Auf Verbrecherjagd im düsteren Moloch Wien
Von Philipp Emberger
1920. Zwei Jahre nach dem ersten Weltkrieg ist Wien sichtlich vom Krieg gezeichnet. Die Armut ist groß, Drogen und Gewalt sind Alltag und Düsternis liegt über der Stadt. In diese Dunkelheit wird der Kriegsheimkehrer und ehemalige Kriminalbeamte Peter Perg (Murathan Muslu) geworfen. Gemeinsam mit seinen Kameraden kehrt er aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück in die Stadt, einen dunklen Moloch, in dem die früher hochgehaltenen Werte nichts mehr zählen.

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Hinterland startet am 8. Oktober in den österreichischen Kinos
Perg und seine Kameraden merken schnell, dass Stadt, Land und Leute sich verändert haben. Das Kaiserreich samt Kaiser ist passé, an dessen Stelle steht nun eine wackelige Republik. Die meisten Soldaten aus der heimgekehrten Truppe werden direkt in die städtische Obdachlosenunterkunft verfrachtet, Perg kann immerhin in die alte Wohnung zurück. Doch auch dort hat sich alles verändert: Die Möbel sind mit weißen Leintüchern bedeckt und die Frau ist mit der Tochter aufs Land geflüchtet.
Nun versetzt auch noch ein grausamer Mord die Stadt in Aufruhr. Das Opfer entpuppt sich als ehemaliger Kamerad Pergs. Fortan macht der in der Vergangenheit sehr erfolgreiche Kriminalbeamte es sich zur Aufgabe, den Mord aufzuklären. Es bleibt aber nicht bei diesem einen Verbrechen und so sieht sich Perg plötzlich mitten in einer grausamen Mordserie, die auch noch etwas mit ihm persönlich zu tun hat.
Zwanziger Jahre all over
Sofort fällt in dem düsteren Krimithriller die ver-rückte Optik auf. Die Häuser sind windschief, die Fenster verzogen und die Straßen sind krumm. Zufall ist diese zunächst etwas eigenwillig anmutende Bildsprache natürlich nicht. Eine naheliegende Interpretation ist, dass die Welt, in die die Heimkehrer geworfen werden, ähnlich aus den Fugen geraten ist wie die Häuser der Stadt. Ein perfektes Spiegelbild des Seelenlebens der Figuren also.

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Wien als dunkler Moloch der Zwanziger
Eine zweite Interpretation der Optik ergibt sich aus der filmgeschichtlichen Annäherung. Die Handlung von „Hinterland“ ist im Jahr 1920 angesiedelt. Es war die Blütezeit des expressionistischen (Stumm-)Films, an den Ruzowitzkys „Hinterland“ nun erinnert. Diese Optik war auch etwa beim Filmklassiker „Das Cabinet des Dr. Caligari“ von Robert Wiene zu sehen. Rechnet man dann noch knapp zehn Jahre zur Filmhandlung dazu, landet man beim Kriminalfilm „M“ von Fritz Lang aus dem Jahr 1931, der zu den ersten Tonfilmproduktionen zählte.

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Die Republik steht in „Hinterland“ auf wackligen Beinen
Gedreht wurde „Hinterland“ fast ausschließlich vor dem Bluescreen. Das funktioniert in manchen Szenen besser, in manchen anderen ist es leider allzu deutlich, dass das hier erzeugte Wien aus der Computertrickkiste kommt. Da laufen die Figuren plötzlich vor den Gebäuden rum, ohne wirklich vom Fleck zu kommen. Aber vielleicht ist sogar das ein Symbolbild für die Hoffnungslosigkeit der damaligen Zeit.
Geschichte mit Sogwirkung
Hat man sich erst mal an das Aussehen des Thrillers, der beim Filmfestival in Locarno mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde, gewöhnt, entwickelt die Geschichte Minute für Minute mehr Sog. Das geht allen voran auf das Konto von Hauptdarsteller Murathan Muslu. Der österreichische Schauspieler hat passenderweise auch schon in der Schalko-Serie „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“, die auf dem Filmklassiker von Fritz Lang beruht, mitgespielt.

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Liv Lisa Fries als Dr. Theresa Körner
Muslu fasziniert mit seiner Darstellung des desillusionierten und gebrochenen Kriegsheimkehrers und bringt den Charakter grob, aber zeitgleich doch verletzlich wirkend auf die Leinwand. Dazwischen blitzt aber auch immer wieder ein Hauch von toxischer Männlichkeit durch, auch das typisch für die damalige Zeit.
Das Zusammenspiel mit dem Kommissar Paul Severin (Max von der Groeben), der dem Rückkehrer im Polizeiquartier zu Beginn ablehnend bis feindlich gegenübersteht, funktioniert ebenso wie das Spiel mit der Gerichtsmedizinerin Dr. Theresa Körner (Liv Lisa Fries). Sie ist die einzige, die von Anfang an unterstützend für den Kommissar da ist. Die einzelnen Elemente fügen sich in „Hinterland“ zu einem optisch phasenweise bizarren, aber auch interessanten Beitrag zum österreichischen Genrekino zusammen. Die Geschichte selbst ist keine große Offenbarung und rückt angesichts des Looks sowieso in den Hintergrund, aber macht aus „Hinterland“ einen guten Krimithriller mit historischem Bezug.
Publiziert am 06.10.2021