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Bandportrait Granada hinter einem Fahrrad

©stella

Granada sind in der Blüte ihres Lebens

Vom energischen Summerfieber gepackt, brechen die Grazer Granada in der Blüte ihres Lebens auf, um sich mit dem Fahrrad den urbanen Raum zu erobern und über Enttäuschungen und Kämpfer*innen zu singen. Das dritte Album „unter Umständen“ ist ein spannender Akt des Pendelns zwischen trüben Aussichten und völliger Klarheit.

Von Andreas Gstettner-Brugger

„Ich würde sagen, wenn man schon einiges durchlebt hat und einige Erfahrungen gemacht hat und glaubt, man ist am Höhepunkt angelangt, dann ist man in der Blüte seines Lebens. Und vielleicht geht es von dort dann ... nur mehr bergab (lacht) und dann will man es nochmal so richtig auskosten, am Gipfel zu stehen. Bevor man die letzte Abfahrt macht.“

In dieser Aussage von Granada-Sänger Thomas Petritsch schwingt neben der von ihm bekannten Euphorie und guten Laune eine gehörige Portion Melancholie mit. Der Song „Blüte“ bringt die Stimmung des dritten Albums „unter Umständen“ recht gut auf den Punkt. Denn durch die 14 Songs zieht sich ein roter Faden, den Gitarrist Lukacz Custos als „etwas Trübes“ bezeichnet. Dann wiederum kommt immer wieder Klarheit auf. Es ist ein Pendeln zwischen dem Blick in die Vergangenheit und dem nach vorne. Da kann einem schon mal schwindlig werden, wie bei dem schnellen Rhythmus und der treibenden Energie des Songs „Blüte“.

Songschreiben in der Cloud

Das dritte Album „unter Umständen“ ist zwar in der Lockdown-Zeit geschrieben worden, aber es ist kein „Pandemie-Album“. Schließlich haben Granada schon davor begonnen, die Songs zu schreiben und sich 2020 als Zeit für die Produktion zu reservieren. Die veränderten Umstände haben jedoch zu einer neuen Arbeitsweise geführt. Zum ersten Mal hat Thomas Petritsch die Vorproduktion und das Songschreiben mehr aus der Hand gegeben. Alle konnten Songideen, Skizzen und Kompositionen beitragen. Aufgrund der Einschränkungen hat das Quintett auch die Arbeitsweise ändern müssen.

Albumcover "Unter Umständen" von Granada

Sony Music/Granada

Das dritte Album „unter Umständen“ von Granada erscheint am 08.10. bei Sony Music.

Alexander Christof: „Jeder musste am Samstag einen Song liefern. Egal, wie weit er ist. Bei mir hat das nicht so gut funktioniert, aber bei den anderen schon. So hat es dann immer Samstagmittag auf der Cloud neue Entwürfe gegeben, das war sehr spannend.“

Thomas Petritsch: „Da hat man sich dann immer schon so hinfreuen können auf das Wochenende - was gibt’s Neues? Wann kommt was? Wann wird die Cloud aktualisiert? Hat schon wer etwas hochgeladen?“

Diese Deadline hat dazu geführt, dass Thomas Petritsch die Grundidee für „Blüte“ innerhalb von dreißig Minuten geschrieben hat, um rechtzeitig vor 12:00 Uhr einen Songvorschlag hochzuladen. Manchmal kann dieser Druck anscheinend gute Früchte tragen.

Ein weiteres Novum war, dass Granada diesmal nicht mit einem Produzenten gearbeitet, sondern alles in die eigenen Hände genommen haben. Das hört man der Platte auch an. „unter Umständen“ klingt sehr direkt, energiegeladen und transportiert die Magie eines richtigen Bandalbums. Allein die Eröffnungsnummer „Pirouette“ zieht uns sofort auf die Tanzfläche, lässt uns drehende Tanzschritte vollführen, bis wir zwischendurch zum Spaß einen anmutigen, langsameren Tango einstreuen. Danach geht es auf der Autobahn nach Napoli, um dem „Summerfieber“ nachzufolgen. Ein geradliniger und beschwingter Road-Trip mit Akkordeon und treibenden Gitarrenriffs.

Das zackige „Lomari“ erinnert an die Indie-Rock-Glanzzeit der 00er Jahre, als die Leute in den Clubs zu Bands wie Mando Diao, Shout Out Louds, Yeah Yeah Yeahs oder Franz Ferdinand schweißgebadet getanzt haben. So hat die Nummer nicht nur mit dem augenzwinkernden Text etwas transzendentales. Sie verbindet die gar nicht so ferne musikalische Vergangenheit mit dem derzeitigen Wunsch, dem Party-Konzert-Gefühl wieder nachgehen zu können.

Von schiachen Liedern und Kämpfer*innen

Bei all der lustvollen und euphorisch klingenden Musik könnte man überhören, dass die Hintergründe der Songs von Granada durchaus ernste und politische sind. Am deutlichsten positionieren sich Granada hier mit ihrem Song „Mei Velo“. Es ist nicht nur ein guter Soundtrack zum aktuellen Klimakrisenprotest, sondern hat eine weiter gefasste Dringlichkeit.

Lukacz Custos: „Es geht um die Selbstermächtigung durch das Fahrrad. Besonders im Feminismus hat das Fahrrad eine große Bedeutung zur Zeit der Jahrhundertwende gehabt. Ich habe das sehr spannend gefunden, das Thema auch bei anderen Künstlern wie Queen oder David Byrne zu beobachten und was dahintersteht. Es geht auch um die Freigabe des urbanen Raums. Dass das Fahrrad auch eine Möglichkeit ist, Solidarität zu zeigen und gleichzeitig aktiv zu werden.“

Eines der Highlights der Platte ist „Leuchtturm“, eine hymnische Nummer, die all jenen Kämpfer*innen gewidmet ist, die sich für eine neue Idee einsetzen, Pionierarbeit leisten und dadurch nicht selten oft alleine dastehen. Es geht um einen „stillen Held, einen edlen Weisen“, an dem die Einsamkeit nagt und der einen ewigen Kampf führt, den er nicht gewinnen kann. Umgesetzt mit starken Chören und opulenten Mitsingmelodien hat diese Ode an die Kämpfer*innen für etwas Gutes einen Hauch von Don Quijote, allerdings ohne die Tragik von Miguel de Cervantes’ Roman.

bandportrait Granada

©stella

Aber es geht noch tiefer in die Dunkelheit der menschlichen Seele. In dem von Alexander Christof geschriebenen und von ihm selbst als „schiachen Song“ bezeichneten „Liebe deines Lebens“ geht es um Egoismus und die Erkenntnis, dass man in den Augen des Gegenübers nicht so viel wert ist, wie man ursprünglich gedacht hat. Diese schmerzhafte Ernüchterung wird mit einem schleppenden, walzerähnlichen Rhythmus und einer reinen Rohheit umgesetzt, die an den guten Tom Waits erinnert.

Etwas versöhnlicher ist der Abschluss der Platte, „Die Lichter gehen aus“. Es ist der Moment, in dem man realisiert, dass die Party vorbei ist, wenn alle nach Hause gehen und eine neue Zeit anbricht. Auch hier schwingt Melancholie mit, gleichzeitig wird dieses Ausgehen der Lichter lustvoll zelebriert.

So ist das dritte Album „unter Umständen“ von Granada ein vielschichtiges Werk geworden, das in der Blüte, oder vielleicht besser in der Mitte des Lebens kurz innehält, um das Vergangene nicht nur zu reflektieren, sondern auch zu feiern. Und es ist gleichzeitig die Energie und Freude herauszuhören - für das, was noch kommen mag. Auch wenn nach der Blüte eine vermeintliche „letzte Abfahrt“ beginnt, wie Thomas Petritsch es formuliert hat, so können wir sicher sein, dass Granada auch dafür einen Soundtrack mit viel Lebensfreude und frischer Energie schreiben werden.

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