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Filmstill "Die Schachnovelle"

© 2021 Studiocanal / Walker + Worm Film / Julia Terjung

Dame auf E6: Die Neuverfilmung von Stefan Zweigs „Die Schachnovelle“

„Die Schachnovelle“ ist Stefan Zweigs letzte und bekannteste Novelle und ein Klassiker der Weltliteratur. Nach der Verfilmung 1960 durch Gerd Oswald kommt am Freitag, 24.9. nun eine neue Version von Regisseur Philipp Stölzl in die Kinos, mit Oliver Masucci, Albrecht Schuch und Birgit Minichmayr.

Von Philipp Emberger

„Solange Wien tanzt, kann die Welt nicht untergehen“, sagt Josef Bartok (Oliver Masucci) zu Beginn des Films. Kurz darauf hat es sich aber ausgetanzt für den Wiener Notar. Die Nationalsozialisten stehen kurz vor der Machtübernahme. Die österreichischen Flaggen werden schließlich von den offiziellen Gebäuden gerissen und durch riesige Fahnen mit Hakenkreuzen ersetzt. Die Vorgänge 1938 haben unter der Überschrift „Anschluss Österreichs“ Eingang in die Geschichtsbücher gefunden.

Im Film bedeutet der Anschluss Gefahr für Josef Bartok. Er verwaltet das Vermögen von ehemaligen österreichischen Adeligen und gerät so ins Visier der Nationalsozialisten. Sie haben es auf das Vermögen und damit auf den Notar abgesehen.

Düstere, surreale Angelegenheit

Dass Regisseur Philipp Stölzl den Literaturklassiker von Zweig neu verfilmt, ist Zufall. Im Interview mit der B.Z. erzählt er, dass er den Produzenten des Films, Tobias Walker, bei einem Ausflug auf den Spielplatz mit seiner Tochter getroffen hat. „Die Schachnovelle“ ist nicht Stölzls erster Film mit Österreich-Bezug. 2019 hat er „Ich war noch niemals in New York“, nach dem gleichnamigen Musical mit Liedern von Udo Jürgens, verfilmt.

Das „neon-helle Treppenhaus“ in Jürgens’ Lied weicht nun der bedrohlichen Atmosphäre des Jahres 1938. Der Film, der sich genretechnisch irgendwo zwischen Historienfilm und Psychothriller bewegt, arbeitet mit düsteren und bedrohlichen Bildern. Etwa wenn Bartok mit seiner Frau Anna (Birgit Minichmayr) durch die dunklen Straßen Wiens fährt und sie dabei von Nationalsozialist*innen belagert und beschimpft werden. Der Notar wird dann auch ins Hotel Métropole, das Gestapo-Hauptquartier, gebracht und in Isolationshaft gesteckt.

Filmstill "Die Schachnovelle"

© 2021 Studiocanal / Walker + Worm Film / Julia Terjung

Szenenbild aus „Die Schachnovelle“

Ein zufälliger Fund eines Buchs mit gespielten Schachpartien wird zu seinem geistigen Rettungsanker in der Leere des Gefängniszimmers. Der Notar spielt die Schachpartien zunächst in seinem Kopf und später mit aus Brot geformten Figuren immer und immer wieder nach. In weiterer Folge verschwimmt dann die Grenze zwischen Wahn und Wirklichkeit immer mehr und der Film biegt in eine surreale Richtung ab.

Dazu kommt eine zweite Handlungsebene, die nach Bartoks Gefangenschaft auf einem Passagierschiff spielt. Auf dem Schiff trifft er auf den Schachweltmeister Czentovic. Im Film fließen die Handlungsebenen dann ineinander. Auf der einen Seite ist die Leere der Gefangenschaft und auf der anderen die Handlung auf dem Schiff nach Bartoks Gefangennahme. Traum und Realität sind nicht mehr unterscheidbar.

Die Verschmelzung der verschiedenen Ebenen kommt in Person des Schauspielers Albrecht Schuch („Berlin, Alexanderplatz“) daher. In einer Doppelrolle spielt er neben dem geschniegelten Gestapo-Offizier Franz-Josef Böhm auch den Schachweltmeister Czentovic auf dem Passagierschiff.

Filmstill "Die Schachnovelle"

© 2021 Studiocanal / Walker + Worm Film / Julia Terjung

Albrecht Schuch, hier in der Rolle als Franz-Josef Böhm

Birgit Minichmayr ist am 21.09.2021 in der FM4 Homebase im Interview zu hören. Sie spricht über ihre Rolle, warum Stefan Zweig in ihrem Leben sehr präsent ist und warum sie die Rolle des Josef Bartok auch interessant gefunden hätte.

Verengte Literaturverfilmung

„Die Schachnovelle“ zeigt auch Bartoks früheres Leben mit seiner Frau Anna – gespielt von Birgit Minichmayr. Ihre Mini-Rolle gibt es in der Literaturvorlage so nicht und dient mehr dazu, dem Leben der Hauptfigur Konturen zu geben oder wie Birgit Minichmayr im FM4-Interview dazu sagt: „Es gibt einen Bechdel-Test. Diese Frau, diese Figur würde den nicht bestehen. Es ist eine allegorische Figur“. Mit dem Bechdel-Test werden Rollen von Frauen hinsichtlich ihrer Selbstständigkeit und der Reproduktion von Stereotypen eingeordnet. In dem neuen Film ist Minichmayrs Rolle nur eine Projektionsfläche, um das Leben vor Bartoks Gefangenschaft und die Auswirkung dessen darzustellen.

Filmstill "Die Schachnovelle"

© 2021 Studiocanal / Walker + Worm Film / Julia Terjung

Birgit Minichmayr gibt als Anna die Frau des inhaftierten Josef Bartok

Wurde in Zweigs Novelle die Geschichte durch einen distanzierten Erzähler geschildert, begibt sich Regisseur Stölzl nun sehr nah an den Protagonisten heran. Er lässt die Distanz verschwinden und konzentriert sich vor allem auf die psychische Entwicklung seines Protagonisten. Diese wird sehr überzeugend von Oliver Masucci („Dark“, „Tribes of Europa“) dargestellt. Er ist in fast jeder Szene zu sehen. Sein Spiel wird sogar noch beeindruckender und vor allem intensiver, wenn seine Rolle immer mehr dem Wahnsinn verfällt.

„Die Schachnovelle“ lebt von der düstern und bedrohlichen Atmosphäre. Durch die Verengung der Geschichte gehen aber Ebenen der Vorlage verloren und die surreale Erzählung überlagert die historische Relevanz.

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