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Casper Clausen

Hannah Tögel

Ein Festival, eine Kirche, eine Sauna & ein Abriss

Wenn der Spätsommer in Wien die roten Backsteinmauern im WUK noch einmal richtig zum Leuchten bringt, dann ist es endlich wieder soweit: Österreichs größtes Showcase-Festival, das Waves Vienna, lädt mit seinem bunten, internationalen Musik-Potpourri zum Entdecken ein. Die Highlights vom ersten Tag waren Casper Clausen, Faux Real, Sinks, Cloud Cloud und mehr.

Von Michaela Pichler

Jedes Jahr ist es ein Fixpunkt im Konzertherbst, eine kleine Wundertüte aus dem besten Süßigkeitenladen. Ein Wochenende, das nur dafür geschaffen wurde, neue Musik zu entdecken, sich über diese dann bei einem gemütlichen Drink im Innenhof auszutauschen und von einer Venue zur nächsten zu spazieren. Nach einer schlichteren Livestream-Edition im vergangenen Jahr ist das Waves Vienna Festival in seiner gewohnten Umgebung zurück, mit insgesamt rund 100 auftretenden Acts - juhu!

Pippa

Patrick Münnich

Pippa

Getestet, geimpft, maskiert und zahlreich: Bereits tagsüber konnten Musikmenschen an der offiziellen Conference teilnehmen, Workshops besuchen und von Panels über länderspezifische Musikmärkte lernen. Bei der diesjährigen Conference steht - wie im Line-up selbst - die Donauregion im Mittelpunkt. Aus Deutschland, Österreich, der Slowakei, Ungarn, Kroatien, Serbien, Rumänien, Bulgarien, der Republik Moldau und der Ukraine wurden heuer die up and coming Musikhoffnungen eingeladen.

Aze

Patrick Münnich

Aze

Atmosphärischer Auftakt in der Kirche mit Aze und Discovery Zone

„Coole Location, oder?“ - es ist eine rhetorische Frage, die das Duo Aze ganz am Anfang ihres Sets stellt. Natürlich ist die Canisiuskirche eine der ungewöhnlichsten Venues in diesem Jahr. Während in den Ausbuchtungen neben den Gängen die unterschiedlichsten Madonnen dahinleiden, stehen zwei junge Frauen ganz vorne, unter der Kuppel, wo normalerweise die Hostien ausgeteilt werden. Heute gibt es stattdessen die blauesten RnB-Töne, geloopt mit der Gitarre, Drummachine-Dudelei und eine Stimme, die nach cooler Softness klingt. Aze zaubern mit dieser Mischung einen gelungenen Auftakt in der heiligen Halle. Beyza Demirkalp und Ezgi Atas, die beiden Musikerinnen hinter dem Projekt, haben online erst knapp 17 Minuten Material veröffentlicht (nach eigenen Angaben), für das Publikum in der Canisiuskirche greifen sie aber gerne auch schon vor, in ihr noch nie live gespieltes Repertoire. Baldigst soll das Debütalbum erscheinen. Bis dahin gibt es auch noch ältere Songs zum Slow-Dancen, die einst noch im oberösterreichischen Kinderzimmer der Sängerin Atas entstanden sind.

Discovery Zone

Alexander Galler

Discovery Zone

Auch danach bleibt es in der Kirche atmosphärisch, als Discovery Zone den Platz vor dem Altar einnimmt, dahinter die brennenden Kerzen aufgestellt wie an Weihnachten. Discovery Zone ist das Soloding von JJ Weihl, der Sängerin und Bassistin der deutschen Indie-Popper Fenster. Als Discovery Zone baut die Künstlerin Schicht um Schicht, Sound auf Sound, ein Theremin wird gestreichelt, der sich dadurch entfaltende sakrale Düsterpop passt perfekt in die Kirche - kurz kommen Assoziationen mit einer Art Emo-Enya in den Sinn.

Sir Simon and Burkini Beach

Alexander Galler

Sir Simon and Burkini Beach

Bis Samstag gibt es noch jede Menge Newcomer aus ganz Europa im und rund ums WUK in Wien zu entdecken. Das ganze Line-up zum Waves Festival gibt es hier!

Wer sich in der Canisiuskirche schließlich auch in den dunklen Untergrund traut, wird belohnt. Mit dem Auftritt von Burkini Beach zum Beispiel, der in der Krypta aufspielt. Hinter dem Soloprojekt steckt Rudi Maier, der auch als Teil der Thees-Uhlmann-Band auf Bühnen zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz zu finden ist. Fürs Waves hat er sich mit Sir Simon zusammengetan, der auch schon als Tomte-Mitglied in die deutschen Pop-Statuten eingegangen ist. In der Krypta regnet es selbstironische Ansagen, die beiden möchten ihr katholisches Trauma in der Location an diesem Abend aufarbeiten und spielen den ein oder anderen „sad song“ an - es klingt ein bisschen nach Eels.

Cloud Cloud

Hannah Tögel

Cloud Cloud

Im WUK sind die Gitarren los

Als nächstes geht es ab in Richtung WUK, die Lustkandlgasse runter, bis man ansteht. In der großen Halle ist ein weiteres Duo schon bereit für den ersten Auftritt mit Band. Cloud Cloud sind eine Online-Band, geübt durch die Corona-Pandemie, während der die Songs per Mail geschrieben wurden. Aus der Cloud treten Marten Kafke und Katja Seifert Donnerstagabend auf die Bühne des WUK im Quintett, Bass, zwei Gitarren und Drums. „Können wir bitte viel Nebel haben?“ Aber gerne doch. Cloud Cloud zelebrieren eine Pyjamaparty, immerhin tragen die zwei Drahtzieher*innen der Band ihren feinsten Schlafanzugzwirn. Die doch sehr hypnotisch-zurückgelehnten Songs bekommen in der Liveformation noch wesentlich mehr Druck. Ein gutes, erstes gemeinsames Performen.

Sinks

Hannah Tögel

Sinks

Weniger Leute auf der Bühne, dafür noch viel mehr Gitarrenliebe: Im WUK Foyer steht ein geheimes Highlight an, Sinks sind der wahrgewordene Beweis für die lebhafte Undergroundszene im tschechischen Brünn. Das Trio um Antoním Míka, Vendula Pukyšová und Peter Štímel braucht nicht viel, um Musikgewalten in Echtzeit auferstehen zu lassen - E-Gitarre, Schlagzeug und Bass. „This harsher kind of guitar music gives you a bit of a relief. It helps you with the frustration of like living in this god-awful era that we are going through“, erzählen Sinks im Interview. Man muss nicht alle Texte verstehen, um die zugrundeliegende Frustration im Noise-Spektrum rauszuhören. Live ist diese Energie allerdings alles andere als depressiv, Sinks spülen die Gehörgänge durch und das auf bezauberndste Weise.

Hearts Hearts

Alexander Galler

Hearts Hearts

Gretchenfragen, Schweiß und die höchsten Highkicks

„Gehst du nochmal zur Kirche oder bleibst du im WUK?“ Die Gretchenfrage der heurigen Waves-Ausgabe wird an diesem Abend öfters gestellt. Zwischen den Main Stages liegen einige Gehminuten, und dann gibt es ja auch noch das Clash. Hier finden sich am Donnerstagabend ausschließlich hiesige Acts auf der kleinen Bühne, wie Pippa, Hearts Hearts und Oska. In Sachen Showcase-Festival ist letztere besonders geübt. Erst vergangenes Jahr wurde sie beim Waves Festival mit dem XA Export Award ausgezeichnet. Heuer steht auch noch ein Konzert Ende September beim Reeperbahn Festival in Hamburg an, dort ist Oska für den Musikpreis Anchor 2021 nominiert.

Oska

Alexander Galler

Oska

Die Entscheidung fällt allerdings nach einem Blick auf den Timetable für einen Abstecher ins Kirchengewölbe. Gleich sollen Faux Real in der Krypta auftreten, ein französisch-US-amerikanisches Duo bestehend aus Elliott Arndt und Virgile Arndt. Brüder, die auf den ersten Blick wie zweieiige Zwillinge wirken, quasi als hätten Mick Jagger und Liam Gallagher gemeinsam zwei Babys. Als Faux Real haben die zwei bisher alles richtig gemacht. Ihre erste USA-Tour haben sie 2019 bestritten, ohne eine einzige Single releast zu haben. Da wird dann natürlich gemunkelt bei den Gigs, die Handys werden gezückt, es landen Liveschnipsel in den Insta-Stories, die Geheimniskrämerei schürt das Image. Zuletzt ist dann schließlich die erste, selbstbetitelte EP erschienen, gemeinsam produziert mit Tame-Impala-Drummer Jay Watson, gilt diese als erstes Sound-Exempel des Duos, zwischen Avant-Pop, Glam-Rock und Indie-80s.

Faux Real

Patrick Münnich

Faux Real

Auch am Donnerstagabend machen Faux Real wieder einiges richtig. Schon nach den ersten Sekunden gibt es grinsende Gesichter hinter den FFP2-Masken, zu erkennen an den Lachfalten rund um die Augenwinkel. Auf die Bühne springen die Art-Popper im weißen Partnerlook, was sonst!? Es wird gedehnt und gehüpft, alles natürlich barfuß, Faux Real fühlen es sehr. Das kommt auch sofort beim Publikum an, mit der bis ins kleinste Detail durchchoreografierten Performance schwappt die Energie in die eigenen Füße. Streng genommen kommt der größte Teil des Musiksets aus der Dose. Faux Real mussten bei der Konzeptionierung ihrer Liveauftritte Abstriche machen. Sollten sie gute, organische Livemusik spielen oder doch lieber körperlichen Eskapismus pflegen, der die Leute zum Ausflippen zwingt? Es wurde letzteres. Doch hie und da packen die Brüder dann doch noch „echte“ Instrumente aus, eine Querflöte zum Beispiel, die mindestens genauso virtuos gespielt wird, wie es uns Lizzo höchstpersönlich immer wieder demonstriert. Auch ein Saxofon darf dann nicht mehr fehlen, das irgendwann nur noch so trieft vor Schweiß in der zur Sauna gewordenen Krypta. „Rock’n’Roll is dead“, singen die pittoresken Brüder da und schlängeln sich durchs wütige Publikum. Bei ihrem letzten Song „Kindred Spirit“ - und bisher größten Hit wird passend zum Beat endlos ins Nirvana getreten, mit den allerhöchsten Highkicks, die in dieser Krypta jemals gesichtet wurden. Es ist ein sehr schönes, lebhaftes Highlight am ersten Waves-Abend.

Wer für die restlichen Festivaltage noch Entscheidungshilfe braucht, ist mit diesen „9 aus 100 Acts“-Tipps fürs Waves Vienna Festival bestens beraten.

Casper Clausen strahlt nochmal zum Abschied

Nach so viel Schweiß auf und vor der Bühne wird es Zeit für eine kleine Pause und einen Spaziergang wieder zurück ins Mutterschiff WUK. Dort machen sich eingefleischte Efterklang-Fans schon bereit für den Headliner des Abends: Casper Clausen, der Frontman der dänischen Indie-Stars, ist nach Wien gekommen, um seine Sololieder zu präsentieren. Für viele Acts ist das Waves Vienna Festival heuer eine Möglichkeit der ersten Male - zum ersten Mal mit einer Liveband auftreten, zum ersten Mal die neuen Lieder singen. Oder eben wie bei Casper Clausen zum ersten Mal ganz alleine auf der Bühne stehen, ganz ohne Bandkollegen, die einen sonst schon seit 20 Jahren begleiten.

Casper Clausen

Alexander Galler

Casper Clausen

Doch so ganz allein ist er ja gar nicht, der dänische Künstler ist umgeben von Musikmaschinen, ein Theremin ist aufgebaut, mehrere Synthesizer, Kabelhaufen, Mikros, Zeugs. In so einer Umgebung geht es Casper Clausen blendend und so zeigt sich der Strahlemann während seinem Auftritt in bester Laune, als die Songs seines Solodebüts „Better Way“ nur so dahinplätschern. Strahlend geht der erste Festivalabend vom Waves Vienna zu Ende, und am Freitag, da geht dann die nächste Festivalsonne wieder auf.

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