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Earl Mobley beim Waves Festival

Hannah Toegel

Einmal noch, und einmal noch laut

Die elfte Edition des Waves Vienna Festival ist zu Ende, Florence Arman gewinnt den XA Export Award. Gedanken zum letzten Festivalabend.

Von Lisa Schneider

Wenn wir das nicht schon vorher ausführlich getan hätten, wären die letzten, reisemüden Monate ein guter Anlass gewesen, sich auf die österreichische Musikszene zu konzentrieren. Das Waves Vienna Festival ist auch dafür immer ein guter Dreh- und Angelpunkt: seit elf Jahren stellt Thomas Heher mit seinem Team das musikalische Line-Up von morgen zusammen.

Der XA Export Award, der seit 2017 im Rahmen dieses Showcase-Festivals verliehen wird, wurde als Förderpreis initiiert. Seither geht er jährlich an einen vielversprechenden heimischen Act. Der Gewinn bringt neben finanziellem vor allem Support auf internationaler Basis; er soll das Touren im Ausland erleichtern. Die bisherigen Preisträger*innen sind Cari Cari, Dives, Anger und OSKA. Und seit gestern Abend, 23.00 Uhr, auch Florence Arman.

„I dont know what to say, I guess, thank you Jesus?!“ murmelt eine ehrlich erstaunte Florence Arman ins Mikro, als sie kurz nach Verlautbarung bei der knackig gehaltenen Preisverleihung auf die Bühne gerufen wird. Eine internationale Jury aus sechs im Musikbusiness bewanderten Menschen hat die Auftritte aller sechs nominierten Acts an diesem Wochenende begutachtet und schließlich bewertet. Dass Florence Arman gestern Abend gewinnt, ist nur ein weiteres kleines Puzzleteilchen in ihrer nichts weniger als rasanten Newcomer-Karriere, die sich langsam, aber sicher zu einem Stück mit 1000 Teilen aufbaut.

Florence Arman mit dem XA Export Award

Patrick Münnich

Florence Arman mit dem XA Export Award

Florence Arman schafft mit ihrer Musik - und ihrem davon nicht trennbaren, liebenswert-quirky Auftreten - etwas, das nicht viele im kommerziell angehauchten Popsektor schaffen: Sie bleibt authentisch. Ja, viel zu viele und zu vieles ist mit diesem Wort bedacht worden in einer Welt, in der alles sich ins Digitale verschiebt und/oder nicht mehr richtig hinterfragt werden kann. Aber man glaubt es Florence Arman, wenn sie atemlos von der Bühne kommt und sagt „Ich habe nie gedacht, dass Menschen sich meine Musik überhaupt anhören würden. Oder dass sie sie sich anhören und dann auszeichnen würden. Ich hab’ in meinem Leben noch nie etwas gewonnen. Noch nicht mal beim Brieflos!“ Man glaubt ihr das deshalb, weil ihre Musik, wenn auch manchmal eben affin zum großen Pop sehr slick und glatt ausproduziert, uns ebensolche Schmunzelgeschichten erzählt. Florence Arman kann nämlich noch etwas, was nicht viele können: über sich selbst lachen. „Will you pay for my therapist / cause I’ve got problems“ ist nur eine der Zeilen, die das beweisen. Da steht ein Popstar, wie er hoffentlich morgen aussieht, mit dem Songwriting-Gespür für die einfache, aber die gute, eingängige Melodie, einer, der auf hohle Phrasen verzichtet und endlich wieder die eigene Persönlichkeit zur größten Auszeichnung macht.

Unprätentiös wäre noch so ein Wort, mit dem man die immer coole Florence Arman beschreiben könnte, und da wären wir bei einem weiteren besten Auftritt an diesem Waves-Wochenende, bei dem von Earl Mobley. Auch er war heuer für den XA Export Award nominiert.

Earl Mobley beim Waves Festival

Hannah Toegel

Earl Mobley

Schmusig schön hinein in den Abend

Mit seiner insgesamt vierköpfigen Band spielt Earl Mobley als einer der ersten Acts des gestrigen Abends Musik, die die Seele streichelt. Weil sie nie so schnell ist, wie sie sein könnte, und weil die gute Slackergitarre schon immer genau diese Funktion gehabt hat. Dabei sei er gar nicht mehr „nur“ Slackermusiker, schmunzelt Konstantin Heidler im FM4-Interview im WUK-Innenhof. Stimmt schon. Er mischt ein bisschen Soul hinein, und ein bisschen Funk - vor allem letzteres als Beweis dafür, wie die Gitarre aktuell die großen Bühnen zurückerobert. Manchmal denkt man da an den jungen Michael Stipe.

Konstantin Heidler ist schon am Vorabend, am Freitag, mit der sehr guten Band Sluff auf der Bühne gestanden. Die Walls Of Sound lässt er für den Samstag hinter sich und präsentiert unter anderem neue Lieder aus seinem im Dezember erscheinenden Album mit dem großartigen Titel „Glamour, Envy & The Act Of Looking“. Das ist auch deshalb gut, weil Glamour sympathischerweise gar nichts mit der Musik von Earl Mobley zu tun hat. Dafür kratzt sie sich zu sehr durch die Oberfläche und macht Gedankenräume auf: So sanft und ungefährlich sie klingen, das sind Lieder über den Tod, die Liebe und das ewige Missverstehen, das Leben heißt. „Und dabei“, lacht Konstantin wieder, „sind meine Songs alle so einfach.“ Die Band habe sich gefreut beim Proben, es war fast nichts zu tun. Er lacht noch, aber eigentlich weiß er’s eh besser: die einfachsten Lieder waren immer die besten.

Nur mehr einen Abend lang die Haare raufen beim Entscheiden, welchen Act man sich als nächstes ansieht. Dabei ist das fast einer der schönsten Aspekte der jährlichen Vorbereitung aufs Waves Vienna Festival: den eigenen Konzertabend wie eine kleine Schnitzeljagd zu planen. Das nächste Schnitzel auf der gestrigen Liste heißt Oxford Drama.

Oxford Drama

Hannah Toegel

Oxford Drama

Gosia Dryjańska und Marcin Mrówka kommen aus Polen und haben 2014 bei der guten Mode mitgemacht, sowohl in diversen Schlafzimmern Musik aufzunehmen („Bedroompop“), wie auch die eskapistische Funktion der Musik für sich zu nutzen („Dreampop“). Das Duo ist mittlerweile um weitere drei Musikfreund*innen zum Live-Quintett angewachsen, damit das auch alles ein bisschen mehr Drive kriegt als auf Platte. Das ist Musik, die man sich mit Freund*innen im Park anhört, man trägt dazu gestreifte T-Shirts und Jeansjacken. Sanft und sacht, so schleichen sich die Lieder von Oxford Drama zuerst heran, bauen sich langsam auf, um dann ins erlösende Gitarrengewitter auszubrechen. Endlich wieder Schauer über den Rücken. Aus der Genreschublade „Dreampop“ drängeln sich Oxford Drama außerdem selbst hinaus: da wird keine Stimme im Mix versteckt, der Leitsatz der Band stimmt: „My ambitions are loud and proud.“

Zorn, Gitarre, Teen-Spirit

Gestern war ein guter Abend für die schon etwas müden Füße, die nächste große Sensation war dann schon wieder nur zehn Schritte entfernt. Francis Of Delirium aus Kanada, den USA und Luxemburg beweisen im WUK Foyer einmal mehr den musikalischen Spürnasen-Sinn des Waves-Teams: hierzulande hatte die noch niemand auf dem Zettel, aber die internationalen Musikmedien klatschen schon längst in die Hände. Im Frühjahr hat die Band ihre EP „Wading“ veröffentlicht: das sind vier sorgfältig eingekochte Coming-Of-Age-Spezialitäten, wie soll man sie musikalisch besser unterlegen als mit der Grungegitarre.

Francis of Delirium

Hannah Toegel

Francis Of Delirium

Francis Of Delirium sind die wütenden Liebhaber*innen, die vor Wut und Zorn nicht alles zerdeppern, sondern, ganz umgekehrt, räudige und interessanterweise gleichzeitig elegante Lieder über ihren aufgerüttelten Geisteszustand schreiben. Live huschen Blitze übers Gesicht von Sängerin und Gitarristin Jana Bahrich, der Kopf wird geschüttelt. Ein hundertfaches Nein geht raus an das Arschloch, das sich einmal mehr daneben benommen hat, aber auch gegen die Welt, in der aktuell alles schief läuft. Die jugendliche Unlust am Erwachsenwerden, Feuer, Power und die klugen Texte. Man wünscht sich kurz, man könnte einmal noch Nirvana zum allerersten Mal hören. Aber wenn der Grunge der Zukunft so klingt, wird auch diese eine gute sein.

Die Canisiuskirche und der Pfarrsaal sind währenddessen österreichisch besetzt, Greyshadow schmettert seine allerliebsten Synthiepop-Hymnen, GØRL drehen in charmanter Glam-Rock-Art am Rad. Nur in der großen WUK-Halle geht es ein bisschen besinnlicher zu, Löwelöwe heißt noch so eine brandneue Band, die hier entdeckt werden will (es muss den Waves-Bookern großen Spaß gemacht haben, eine deutsche Indierockband mit dem Namen „LionLion“ ebenfalls hierher einzuladen).

LöweLöwe

Hannah Toegel

Löwelöwe

Ja, da sind Mitglieder von Wanda dabei (Christian Hummer und Ray Weber), und auch ja, im Untergrund brodelt diese Band schon seit Monaten vor sich hin. Jetzt ist aber endlich die erste Single „Lauter als die Stimme im Kopf“ erschienen. Die Band wird es nicht gerne hören, aber viele Steinwürfe vom heimathaflichen Oeuvre ist das nicht entfernt. Zeilen wie: „Ich brauch’ deine Liebe, Baby / sonst vergess’ ich wie ich heiß’“ oder „Ich träum, dass du mich nicht mehr liebst / in deinem Herz für mich kein Platz mehr“ kommen schon gefährlich nah an den Wanda-Wortschatz ran. Der hat halt aber auch in der Vergangenheit schon viele überzeugt.

Der einsamste Wal der Welt

Das WUK-Foyer bleibt währenddessen weiterhin zuständig für die richtig lauten Krachmacher. Gute Bands haben meistens gute Bandnamen, die slowakische Formation 52 Hertz Whale gibt uns also nicht nur Postpunk-Schmankerl mit auf den Weg, sondern auch eine philosophische Denksportaufgabe. Ihr Name leitet sich von einem Wal her, der auf der Frequenz von 52 Hertz singt und deshalb von keinem anderen Wal gehört werden kann. Sad sad sad. Wie ist das dann bei einer Band, die sich nach der einsamen Kreatur benennt? „I’ve met a lot of people“ haben 52 Hertz Whale ihr Mini-Album zumindest genannt, es könnte darauf verweisen, dass sie sich doch ab und an mit unsereins abgeben. Sie müssen: zu diesem Zeitpunkt, am schon gut gealterten dritten Festivalabend, ist das WUK-Foyer einmal mehr zum Platzen voll.

52 Hertz Whale

Hannah Toegel

52 Hertz Whale

Es ist heiß. Und damit es noch heißer wird, drehen 52 Hertz Whale so viele Nebelmaschinen auf, wie sie das Festival in den letzten drei Tagen zusammen nicht gebraucht hat. Wabernde Schwaden, Schweiß, all das macht ja auch noch Spaß, schliche sich da nicht ab und zu der kleine Trash-Faktor in Form von angedeuteter, großer Rock-Geste hinein. Aber, immerhin: der erste (aus dieser Position gesichtete) Moshpit des Waves 2021 hat genau da vor der Bühne stattgefunden. Auch das ist eine Leistung bei einem Showcase-Festival, wo alle sonst eher still und wertend im Publikum stehen. Es ist ja ihr Job.

Es ist ein guter Job! Liebes Waves, das war’s. Drei Tage voll Ohrensausen, Getippe am Handy mit Hinweisen zu Acts, die man der Playlist hinzufügen sollte (Modecenter! sinks! Francis Of Delirium!), voll verschüttetem Bier und endlich wieder Ärger über den größten Menschen im Raum, der sich genau vor deine Nase stellt. Festivalspirit forever.

Eli Preiss

Patrick Münnich

Eli Preiss

Die letzten Props sollen heute an das vor Ort eingesetzte Security-Team gehen: Es wurden nicht nur gewissenhaft Impf- oder Testnachweise geprüft, die Taschen wurden liebevoll (es ist möglich!) und mit wertvollen Tipps („nehmt’s keine Deos mit!“) durchsucht und die ewig nervigen Aus-der-Reihe-Tänzer auf die Maskenpflicht im Innenraum hingewiesen. Ein Festival als safe space, in diesen komischen Zeiten mehr noch als zuvor.

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