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J Balvin

Universal Music

Auf „José“ erzählt J Balvin seine Geschichte

Er zählt zu den erfolgreichsten Künstlern aus dem lateinamerikanischen Raum, hatte bereits Features mit Beyoncé, Justin Bieber oder Cardi B und hat dabei geholfen, Reggaeton in den Mainstream-Pop zu bringen. Jetzt ist das 6. Studioalbum von J Balvin draußen. Darauf will er den Spalt zwischen J Balvin, dem Musiker und José Alvaro Osorio Balvin, der Privatperson schließen.

Von Melissa Erhardt

Flexen (also, das Angeben mit materiellen Dingen) sei nicht Teil seiner Kultur, hat J Balvin schon öfters in Interviews gesagt. In einem kürzlich veröffentlichten Billboard-Videoclip mit dem catchy Titel „The Business of Being: J Balvin“ hält er trotzdem die Fakten fest: 18 Millionen Dollar Einnahmen durch Touren, ein 100 Millionendollar Universal-Deal, millionenschwere Markenpartnerschaften und Immobilien auf der ganzen Welt. Dass Balvin derzeit einer der erfolgreichsten Pop-Musiker ist, ist längst keine Frage mehr.

Vor allem zur Entwicklung des Reggaetons, der aus Dancehall, Hip-Hop und spanischem Reggae entstanden ist und seit Jahren Einzug in die Billboard-Charts findet, hat er einiges beigetragen: Er war ein wichtiger Teil einer Bewegung, die das Genre, das zuvor hauptsächlich von Puerto Rico dominiert wurde, neu erfunden haben. „Kolumbien hat den Reggaeton in einer sehr schwierigen Zeit gerettet“, sagt der puerto-ricanische Comedian Chente Ydrach dazu in seinem Interview mit J Balvin und spielt damit auf die post-Gasolina-Zeit an, als Reggaeton weltweit eine kurze Blütezeit erlebt hat, die dann aber schnell wieder abgeflacht ist: „Ihr habt ihn pop-tauglich gemacht und es geschafft, dass mehr Geld reingepumpt wird. Das hat uns gerettet“.

Playlist-Charakter á la Drake

Vor zwei Wochen hat J Balvin nun sein sechstes Studioalbum „José“ rausgebracht. Darauf will der 36-jährige Musiker aus Medellin seine Geschichte erzählen – und den Spalt zwischen J Balvin, dem Künstler, und José Álvaro Osorio Balvin, der Privatperson, schließen, wie er erklärt: „Viele Menschen sehen den Ruhm und den Erfolg, aber wenige sehen die Geschichte, die dahintersteckt“.

Aus insgesamt 60 fertigen Tracks hat Balvin 24 ausgewählt, die es auf „José“ geschafft haben. Im Gegensatz zu seinen letzten Alben, die ein klares Konzept hatten (auf „Colores“, seinem letzten Album, war etwa jeder Song nach jener Farbe benannt, die J Balvin und seinem Team beim Hören des Songs als erstes in den Kopf geschossen kam), fährt Balvin mit „José“ eher den drake‘schen Playlist-Album Style: Ein Mix aus verschiedenen Genres, unzähligen Features und einer Abwechslung aus Rap-Flow und Pop-Melodien. Dass er sich dabei wirklich an Drake orientiert haben könnte, ist nicht unwahrscheinlich. Neben Jay-Z und Kanye West zählt der Kanadier zu seinen größten Vorbildern, vor Jahren hatte er einmal gesagt: „I see myself like what Drake did in the game. I came with melodies and different lyrics, from a different place – reggaeton is from Puerto Rico, Drake is from Canada. (…) That’s the best way to tell the story to America.”

Musik, die verbindet

Der Großteil der Tracks auf „José“ lebt von einem relativ einfachen Konzept, das der 36-jährige mit seinem langjährigen Produzententeam – allen voran sein kolumbianischer Kollege Sky Rompiendo und der puerto-ricanische Reggaeton-OG Tainy – perfektioniert hat: Ein kurzes Intro, das sich an flirrenden Sounds („La Venganza“), 00er Gitarrenriffs à la TLC („Bebe que bien te ves“) und fast schon heulenden Synthies bedient, bis dann mit der Hook der für das Genre so typische Dembow-Beat einsetzt: Fertig ist der Track.

Damit bewegt er sich vor allem im Rahmen des von ihm mit-etablierten „Feel-Good-Reggaeton“, den er in den letzten Jahren mit Bühnenshows voller bunten Regenbögen, Dinosaurier und anderem Kitsch an die Spitze getrieben hat. J Balvins Ziel war es von Anfang an, mit seiner Musik eine globale Kultur zu etablieren, bei der man sich über verschiedene Sprachen und Kulturen hinweg versteht und das Verbindende in den Mittelpunkt stellt – oder wie er auf seinem 2017 veröffentlichten Hit „Mi Gente“ gemeinsam mit dem französischen Sänger Willy William singt: „Mi Musica no discrimina a nadie (...) El mundo nos quiere“: „Meine Musik diskriminiert niemanden, die Welt liebt uns“.

Solche Tracks sind auf „José“ etwa „Una Nota“ mit dem panamaischen Sänger Sech, „Vestido“, oder „Lo que Dios Quiera“. Dass weder musikalische noch regionale Grenzen in Balvins Musik eine Rolle spielen, zeigt er gemeinsam mit Skrillex auf „In da Getto“, einer Neuinterpretation des 90er-Dance-Hits von David Morales and the Bad Yard Club feat. Crystal Waters und Delta Bennett, das längst zum viralen Hit auf TikTok wurde und – wenn man sich darauf einlässt – wirklich Spaß macht. Oder auch auf „Otra Noche Sin Ti“, einer leidenschaftlichen R’n’B-Ballade, auf der auch der texanische Sänger Khalid einmal ins Spanische wechselt.

Zuletzt hatte sich J Balvin aber auch in anderen Gewässern fernab der kitschigen Feel-Good-Musik ausprobiert. Das beste Beispiel hierfür ist wohl sein kürzlich erschienener Remix des Tracks „TATA“, gemeinsam mit Daddy Yankee, Eladio Carrón und Bobby Shmurda, wo sich Balvin erstmals an Drill heranwagt und damit eine ganz neue Seite von sich zeigt. Dass er sich von Hip Hop inspirieren lässt, wussten wir zwar schon, wird aber auf seinem neuen Album mit Tracks wie „F40“, „Billetes de 100“ oder „La Familia“ besonders sichtbar.

Intimes Vater-Sohn-Versprechen

Bisher ist es allerdings schwierig, nachzuvollziehen, warum und wie „José“ Balvins Geschichte erzählen soll. Das ändert sich im letzten Drittel des Albums, das dem Album nicht nur Substanz, sondern auch Spannung und Wiedererkennungswert gibt. Verantwortlich dafür sind vor allem die Nummern „7 de Mayo“ und „Querido Rio““.

Auf „7 de Mayo“ verhandelt Balvin seine Identität irgendwo zwischen Unter- und Oberklasse („Era muy nea pa‘ los rico‘ y muy rico pa‘ la‘ nea“; Ich war zu „Hood“ für die Reichen und zu reich für die aus der Hood“). Er erzählt von Depressionen und Angstzuständen, die er nur mithilfe von Meditation überwunden hat, er offenbart einen Blick hinter eine Art fragiler Männlichkeit, wenn er davon spricht, wie er sich mit „tausenden“ von Frauen eingelassen hat, weil er dachte, das mache ihn zu einem „richtigen“ Mann. Dazwischen hört man Stimmen seiner Mutter und seines Vaters, die ihn daran erinnern, dass Bescheidenheit und Ehrlichkeit die wichtigsten Werte sind.

„Querido Rio“ ist ein Song, den er für seinen kleinen Sohn geschrieben hat. Das Schreiben des Tracks sei das schwierigste am ganzen Album gewesen und tatsächlich ist der Track ganz anders, als der Rest: Eine minimalistische Gitarre neben dem scheppernden Herzschlag-Beat (der echte Herzschlag seines kleinen Sohnes); hier wird eine ruhige, fast intime Atmosphäre kreiert, während Balvin ein wunderschönes Vater-Sohn-Versprechen ablegt („Solange du mich nicht von deinen Träumen ausschließt, wirst du immer einen Ratgeber haben“). Gegen Ende wird diese intime Atmosphäre von Vogelgezwitscher und einem aufblühenden Sound in eine Art Parallelwelt getragen, die dem Song einen gewissen Nachdruck verleiht.

Insgesamt wünscht man sich ein bisschen, Balvin wäre noch stärker in seine Gefühlswelt eingetaucht, anstatt sich an safen, aber teilweise unaufgeregten Bangern festzuhalten. Das Album mit so vielen ähnlichen Songs unnötig in die Länge zu ziehen, hätte auch nicht unbedingt sein müssen. Aber dennoch: Balvin weiß was er macht, und das macht er gut. Und auf diese Weise kann sich jeder aussuchen, welchen Balvin er/sie am liebsten mag: Den Dance-Pop-Balvin, den Trap-Balvin, oder den gefühlvollen Balladen-Balvin.

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