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Kruder und Dorfmeister auf der Bühne, im Hintergrund die Projektion eines Menschen im Weltraum

Manuel Domnanovich

FM4 am Donauinselfest 2021

Am Freitag haben Pippa, Hearts Hearts, AVEC und Kruder & Dorfmeister die FM4 Bühne am Donauinselfest bespielt. Ein Erlebnisbericht inklusive Festivalfloskeln, weil es viel zu lange her ist, sie verwendet zu haben.

Von Lisa Schneider

Mit Chilly Gonzales’ Lied „Music Is Back“ hat Christoph Sepin gestern, Freitag, die FM4 Livesendung vom Donauinselfest eröffnet. Ein Titel als ein Motto des Abends.

Angereist und vor der großen Festbühne stehend, die an diesem Abend von ausgesuchten FM4 Acts bespielt werden sollte, war da erstmal Anspannung und Vorfreude -- und die leise Vorahnung, dass das wohl einer der wenigen Abende 2021 werden wird, der an frühere Festivalerfahrungen am Nova Rock oder am FM4 Frequency heranreichen könnte. Die Bühne riesig, nach rechts und links mit ebenfalls riesigen Screens geschmückt für die, die weiter hinten stehen. Der Wind bläst sanft über die Ebene, einsame Plastikbecher liegen herum, und man kann es sich aussuchen, ob man überteuerte Doughnuts oder doch lieber einen Hot Dog essen will. Sogar die FM4 Ente ist da. Man muss dieses für festivalaffine Menschen sonst normale Habitat so genau festhalten, weil das alles wie die perfekte Welt von gestern gewirkt hat. Gratis war der Eintritt zum Donauinselfest auch heuer, aber es gibt kein Raufen um das In-der-ersten-Reihe-Stehen. Die Tickets sind vorab verlost worden.

Publikum

Alexander Müller

Sanftes Warm-up

Auch damals, wir erinnern uns, hatte der Opener-Act einer so großen Bühne es nicht immer einfach, aber Pippa tut ihr Bestes. Es sind -- von später 7.000 zugelassenen -- wohl an die 1.000 Besucher*innen da, aber die verstreuen sich noch gut über die große Fläche und konzentrieren sich erst später vor der Bühne. Es dauert ein paar Nummern, bis Pippa sie mit ihrer nächste Woche erscheinenden EP „Lifestream“ versöhnt und die Köpfe zumindest zu nicken beginnen.

„Die letzten Jahre rinnen durch die Finger / die schönen Tage bleiben dir für immer“, singt Pippa mit Lächelstimme auf ihrer aktuellen Single „Die schönen Tage“. Schon, ein Hit. Wenn das Leben Pippa Zitronen gibt und sie ihr letztes Album „Idiotenparadies“ nicht betouren lässt, dann schreibt sie eben Songs darüber. Popmusik gegen die Krise, das Leben läuft eh immer so, wie man es nicht plant. Der Auftritt am Donauinselfest dann schon eher. Wir hören einladende Lieder zum Mitsingen über Außenseiter*innen, Träumer*innen und die, die es noch werden wollen.

Pippa verzichtet auf Abstraktion und Metapher, so setzt etwa der Song „Tagada“ charmant wie schamlos auf die einfachste aller Parolen. Bei der Zeile „Tanz dich groß“ ist sie im Geiste wohl mit der einige hundert Meter weit weg liegenden Schlagerbühne verbunden. Wir sind auf einem Festival, es geht in Ordnung.

Pippa auf der Bühne

Alexander Müller

Starnacht auf der Donauinsel

„Das wird groß“, sagt Peter Paul Aufreiter im FM4 Interview, und nachgehakt, wen Hearts Hearts denn etwa mit auf die Bühne befördern, lacht er: „Nein, ich meine die Bühnendimension!“ Es ist die bisher größte Bühne, die Hearts Hearts hier bespielen, und das ist schon auch ein Experiment. Die Liveauftritte von Hearts Hearts hatten bisher nämlich immer ein bisschen Kammermusik-Charme: vier Mitglieder, mehr oder weniger eng nebeneinander angeordnet, vertieft in Mikros und Instrumente und umgeben vom Hauch des großen Musikwissens und Liebhabertums, das von den Beach Boys bis hin zur Klassik reicht.

Einen kleinen Vorgeschmack auf ihr Liveset konnte man sich bei der kürzlich ausgestrahlten Gala zur Verleihung der Austrian Amadeus Music Awards holen, bei der sich Hearts Hearts heuer die Auszeichnung von FM4 geschnappt haben. Für diesen weißgewandeten Auftritt haben sie ihr bestes Lied ausgesucht und sich noch dazu den besten Wiener Chor, den Schmusechor“, an die Seite geholt: „Rub My Eyes“, das auf die wunderbare Weise den lakonischen Pathos (es ist möglich) inhaliert, ist auch am Donauinselfest ein Herzstück im Liveset.

Nur Sänger und gestern sogar Animateur David Österle tritt in weißem Anzug und zum Eröffnungslied „Wild At Heart“ mit Live-Querflöteneinlage auf die Bühne. Am besten ist es immer dann, wenn eine Band sich selbst nicht allzu ernst nimmt: „Mit den Anzügen schau’ ma ein bissl aus wie die Starnacht am Wörthersee - aber auf die gute Art!“

Hearts Hearts auf der Bühne

Alexander Müller

An der Gitarre ersetzt gestern Nikola Paryla den sonst so schön quirligen Daniel „der Herr mit den schönsten Locken Wiens“ Hämmerle. Er macht es sehr gut, vor allem in Anbetracht dessen, dass nur zwei Tage zuvor alles durchgeprobt worden ist.

Wetten wurden im FM4 Team und auch mit den Künstler*innen backstage abgeschlossen, ob es nun regnen würde oder nicht. Weil ich eine lausige Wetterfee bin, war es ein besonders schöner Moment, als David Österle sich zu den letzten Sonnenstrahlen passend ans Klavier gesetzt hat. Zu „Rub My Eyes“ gab es Mitsing-Chöre in der jetzt warmgewackelten ersten Reihe. Wohlverdient. Hearts Hearts sind dann am besten, wenn sie die großen, schweren Lieder schreiben. Und die dann auch sehr gut ankündigen: „Die nächste Nummer hat etwas sehr Herbstliches, weil sie über den Frühling nachdenkt.“ Es folgte der falsett- und akustikverliebte Lagerfeuersong „Some Oceans Away“.

Musikalisch kommt das aktuelle Album „Love Club Members“ in den Palettenfarben von ernsthaft-schön bis trendunterworfen-leichtfüßig (wenn „Rub My Eyes“ die Hearts-Hearts’sche Interpretation von The National ist, ist „Naked“ der nächstliegende Justin-Bieber-Moment, und hier spricht ein Fan) daher. Im Liveset aber hören wir auch hinein ins zweite Album „Goods/Gods“, dessen Titeltrack schließlich auch die letzte Nummer im Set am Donauinselfest ist. Ein Lied, bei dem man in die Höhe springen mag und nach den Streichern schnappen, die so elegant und flatterhaft über unseren Köpfen schweben. Musik mit Ideen.

Was Bläser so ausmachen können

„Burg Clam!“, ruft AVEC auf die auch ihr gestellte Frage, ob sie vorher schon auf einer vergleichbar großen Bühne gespielt habe. Dort hat AVEC schon für Sting und auch für Zucchero eröffnet.

Es gibt nicht viele andere österreichische Acts, die ihre Fancrowd über die letzten Jahre hinweg so stetig auf- und ausgebaut haben, wie AVEC. Das liegt an ihrer spektakulären Stimme -- hier sitzt JEDER Ton --, an ihrer sehr guten, höchst professionellen Liveband und dem Gespür dafür, was ein Song live braucht. Das musikalische Zuckerl beim Auftritt von AVEC ist die traurige Kraft der Posaune (gleich nach Gitarrist Andi Häuserers besten John-Mayer-Soli-Momenten). Eine Lektion in Sachen Liveklangfarbenauffächerung haben so etwa auch Big Red Machine bei ihrem Auftritt in der Late Night Show mit Stephan Colbert vor kurzem geboten. Das ist nicht so weit hergeholt, wie es klingt: Auch Pop-Alleskönner Justin Vernon ist Teil dieser Gruppe -- und er ist Miriam Hufnagls größtes musikalisches Vorbild.

AVEC auf der Bühne

Alexander Müller

Ein weiteres Motto am Donauinselfest gestern Abend: Nur Hits! (Auch, wenn Hearts Hearts das sympathischerweise kopfschüttelnd abtun.) Also beginnt AVEC mit „Over Now“. „We’re gonna dance the night away“ singt sie, aber auch schmusen ist bei ihren Konzerten immer eine gute Option. Das können seit gestern mindestens 20 weitere Pärchen bestätigen.

Das Schema der folgenden Lieder ist immer ähnlich und das macht gar nichts. Hier ist alles perfekt ausgedacht und arrangiert. Die Band wirkt, als wäre dieser Auftritt ihr Heimspiel nach einer dreijährigen Welttournee. Laute Rufe nach einer Zugabe gehen schon nach den letzten Takten los, das Set hat keine Stunde gedauert. Die Auftritte sind allesamt streng getaktet, und das ist nicht nur schlecht. Auch die Umbaupausen waren schnell vorbei.

1995 ist das Geburtsjahr von AVEC. „1995“ heißt das Album, das Kruder & Dorfmeister im titelgebenden Jahr produziert, aber erst heuer veröffentlicht haben. Nur mal so zur zeitlichen Einordnung.

Eine Zeitreise, die keine ist

Über das Wiederentdecken dieses Albums, das sie der Legende nach damals an nur zehn Freund*innen weitergegeben haben, erzählen Peter Kruder und Richard Dorfmeister im FM4 Interview: „Das war total interessant für uns, weil wir die Zeit in Wirklichkeit komplett vergessen haben. Weil wir immer im Neuen leben, und als wir das Album wiederentdeckt haben, war das so, als würden wir eine Erinnerungskiste aufmachen. Wir haben dann viel über unsere memories gesprochen, was wir sonst eigentlich auch nie machen. Es war ein Lernprozess über uns selbst.“

Was sie eh schon gewusst haben, aber sich mit „1995“ noch einmal selbst bestätigen konnten: Kruder und Dorfmeister gehören zu den Architekten der zeitgenössischen elektronischen und überhaupt der österreichischen Musikszene. Nach ihnen ist viel passiert (HVOB! Parov Stelar!), davor eher weniger. Spricht man mit Fans der ersten Stunde über Kruder & Dorfmeister, fallen immer wieder Worte wie „Zeitlosigkeit“, sie selbst sagen dazu: „Wir wollten immer schon classics machen, das war früher unser Ding und das ist es heute. Trendmusik liegt uns nicht.“ Damit unterwerfen sie sich auf gewisse Weise nicht der immer zyklisch funktionierenden Popwelt -- auch, wenn ihnen das aktuell sogar entgegenkommen würde. Was Mode, Musik und Lifestyle angeht, schielen junge Menschen aktuell gerade wieder stark zurück in die 90er Jahre, und da wären wir ja auch wieder bei Kruder & Dorfmeister und ihrem neu-alten Album.

Das Publikum an diesem Freitagabend ist feierwütig und ein bisschen in die Jahre gekommen. Aber nicht nur. Menschen, die Kruder & Dorfmeister zum ersten Mal sehen, sagen etwa: „Ich liebe es, wenn dieser Bass im Magen so ein bisschen vibriert.“ Andere, die von der U-Bahn extra hergehetzt sind, um keine Sekunde zu verpassen: „Sowas kann man sich nicht entgehen lassen. Das sind Legenden.“

Kruder und Dorfmeister auf der Bühne, im Hintergrund die Projektion von zwei Menschen im Weltraum

Manuel Domnanovich

Hört man sich die Musik von Kruder & Dorfmeister zu Hause an, kann man nachvollziehen, warum oft gesagt wurde, das sei Fahrstuhlmusik bzw. Musik, die in überteuerten Franchise-Coffeeshops läuft. Ist halt alles sehr bekömmlich und laid back und so aufgebaut, dass einem die kleinen Details eventuell entgehen könnten, wenn man nicht aufmerksam hinhört. Live ist das nicht so. „Wir wollen den Liveaspekt des Auflegens und DJings nicht wegfallen lassen, und wenn man viel spielt, transportiert man viele Styles hinein, Tanzstyles in dem Fall, neue Sounds, mit denen wir ja ständig konfrontiert sind. Die wollen wir mit unserer Trademark kombinieren.“ Zwei Männer, zwei Laptops, viel Pyrotechnik, ausgefuchste Visuals. Gesichter sieht man keine, aber das gehört auch nicht unbedingt zur Liveästhetik von Kruder & Dorfmeister.

Die Menschenmenge ist sehr glücklich. So oder so ähnlich lauten sonst immer die blödesten, weil nächstliegenden und naivsten Festival-Review-Schlusssätze. Nach so langer Zeit war das aber die eigentlich wichtigste Beobachtung an diesem Abend. Herz: erwärmt. Also gehört auch der letzte Satz dem Publikum und auch er ist naiv, einfach und die schlichte Wahrheit: „Endlich mal wieder ein bisschen Freiheit.“

Das Donauinselfest 2021 in tvthek.ORF.at

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