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Bandportrait Public Service Broadcasting

Alex Lake

Public Service Broadcasting: Ein magisches Werk über Berlin

Elektrische Pulse der Straßenbahnbeleuchtung, poetische Gedichte und Legenden der Hansa-Studios. „Bright magic“ von den Londoner Public Service Broadcasting ist ein Meisterwerk über Berlin, gespickt mit Referenzen und Zitaten, Gastsänger*innen und filmmusikalischem Konzept.

Von Andreas Gstettner-Brugger

Es ranken sich viele Mythen um die Großstadt Berlin, deren Namen und den Bären, der auf dem Wappen und an vielen Orten der Stadt zu sehen ist. Der Ursprung des Wortes Berlin soll sich von dem Slawischen „Berl“ herleiten, was so viel wie „Sumpf“ oder „Morast“ bedeutet und der Endung „in“, was soviel wie Wohnstätte oder Ort heißt.

So kreischen die Vögel und es blubbert und gluckst, wenn das Londoner Quartett Public Service Broadcasting mit dem Titel „Der Sumpf (Symphonie der Großstadt)“ ihr Album „Bright Magic“ eröffnen. Ein tiefer Synthie-Bass und melancholische Klavierklänge begleiten uns, als wir durch eine nebelige Sumpflandschaft waten. In dem Song liegt jedoch auch schon die Referenz an die Anfänge der Industriestadt, schließlich bezieht sich der Titel auf den Film von Walther Ruttmann „Sinfonie der Großstadt“ von 1927. Es ist ein sphärischer, filmmusikalischer Einstieg in die komplexe und gleichzeitig zugängliche Elektro-Pop-Welt von Public Service Broadcasting, die mit viel Recherche und Liebe zum Detail über die letzten Jahre entstanden ist.

Im Licht der Großstadt

Public Service Broadcasting sind bekannt dafür, Konzeptalben über historische Begebenheiten zu schreiben. So erzählen ihre hauptsächlich instrumentalen Werke, gespickt mit Archivaufnahmen, von öffentlichen Informations- und Propagandafilmen, zum Beispiel vom Wettlauf ins All zwischen den USA und der UdSSR in den 1950er und 1960er Jahren, wie auf „Race For Space“ oder vom Aufstieg und Fall der britischen Kohleindustrie auf „Every Valley“. Auch für „Bright Magic“ hat sich Mastermind J. Willgoose, Esq. wie ein Autor durch Bücher, Dokumentarfilme, Gedichte und historische Schriften gearbeitet, recherchiert und sich von den Größen der Popgeschichte wie David Bowie oder Depeche Mode und ihrer Berlin-Zeit inspirieren lassen. Schließlich ist der Londoner Musiker selbst für knapp neun Monate nach Berlin gezogen, um die Eindrücke der Stadt auf sich wirken zu lassen.

Public Service Broadcasting Albumcover "Bright Magic"

Play It Again Sam

Der Titel „Bright Magic“ ist angelehnt an die Kurzgeschichte „Heitere Magie“ des deutschen Psychiaters und Schriftstellers Alfred Döblin und an Fritz Langs Kultfilm „Metropolis“, die beide das Grundthema „Illumination und Imagination“ vorgegeben haben. Berlin war schon vor dem Ersten Weltkrieg mit dem Osram-Werk einer der Hauptproduktionsorte für Glühbirnen für Europa und die Leipziger Straße war einer der ersten elektrisch beleuchteten Wege der Stadt.

Auf dieser ist J. Willgoose, Esq. mit einem elektromagnetischen Breitband-Aufnahmegerät in der Nacht entlanggegangen, um die elektronischen Pulse der Stadt einzufangen, die sich als Beat und Soundflächen in dem Stück „Im Licht“ am Album wiederfinden. Auch mit Glühbirnen selbst haben Public Service Broadcasting im Studio experimentiert. Das Zerschlagen einer großen Glühbirne ist am Ende des Songs zu hören, wobei die entstandenen Scherben, in einen Plastikbehälter gefüllt, dann als Percussioninstrument eingesetzt worden sind.

Ein weiterer Film und seine Musik bestimmte maßgeblich den Sound der neuen Platte von Public Service Broadcasting. Hört man das epische Stück „The Visitor“, ist man sofort an den griechischen Komponisten Vangelis und seinen Soundtrack zu „Blade Runner“ erinnert.

J. Willgoose, Esq.: „Dieser Film und seine Musik haben für mich genau die Stimmung, die ich für die musikalische Landschaft einer Platte über Berlin im Kopf hatte. Denn in der Anfangssequenz von „Blade Runner“ sieht man die Zukunftsvision einer wilden Industriestadt mit ihren Feuerschloten. Das erinnerte mich daran, dass im 19. Jahrhundert die industrielle Hauptzone Berlins ‚Feuerland‘ genannt worden ist. Und „Blade Runner“ hat auch viele Referenzen zu „Metropolis“, der Film von Fritz Lang, der viele Science-Fiction-Filme beeinflusst hat.“

Odyssee im Weltraum, Marlene Dietrich und die Hansa Studios

Ein weiterer Film hat das Album „Bright Magic“ geformt. Es ist in drei Kapitel unterteilt und ähnelt damit der Erzählstruktur Stanley Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“. Im ersten Teil wird die Stadt erbaut, was vor allem der Song „Der Rhythmus der Stadt“ hörbar macht. Der Text stammt von Einstürzende Neubauten-Sänger Blixa Bargeld, der als Vorgabe hatte, mit den Plakataufschriften „Wir bauen für sie“, die J. Willgoose, Esq. in Berlin häufig gesehen hat, zu arbeiten. Entstanden ist ein Industrial-beeinflusster Elektro-Pop-Song, bei dem Blixa Bargelds Stimme die personifizierte Stadt zu sein scheint.

„Die Stadt ist die Maschine
Ingenieure in der riesigen Maschine
formen den neuen Mensch“

Im zweiten Kapitel der Platte widmen sich Public Service Broadcasting den illustren und illuminierenden Charakteren, die diese Stadt hervorgebracht und diese auch beeinflusst haben. Allen voran Marlene Dietrich, der das Glanzstück des Albums „Blue Heaven“ gewidmet ist. J. Willgoose, Esq hat sich dafür die Berliner Sängerin Andreya Casablancas der Band Gurr ins Studio geladen, da sie die punkige Energie der Berliner Ikone perfekt in den Song übertragen hat.

J Willgoose, Esq.: „Sie fängt diese Attitüde der Rebellin Marlene Dietrich gut ein, die mutig genug war, sich im Zweiten Weltkrieg gegen das Nazi-Regime zu stellen und sich für die Alliierten einzusetzen. Oft wurde sie bespuckt und als Verräterin beschimpft und zog nie wieder nach Berlin zurück. Marlene Dietrich hat aber nie die Kontrolle über ihr Image und damit auch ihr Leben hergegeben. Das Zitat ‚Ich habe noch einen Koffer in Berlin‘, das wir im Song verwenden, ist für mich ein Hinweis, dass sie sogar die Kontrolle über das Ende ihres Lebens hatte. Denn nach ihrem Tod im Exil wurde sie in Berlin beerdigt und ich denke es war ihre Art zu sagen: Egal was ihr über mich denkt, Berlin ist meine Stadt und hier werde ich begraben.“

Die musikalischen Referenzen auf „Bright Magic“ sind unglaublich vielschichtig. Die meisten lassen sich auf Werke zurückführen, die in den legendären Hansa Studios aufgenommen worden sind, in denen Public Service Broadcasting auch ihr Werk „Bright Magic“ eingespielt haben. Vor allem David Bowies „Low“ war für J. Willgoose, Esq. der initial spark für das Album. So hört man im dritten Kapitel der Platte und dem ersten Teil der „Lichtspiele“-Trilogie eindeutig die Atmosphäre des David Bowie- und Brian Eno-Stücks „Warszawa“ heraus.

Eine weitaus deutlichere Referenz ist im Track „People, Let’s Dance“ zu finden. In etwas abgewandelter Form spielt sich die Londoner Band darin mit dem Riff von „People Are People“ von Depeche Mode, aus ihrem Album „Some Great Reward“ aus dem Jahr 1984, das auch in den Hansa Studios entstanden ist. Außerdem steckt in allein diesem Song laut J. Willgosse, Esq. der Geist von Bands wie New Order, Kraftwerk, Neu!, Cluster oder Harmonia. Für den Gesang ist die norwegische Musikerin Anne Lena Bruland alias EERA im Studio gestanden, deren Akzent dem Text eine ganz besondere Note gibt.

„Salziger Schweiß
Bewegungen der Seelen
Hier spielen sie kraftvolle Musik
Warum nicht tanzen kommen?“

Magie der Großstadt

Public Service Broadcasting haben ein popmusikalisches Meisterwerk geschaffen, das an jedem Punkt eine Verbindung zu Berlin transportiert und eine unterschwellige Stimmung der vibrierenden Großstadt in seinem Sound wiedergibt. Die soziologisch-ökonomische, kulturelle und musikalische Geschichte dieser Metropole wird in die teils glitzernden, teils düsteren Songs verwoben. Die liebevoll erarbeiteten Details, die versteckten Referenzen und poetischen Betrachtungsweisen ergeben trotz aller musikalischen und textlichen Zitate eine neue Erfahrung und bieten manchmal auch neue Blickwinkel auf die inspirierende Stadt. Selten hat eine Band die Magie, Sehnsüchte und Mythen von Berlin in Songs gegossen und dabei auch die Mensch-Maschine-Metapher, die Industrialisierung und damit einhergehende Dystopie von Science-Fiction-Filmen hörbar gemacht.

All das findet sich auch in dem Abschlussstück der Platte „Ich und die Stadt“. Eine wieder Vangelis-inspirierte Ballade, in der Schauspielerin Nina Hoss das Gedicht „Augen in der Großstadt“ von Kurt Tucholsky rezitiert.

„Dann zeigt die Stadt
dir asphaltglatt
im Menschentrichter
Millionen Gesichter:
Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick,
die Braue, die Pupille, die Lider -
Was war das? Vielleicht dein Lebensglück…
vorbei, verweht, nie wieder.“

J. Willgoose, Esq.: „Auch wenn man Deutsch nicht versteht, ist es ein wundervolles Gedicht, allein vom Rhythmus her. Er fasst für mich fast alles zusammen, was ich in meiner Zeit in Berlin erlebt habe. Diese flüchtigen Momente, die unvorhergesehenen Begegnungen und Zufälle, die alle deine Geschichte ein wenig ändern können. Und bevor du er merkst, ist alles vorbei und wird sich so nie wieder ereignen. Der Song drückt die Melancholie, aber auch die Dankbarkeit aus, dass ich all diese Erlebnisse haben konnte und es ist ein Glück, dass ich dieses wunderschöne Gedicht gefunden habe, um meine Berlingeschichte und das Album zu einem wunderschönen Ende zu bringen.“

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