußen wahrscheinlich Jahr für Jahr eine Generation heran, die Drake genau dafür feiern. Außerdem macht sich Drake gerade durch seinen offenen Umgang mit seinen Gefühlen eben auch sehr leicht angreifbar, während andere diese Gefühle – genau deswegen - ganz gewollt verstecken. Und dafür kann und sollte man ihm auf jeden Fall seine, meiner Meinung nach trotzdem verdienten, Credits geben – und nicht nur haten. An seinem Verhältnis zu Frauen sollte er trotzdem schleunigst arbeiten, wie er es in „Fucking Fans“ zum hundertsten Mal beteuert:

„I’m still working on me / And I’m coming back better for you"

We’ll be waiting for that, boy.

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