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Gräber in Srebrenica

APA/AFP/ELVIS BARUKCIC

„Der dümmste Krieg“: Bogumil Balkansky will falsche Bilder über den Jugoslawienkrieg korrigieren

Der Autor und Kolumnist Bogumil Balkansy versucht, 30 Jahre nach dem Beginn der blutigen Konflikte auf dem Balkan, die Jugoslawienkriege zu erklären - was ihm eindrucksvoll gelingt.

Von Simon Welebil

Im Juni 1991 erklärten sich Slowenien und Kroatien unabhängig vom Staatsverband, dem sie seit 1945 angehört hatten - der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien -, was nicht nur zu neuen Staaten, sondern auch zu einer Serie von Kriegen auf dem Gebiet führte.

Jugoslawien hatte allein im 20. Jahrhundert eine Menge Kriege erlebt, angefangen vom Ersten und Zweiten Balkankrieg in den Jahren 1912 und 1913 über Ersten und Zweiten Weltkrieg bis zum „Jugoslawien-zerreißt’s Krieg“. „Von all diesen Kriegen, die meine Heimat betroffen haben im 20. Jahrhundert, ist das sicher der dümmste Krieg“, meint Bogumil Balkansky im Interview.

Bogumil Balkansky

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Bogumil Balkansky

Bogumil Balkansky ist in Belgrad auf die Welt gekommen und auf der kroatischen Insel Brač und in Wien aufgewachsen. Nach Ausbruch des Krieges war er acht Monate als Freelancer in Kroatien, wo ihn wegen seines typisch serbischen Namens oft nur sein österreichischer Pass gerettet habe. Dabei habe er Situationen erlebt, die ihn noch bis heute verfolgen würden.

Jeder, der dir erzählt, man kann sich das von der Seele schreiben, ist ein Vollidiot und weiß nicht, wovon er redet. Man kann sich das nicht von der Seele schreiben.

Viele dieser Situationen hat er bereits in autobiographischen Glossen und Essays für den Standard verarbeitet, und auch sein aktuelles Buch habe er als Essayist geschrieben, wie er schon im Vorwort anmerkt, weil er weder Journalist noch Historiker sei. Das Schreiben über den Krieg sei für ihn eine Tortur gewesen, der er sich dennoch unterzogen habe, um ein Narrativ zurechtzurücken.

Nicht nur „die Serben“ waren Täter

„Es gibt dieses Narrativ vom Anfang des Krieges, von ‚Nur-Tätern‘ und ‚Nur-Opfern‘, das sich später als nicht richtig erwiesen hat. Wir dürfen nicht vergessen, es waren Vertreter aller drei kriegsführenden Ethnien vor Gericht in Den Haag - und es gab Schuldsprüche und Freisprüche innerhalb aller drei Ethnien. D.h. das Frühkriegsnarrativ ’91, sogar noch ’92, von den Serben als ‚Nur-Tätern‘ und den Kroaten als ‚Nur-Opfern‘ ist nicht haltbar, ist aber noch nicht durchgedrungen im deutschsprachigen Raum. Das merke ich an den Fragen, die mir gestellt werden“, sagt Balkansky im Interview.

Buchcover von Bogumil Balkanskys "Der dümmste Krieg. Ein kurzer Weg nach Srebrenica". Darauf zu sehen eine jugoslawische Fahne in Flammen

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„Der dümmste Krieg. Ein kurzer Weg nach Srebrenica“ von Bogumil Balkansky ist in der redelsteiner dahimène edition erschienen.

Am 14.10.2021 wird das Buch im Wiener Phil präsentiert.

Balkansky versteht sich als Erklärer für den deutschsprachigen Raum, der Geschichte über Geschichten erzählt. Dabei wertet er offen zugängliche Quellen und sein eigenes Archiv aus und gibt so das Bild wieder, das er sich vom Krieg gebildet hat. „Es liegt offenbar an mir, dem deutschsprachigen Publikum ein Bild zu vermitteln, das das bisherige Bild korrigiert, wo Korrekturen notwendig sind, es bestätigt, wo Bestätigungen vielleicht auch notwendig sind und den Leuten sagt, dass der Krieg nicht bloß einen physischen Verlauf gehabt hat, sondern auch einen narrativen - am Anfang nur Täter, nur Opfer, das hat sich langsamst geändert! [...] Das ist hier [in Ex-Jugoslawien, Anm.] öffentliches Wissensgut, aber in Österreich, Deutschland und der Schweiz weiß das niemand!“

Der Weg nach Srebrenica

Zunächst unternimmt er dafür einen Ausflug in die Vergangenheit, besonders in die Zeit des Zweiten Weltkriegs, wo sich die Menschen am Balkan in verschiedenen Konstallationen bereits feindlich gegenüber gestanden sind, was nie aufgearbeitet worden ist. Danach stellt er die drei wichtigsten Akteure des Krieges in den 1990ern vor: die Präsidenten von Serbien, Kroatien und Bosnien, Slobodan Milošević, Franjo Tuđman und Alija Izetbegović, für die er eigentlich nur Verachtung empfindet. Er beschreibt, wie sie an die Macht gekommen sind, über welche zwielichten Wege sie Waffen und Geld für den Krieg beschafft haben und wo sie ihre „Hyänen“ - Balkanskys Bezeichnung für die Leute, die die schmutzigen Arbeiten erledigt haben - gefunden haben.

Wenn ich drei archetypische Kriegsverbrecher hernehme, ist das für Menschen aus dem deutschsprachigen Raum schon was Neues.

Sehr wichtig ist ihm auch, zu zeigen, wie sie alle drei ähnliche „parallele Kommandostrukturen“ eingeführt und benutzt haben, also eine Mischung aus regulärer Armee und paramilitärischen Einheiten etabliert haben, die zusammen mit einer Atmosphäre der Straflosigkeit die Grundlage für die vielen Kriegsverbrechen waren.

Das Buch ist voll von exemplarischen Kriegsverbrechern bis hin zum Massenmord von Srebrenica, dem größten Kriegsverbrechen auf europäischem Boden seit 1945, im Zuge dessen serbisch-bosnische Einheiten 8.000 bosnisch-muslimische Zivilisten ermordet haben. Hier endet es auch inhaltlich und klingt dann mit Reportagen aus der Zeit der Kriege aus.

Balkansky folgt in seinem Buch nicht immer einem roten Faden. Diese Freiheit nimmt er sich bewusst heraus. Das Ende des Krieges in Bosnien, den Daytoner Frieden etwa, könne man auch woanders nachlesen. Er würde sich lieber auf Aspekte konzentrieren, die nicht Allgemeinwissen seien, wie eben das Opfer-Täter-Narrativ.

Mit seiner emotionalen Sprache erschafft Balkansky in „Der dümmste Krieg“ ein eindrucksvolles und schreckliches Bild der Kriege, in denen er kaum jemanden von Schuld freispricht und die für ihn noch lange nicht abgeschlossen sind.

„Wird das je aufhören? Für mich persönlich nicht. Geschichtlich - nicht so bald. Niemand regt sich mehr auf über die Punischen Kriege auf, aber das ist über 2.000 Jahre her. Ob das auch noch 2.000 Jahre dauert, bis all das am Balkan auch nur mehr geschichtliches Faktum ist und sonst nichts mehr erregt? Solange sich alle Teilnehmer da drinnen auf diesem kleinen Balkan nur über ihre Religionszugehörigkeit und ihre Nation definieren, solange es diese Möglichkeit dieses klerikalen Nationalfaschismus gibt, solange wird es Probleme am Balkan geben und gegenseitiges Blutvergießen. Das ist meine Diagnose als Balkanbewohner, der die Geschichte und Menschen von dort gut kennt und diese Alltagsvibration besser auffangen kann als jeder Historiker, der theoretisch darüber schreibt.“

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