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Porträtfoto Fritz Jergitsch

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Wie Facebook die Militärjunta in Myanmar gestärkt hat

Algorithmen haben mitunter schreckliche Konsequenzen: über die Gefahren von sozialen Medien schreibt Fritz Jergitsch, der Gründer des Satireportals „Die Tagespresse“, in seinem ersten Buch. Verknüpft mit praktischen Beispielen zeichnet er ein umfangreiches Bild der Gefahrenlage.

Von Philipp Emberger

Man kennt Fritz Jergitsch als Gründer der Satirewebsite „Die Tagespresse“. Vor kurzem ist ihm mit seinem Team ein echter Coup gelungen, haben sie doch die Kandidatur von Frank Stronach als Bundespräsident bekannt gegeben. Ein gefundenes Fressen für die heimische Medienlandschaft: innerhalb von Minuten prangte die erfundene Schlagzeile auf fast allen größeren Medienwebsites.

Cover Buch Fritz Jergitsch "die Geister, die ich teilte"

Residenz Verlag

„Die Geister, die ich teilte - Wie soziale Medien unsere Freiheit bedrohen“, 224 Seiten, Residenz Verlag.

Nun hat der Satiriker ein Buch geschrieben, in dem er sich mit den von den sozialen Medien ausgehenden Gefahren beschäftigt: „Die Geister, die ich teilte – wie soziale Medien unsere Freiheit bedrohen“. Darin verpackt er in plakativen Beispielen, welche Gefahren auf die Gesellschaft zukommen und welche Lösungsvorschläge es dafür gibt.

In der FM4 Morning Show hat Jergitsch mit Stuart Freeman und Dalia Ahmed über das Buch gesprochen. Anm.: das Gespräch wurde teilweise auf Englisch geführt und für diesen Artikel vollständig auf Deutsch übersetzt.

FM4: Fritz, vorgestern gab es einen Abend ohne Facebook, Instagram und WhatsApp. Bist du dann wie die meisten anderen auf Twitter abgehangen oder wie hast du die Zeit genutzt?

Fritz Jergitsch (FJ): Ich war tatsächlich auf Twitter. Ich habe aber auch ein bisschen abgeschaltet. Das Handy hat weniger vibriert. Witzig fand ich, was in den Querdenker-Channels auf Telegram abgegangen ist. Die haben ja wirklich gedacht, dass jetzt „The Great Reset“ beginnt. Attila Hildmann hat in seinem Kanal schon gepostet: „Wir treffen uns um 20 Uhr vor den Gotteshäusern.“ Ich glaube, die waren enttäuscht, wie Facebook dann wieder angedreht wurde.

FM4: Um Facebook geht es ja auch in deinem neuen Buch „Die Geister, die ich teilte - wie soziale Medien unsere Freiheit bedrohen“. In ein paar Worten zusammengefasst, worum geht es in dem Buch?

FJ: Es geht darum, dass viele Leute nicht ganz verstehen, dass, wenn sie Facebook, Twitter oder YouTube öffnen, ein Algorithmus alle Inhalte für sie ausgewählt hat, nach dem Gesichtspunkt der höchstmöglichen Emotionalisierung. Das führt dazu, dass wir sehr oft Fake News sehen, die sehr oft z.B. Wut auslösen; dass wir Sachen sehen, die uns Angst machen oder Sachen, die uns polarisieren. Das wird mittlerweile von Autokraten und Demokratiefeinden in der ganzen Welt ausgenutzt: Trump, Putin oder auch die Militärjunta in Myanmar. Darum geht es im Buch und auch darum, wie wir die Macht verlagert haben von Österreich, von unseren Medien, ins Silicon Valley und wie das jetzt ausgenutzt wird von Autokraten.

FM4: Gleich zu Beginn erzählst du eine Geschichte, die das auf einem ganz kleinen Level veranschaulicht. Nämlich wie du mit 50 Euro und Social Media eine Wahl zum Studienvertreter beeinflussen wolltest. Was war das? Was ist da passiert?

FJ: Ich wollte in meiner Uni in Holland als Studienvertreter kandidieren. Ich hab gewusst, dass sehr wichtig sein wird, wie viele Likes ich auf meiner Facebook-Seite haben werde. Also hab ich kurzerhand Likes gekauft. Das ist aber total aus dem Ruder gekommen, weil plötzlich haben 1400 wildfremde Leute aus Bangladesch und Nigeria meine Seite geliked, obwohl wir auf der ganzen Uni nur 800 Studenten hatten. Ich hab die dann von Hand löschen müssen und hab dann die Wahl aus anderen Gründen verloren. Hinterher hat mir der siegreiche Kandidat, das war ein Freund von mir, erklärt: Du Fritz, also meine Freunde mussten mich überzeugen, dass ich kandidiere. Ich wollte nicht. Ich war mir sicher, ich habe keine Chance, weil ich habe gesehen, wie viele Likes du hast.

FM4: Wie lange hast du gebraucht, um all die Likes zu löschen? Hast du die alle einzeln weggeklickt?

FJ: Ja, tatsächlich. Ich habe denen eine E-Mail geschrieben. Ich habe geschrieben bitte schickt mir nicht mehr als 400 Likes. Ich brauche nicht mehr, es wirkt sonst unglaubwürdig. Die haben das nicht gelesen. Die haben mir einfach 1400 Likes geschickt und das ist natürlich sehr unglaubwürdig, wenn auf deiner Uni nur 800 Leute studieren.

FM4: Du hast dann ja nicht gewonnen. Ansonsten wärst du jetzt vielleicht nicht hier, sondern würdest im Bundeskanzleramt sitzen und dir Gedanken über die perfekte Inszenierung machen. Was so lustig klingt, hat aber auch einen ernsten Hintergrund. Wir lesen ja öfter von beeinflussten Wahlen via Social Media. Was, denkst du, sind die größten Gefahren?

FJ: Was mir beim Schreiben wirklich am meisten Angst gemacht hat, ist die Art und Weise, wie die sozialen Medien uns polarisieren. Man muss sich vorstellen, die Newsfeed-Algorithmen lieben Inhalte, die bei uns eine Emotion auslösen. Jetzt nehmen wir eine Nachricht her wie z.B. über die Impfpflicht. Es ist eine Nachricht, die bei Befürwortern Freude, aber bei Impfgegnern Angst oder Wut auslöst. Es sind quasi zwei Emotionen mit nur einem Inhalt, die doppelte Interaktionsrate. Das führt dazu, dass Inhalte, die uns polarisieren, in Algorithmen viel, viel stärkere Verbreitung finden.

FM4: Du erzählst in deinem Buch, dass für dich, wie bei so vielen, MySpace der Einstieg in die Welt der sozialen Medien war. Kannst du dich noch an einen deiner Profile Songs erinnern, die du auf deinem Profil oben hattest?

FJ: Ich habe meinen Profil-Song ständig geändert. An einen kann ich mich erinnern. Das war natürlich Blink182 – „What’s My Age Again“. Es war eine Zeitlang mein Lieblingslied. MySpace war total cool, da war jeder dabei. Da sieht man dann auch dann diesen Netzwerkeffekt. Je mehr Mitglieder ein Netzwerk hat, desto attraktiver wird es für neue Mitglieder. Das hat man bei MySpace erlebt. Da war dann jeder irgendwann drauf und jeder wollte drauf sein, weil alle anderen schon drauf waren.

FM4: Das Freundinnen-Ranking war auch großartig und da die großen Dramen, dass man nicht mehr Platz 1 ist. Als Myspace und andere Plattformen veröffentlicht wurden, da war viel Hoffnung diesen Technologien gegenüber. Es war auch ein guter Ort für viele Bands und Singer-Songwriter zu dieser Zeit. Jetzt sprechen wir hauptsächlich über die Gefahren von sozialen Medien. Was ist in der Zwischenzeit passiert?

FJ: Das hat ja schon in den 1990ern begonnen, dass wir das Internet als etwas Positives gesehen haben. Wir haben gewusst, das wird sehr viele Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft haben und haben das analog auf unsere Demokratie angewendet. Wir haben gesagt: Hey, das wird uns von Fake News und Propaganda befreien. Das haben wir dann auch in den 2000er Jahren angewendet auf die sozialen Medien. Wir haben Facebook, MySpace, Twitter als etwas ausschließlich Positives wahrgenommen. Eigentlich bis ins Jahr 2016, als wir dann gesehen haben, wie Donald Trump z.B. unter Mithilfe von russischen Trollfabriken plötzlich die Wahl gewinnt. Da hat dann so ein Umdenken glaube ich eingesetzt.

FM4: In „Die Geister, die ich teilte“ bringst du auch sehr viele Beispiele, was alles falsch läuft und verknüpfst das mit aktuellen Entwicklungen - Stichwort Fake News. Als Gründer eines Satireportals sind ja Fake News quasi dein tägliches Geschäft. Gibt es da eine Geschichte, die dir nicht mehr aus dem Kopf gegangen ist, weil sie so bedrohlich war?

FJ: Was ich sehr arg finde ist, was sich 2017/2018 in Myanmar abgespielt hat. Da ist die Militärjunta derzeit an der Macht und das Militär ist dort irrsinnig stark. In Myanmar haben 2010 die Leute begonnen, ins Internet zu gehen. Da wurde die Diktatur aufgelockert und die Leute haben en masse begonnen, Facebook zu nutzen. Es gab Millionen Facebook-Nutzer. Gleichzeitig hat 2015 aber Facebook nur einen einzigen Mitarbeiter gehabt im ganzen Konzern, der überhaupt Burmesisch gesprochen hat. Der war zuständig für alle Inhalte, die dort geteilt wurden. Und schon 2013/2014 wurde Facebook gewarnt über Fake News im burmesischen Facebook. Die haben nichts dagegen unternommen und 2017/2018 hat dann eine Fake-News-Kampagne eingesetzt, gesteuert vom Militär in Myanmar. Sie haben damit den Genozid an den Rohingya befeuert. Das ist nichts, was ich jetzt in meinem Buch recherchiert hab, sondern das haben die Vereinten Nationen in einem Bericht so festgehalten, dass Facebook da eine ganz wesentliche Rolle gespielt hat und eigentlich erst 2018 etwas unternommen hat dagegen.

FM4: Ja und Frances Haugen war jetzt die Whistleblowerin, die einmel mehr aufgezeigt hat, dass Facebook das ziemlich egal ist, dass sie Hass und Fake News verbreiten. Was muss passieren, damit Social Media ein sicherer Ort wird oder ein guter Ort?

FJ: Ich glaube, wir dürfen nicht darauf hoffen, dass die das selbst lösen. Meiner Meinung nach müssen wir beginnen, soziale Medien zu regulieren. Ich halte jetzt auch nichts von einem Verbot oder einem Boykott. Das ist, wie wenn man einen Drogendealer verhaftet, dann ist am nächsten Tag ein neuer da. Ich glaube, man muss beginnen, erstens einmal die Algorithmen zu verstehen. Das ist auch schon in der Pipeline. Die EU will Facebook und Co. zu einer Offenlegung der Algorithmen zwingen in den nächsten Jahren. In weiterer Folge müssen wir Algorithmen auf sozialen Medien so regulieren, dass Fake News, Polarisierung und Angst fördernde Inhalte nicht mehr so explosionsartige Verbreitung finden. Das kann man meiner Meinung nach zum Beispiel schaffen, indem man die Optimierung auf Interaktionen untersagt.

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