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Nuha Ruby Ra live am Donvaufestival in Krems

David Višnjić

Die Eröffnungsnacht des Donaufestivals 2021

Bendik Giske, Nuha Ruby Ra, Nazar: Der Abend zum Auftakt des ersten Donaufestivals im Herbst machte zärtliche Angebote und brachte unter pandemischen Bedingungen Nähe und Trost.

Von Katharina Seidler

Geduld und Ausdauer, die verspricht der Metallbüffel als Wappentier des chinesischen Mondjahres, und auch das Donaufestival hat seine zweimal verschobene, aktuelle Edition unter seine Schirmherrschaft gestellt. Seit jeher steht das Festival für markerschütternde Kunst, für Konfrontation und wohldosierte Überforderung als Booster für Erkenntnis und Wachstum, doch die Realität hat die Parallelwelt in Krems in den letzten zwanzig Monaten längst eingeholt.

donaufestival.at

„In the Year of the Metal Ox“

1. bis 3. und 8. bis 10. Oktober 2021

Hier gibt es einen Überblick über das gesamte Line-up sowie unsere FM4 Homebase Spezial zum Donaufestival im FM4 Player.

Das Zertrümmern eines gesellschaftlichen Systems muss kaum mehr in Theorien und Utopien verhandelt werden, wenn sein Gefüge im Alltag bereits am Zusammenbrechen ist, und dementsprechend setzt das diesjährige Donaufestival, vielleicht mehr als sonst, Kontrapunkte zum Zeitgeist und Allgemeinbefinden. Es geht in vielen Programmpunkten um Trost, um Begegnungen und Berührungen, um weltumarmenden Pop für eine verbundene Welt.

Bendik Giske live am Donvaufestival in Krems

David Višnjić

Bendik Giske

Dementsprechend zärtlich startet das Festival mit den wundersamen Klanggebilden des norwegischen Saxophonisten Bendik Giske in den Eröffnungsabend. Mittels Zirkularatmung, erlernt in seinen Jugendjahren in Indonesien, flicht Giske im Bauch der Minoritenkirche minutenlange Melodieschlingen. Wie der kanadische Saxophongott Colin Stetson erweitert Bendik Giske das Klangspektrum des Instruments ins scheinbar Unendliche, er singt Obertöne und Gegenmelodien und klopft mit seinen Fingern auf magische Weise auch noch Rhythmen auf das Metall. Kontaktmikrophone an seinem Brustkorb verstärken das Klicken der Saxophonklappen, das Luftschnappen, Schwitzen und Vibrieren des menschlichen Körpers, das Instrument wird zum Verstärker, der Atem, Aerosole - letztlich ein Stück Seele - als luftige Wolken in den Himmel schickt.

Bendik Giske live am Donvaufestival in Krems

David Višnjić

„Die Pandemie hat mir die Macht des Atems noch einmal verstärkt vor Augen geführt“, erzählt Bendik Giske im Interview in der Kremser Nachmittagssonne. „Es wurde mir umso mehr bewusst, wie stark er einen Raum voller Menschen berühren kann. In künstlerischer wie in buchstäblicher Hinsicht.“ Minimal Music, Ambient und Ideen aus der queeren Technokultur treffen bei Bendik Giske auf allzumenschliche Kunst von transzendentaler Schönheit.

Als eine Art Gegenprogramm sind an diesem Abend die Acts Elvin Brandhi und Duma auf Konfrontation gebürstet, auf höchst unterschiedliche Weise.

Elvin Brandhi live am Donvaufestival in Krems

David Višnjić

Elvin Brandhi

Die walisische Weltenbürgerin Elvin Brandhi geht normalerweise vor allem mittels Vokalimprovisation auf Tuchfühlung mit dem Publikum, indem sie aus Schreien, Kieksern, Fantasiesprachen rhythmische Mini-Popsongs aus der elektronischen Noise-Schlacke herausschält. Bei ihrem Set am Donaufestival verzichtet sie allerdings fast gänzlich auf den Einsatz ihrer Stimme, sondern erschafft im Gerätepark ein düsteres Soundszenario wie aus einem Horror-Game. Kellertüren schlagen, Hunde bellen, Metall fährt kreischend über Metall, ein Geisterbahnwagen stürzt ins Bodenlose.

Duma live am Donvaufestival in Krems

David Višnjić

Duma

Später in der Nacht, wenn man sich vielleicht schon in der Performance „Linger on“ von Lisa Hinterreithner flauschige Streicheleinheiten oder durch das reglose Liegen auch eine Dosis Kälte in die müden Glieder geholt hat, zerlegt das kenianische Duo Duma die Halle 1 des Kremser Messegeländes.

Duma live am Donvaufestival in Krems

David Višnjić

In ihren zartesten Momenten beschwören die atmosphärischen Synthesizer von Martin Khanja alias Lord Spike Heart und Sam Karugu den unheilsamen Traumpop aus der Witch-House-Ära, bevor ihre Power Electronics und Black-Metall-Noisegewitter die Nebelschwaden wieder hinwegfegen. Dann growlt sich Lord Spike Heart unter der Sturmmaske um Kopf und Kragen, jedoch muss man für die beeindruckende Überwältigungsmusik von Duma am Ende des Festivalabends unbedingt noch genügend Kraft in sich tragen, um durch den gewaltigen Krach-Akt zur Erlösung zu gelangen. Wer auf die Stärkung durch beispielsweise eine endlich auch vegane Schnitzelsemmel vom Festivalbuffet verzichtet hat, droht auf der Stelle zu Staub zu zerfallen.

Nazar live am Donvaufestival in Krems

David Višnjić

Nazar

Witchhousige Klänge und hauntologische Ästhetiken findet man auch in der Musik von Nazar, des geheimen Headliners beim Festival-Auftakt, jedoch sind die Geister und Dämonen, die seine kluge, mitreißende Clubmusik bewohnen, sehr reale Erinnerungen und Erzählungen von den Gräueln des Krieges. Fast dreißig Jahre lang befand sich das Heimatland von Nazars Familie, Angola, wohin er als Vierzehnjähriger nach einer Kindheit in Belgien zog, in einem brutalen Bürgerkrieg, der auch seine Verwandten direkt betraf.

Nazar live am Donvaufestival in Krems

David Višnjić

Während Nazar beim Donaufestival dickflüssige Bässe durch den Raum brettern lässt, stellt er dem Publikum gleichzeitig moralisch komplexe Fragen: Wie kann man unbeschwert zum Knattern von Maschinengewehren tanzen? Seine raue Interpretation angolanischer Musiktraditionen erinnert an die Ursprünge von Kuduro nicht nur als Clubmusik, sondern auch als Tanzstil, der mit seinen zuckenden Bewegungen dem Tanzen mit Kriegsverwundungen nachspürt. Dennoch sprechen aus Nazars Musik auch das Glück des Überlebens, die Feier des Moments, die Möglichkeit von Heilung. Zweifellos bereits ein Highlight des ganzen Festivals.

Nuha Ruby Ra live am Donvaufestival in Krems

David Višnjić

Nuha Ruby Ra

Mit dem kurzfristig organisierten Auftritt der Londonerin Nuha Ruby Ra, die für die durch Visumsprobleme ausgefallene Arooj Aftab eingesprungen war, serviert das Donaufestival außerdem einen spannenden Entwurf zeitgemäßer, alternativer Popmusik, die in guten Alternative Radios ebenso in Rotation laufen wie bei Diskursfestivals zum Nachdenken anregen kann. Entkernter Trip Hop trifft bei Nuha Ruby Ra auf schrammelige Gitarren, momentweise kreuzt sich gar „Karma Coma“ mit „Underwater Love“, dazwischen gibt es punkige Aufschreie oder die düsteren Postpunk-Gesten der frühen Birthday Party. Durchhaltevermögen, Disziplin und Problemlösung, die Attribute des Metallbüffels bringen also zumindest für Augenblicke echte Erleichterung und Belohnung: Es geht voran, offenbar, irgendwie, zum Glück.

Irritative Soloperformance vor den Messehallen von Ingri Fiksdal beim Donaufestival 2021

David Višnjić

Irritative Soloperformance vor den Messehallen von Ingri Fiksdal beim Donaufestival 2021

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