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Claire Fuller

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Prepper und Pianos: Fesselnde Herbstlektüre von Claire Fuller

Ein Vater verschleppt seine Tochter in einen abgelegenen Wald. Neun Jahre später kehrt sie zurück. Claire Fullers beklemmender und fesselnder Debütroman ist auf Deutsch erschienen.

Von Barbara Köppel

London, Mitte der Siebziger. Peggy Hillcoat ist gerade acht Jahre alt, als ihr Vater sie entführt. Er ist ein Prepper, der sich seit Jahren mit Schutzbunker und Hamsterkäufen auf den Weltuntergang vorbereitet. Die Mutter, eine erfolgreiche deutsche Pianistin, ist gerade auf Konzertreise, als ihr Mann mit der kleinen Peggy durch Europa trampt. Ziel ist eine verlassene Hütte irgendwo im bayrischen Wald, die ihr der Vater in den prächtigsten Farben ausmalt.

Die Realität sieht natürlich komplett anders aus. Nach einer kräftezehrenden Reise, auf der Peggy fast ertrunken wäre, erreichen sie eine stinkende „verfallene Hexenhütte“ mit Löchern im Dach und Unrat am Boden. Keine Spur von den Vorräten oder der Ausrüstung, die dem Vater ein Freund aus der Szene versprochen hat. Doch sein Stolz ist größer als sein Verantwortungsgefühl. Sie bleiben.

Dem Vater und der Natur ausgeliefert

Claire Fuller, geboren 1967 in Oxfordshire, hat Bildhauerei studiert, dann lange in einer Marketingagentur gearbeitet und erst mit 40 Jahren zu schreiben begonnen. Seither hat sie vier Romane und etliche Kurzgeschichten veröffentlicht. Ihr Debütroman „Unsere unendlichen Tage“ (im Original „Our Endless Numbered Days“) wurde auf Anhieb mit dem Desmond Elliott Prize ausgezeichnet und in 11 Sprachen übersetzt. Demnächst soll er verfilmt werden.

Nach einem starken Gewitter erzählt er seiner Tochter sogar, dass die restliche Welt vernichtet sei und demnach auch die Mutter tot. Peggy findet sich mit ihrem Schicksal ab und verwahrlost völlig.

Erst neun Jahre später kehrt sie in die Zivilisation zurück, und zwar allein. Aus ihrer Kleidung sind Lumpen geworden, und weil sie sich hauptsächlich von Eichhörnchen und Gras ernährt hat, hat sie schwere Mangelerscheinungen.

Einziger Trost ist ihr ein selbstgebautes Klavier gewesen, das zwar keinen Ton spielen konnte, aber Musik in ihrem Kopf erzeugte und sie zumindest in Gedanken zurück nach Hause zu ihrer Mutter versetzte:

„Das Klavier war grob und primitiv, aber ich glaubte, es sei das schönste Ding, das ich je im Leben gesehen hatte. Obwohl mein Vater die Tasten so gründlich zurechtgeschliffen hatte, blieben sie immer wieder aneinander hängen, und wenn ich länger spielte, bohrten sich Holzsplitter in meine Finger und ich bekam Blasen.“

Coming-of-Age, Krimi und grausige Fabel

Buchcover von Claire Fullers "Unsere unendlichen Tage"

Piper Verlag

„Unsere unendlichen Tage“ von Claire Fuller ist im Piper Verlag erschienen, in einer Übersetzung von Susanne Höbel.

Die kindliche Perspektive in „Unsere unendlichen Tage“ ist glaubwürdig, ohne simplifizierend zu sein, vor allem die Ambivalenz zwischen dem Ausgeliefertsein und der Liebe zu ihrem völlig verantwortungslosen Vater ist gut beschrieben.

Weniger glaubwürdig ist leider das grundsätzliche Szenario: Auch in den Siebzigerjahren hätte man schon Flugzeuge am Himmel gesehen und dass man im bayrischen Wald neun Jahre lang keiner Menschenseele begegnet, scheint mehr als unplausibel.

Dennoch ist der Roman so clever geschrieben, dass man ihn nicht aus der Hand legen mag. Die Erzählperspektiven sind geteilt in die Zeit vor und während Peggys Isolation und in die Phase danach, als sie sich wieder bei ihrer Mutter einlebt.

Bestens gesetzte Cliffhanger am Ende der Kapitel halten die grundsätzlichen Fragen am Laufen: Was ist wohl mit „Dad“ passiert? Und wie kommt man als Einsiedlermädchen durch die Pubertät? Teils Coming-of-Age-Story, teils Kriminalroman und grausige Fabel ist Claire Fullers Buch damit ein Pageturner, der sich perfekt als Herbstlektüre eignet.

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