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Partisan/PIAS

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„I’d just say rock music“: Geese und ihr Debütalbum „Projector“

Geese aus New York sind eine Band der Stunde, gerade ist ihr Debütalbum „Projector“ erschienen. Für Freund*innen der Musik von black midi, Ty Segall oder King Gizzard & the Lizard Wizard.

Von Lisa Schneider

„I’d just say rock music“, antwortet Cameron Winter auf die Frage, wie er die Musik seiner Band Geese dem Unbekannten im Flugzeugsitz neben ihm erklären würde. „Yeah, I wouldn’t want him to hate me. We’re on a plane!“

Wer soll diese Band hassen. Geese haben mit ihrer Musik nicht nur in ihrer Heimatstadt New York, sondern mittlerweile weit darüber hinaus Wellen geschlagen. Und diese Wellen heißen Kraut-Gaze, Postpunk, Artrock, aber auch Traditionsbewusstsein und Futurismus. Aber mal zurück auf Anfang, weil Geese sind eigentlich gar keine Newcomer.

Albumcover Geese "Projector"

Partisan Records

„Projector“ von Geese erscheint via Partisan Records. Dort haben unter anderem auch IDLES oder Fontaines DC gezeichnet.

Eine Schulband

Cameron Winter (Gesang/Keys), Max Bassin (Schlagzeug) und Gus Green (Gitarre) haben ihre weiteren zwei Bandkollegen Dominic DiGesu (Bass) und Foster Hudson (Gitarre) im ersten Jahr der gemeinsam besuchten Highschool und mit dem Credo „Wir brauchen mehr als eine Gitarre“ im Hinterkopf kennengelernt. Und sie sind noch immer sehr jung, keines der fünf Geese-Mitglieder ist aktuell älter als zwanzig. Während der Aufnahmen ihres Debütalbums „Projector“, das soeben erschienen ist, haben sie noch schnell die High School abgeschlossen. Das war stressig, und diese Rastlosigkeit prägt das Album inhaltlich und musikalisch. Ab 22.00 Uhr wollten die Nachbarn des Proberaums nämlich nicht mehr gestört werden.

Die romantische Idee, in einer (musikalischen) Metropole aufzuwachsen, später sagenumwobene Gigs vor allen anderen zu sehen und schon als junge Musiker in einer vielschichtigen Szene anzudocken, tut Cameron Winter im FM4-Interview handwedelnd ab. „That couldn’t be further from the truth“, schmunzelt er, der sich sonst eher wortkarg gibt. „We were just these weird kids who wanted a recording project, we rarely ever played shows, we didn’t interact with other bands, so, it was a very asocial kind of thing.“

„The Nest“ nennt die Gruppe liebevoll den Kellerraum zuhause bei Schlagzeuger Max Bassin, den sie im Laufe ihrer gemeinsamen Schuljahre mit Dingen wie „broke and busted drums, a lot of cables and a sitar“ ausgestattet haben. Das ist dann doch wieder ein bisschen bilderbuchmäßig: Fünf junge Musiker, von ihrer an Inspirationsquellen nicht armen Umgebung mehr oder weniger unbeeindruckt, sperren sich im Keller ein und schreiben ein Debütalbum, das als eines der meisterwarteten im Gitarrenjahr 2021 gilt. Dann eben lieber asozial.

Auf zum ersten Labelvertrag

Der erste Singlerelease im heurigen Sommer trägt die Verwirrung im Titel: „Disco“ heißt das fast siebenminütige Lied, angesiedelt zwischen 70er-Jahre-Psychrock und Postpunk und ganz sicher weit weg vom „shitty disco rock“, den Geese Cameron Winters gequältem Gesichtsausdruck nach sehr verabscheuen. „Disco“ ist weder radiotauglich noch in erster Linie eingängig, das ist Musik, die das Chaos pflegt, ohne darin unterzugehen. Der Spaß dabei heißt Unberechenbarkeit, non-lineares Songwriting und/oder das Angebot zum Mitzählen: Wieviele Lieder kann man in einem einzigen unterbringen?

Vielleicht muss moderne Rockmusik so klingen, Bands wie black midi oder King Gizzard & the Lizard Wizard haben es vorgemacht. Es gibt nicht viele, die das Genre 2021 pflegen und beackern, also umso mehr Freifläche für Ungeahntes, Ungewohntes und vielleicht sogar auch mal Unangenehmes. Die Musik von Geese bewegt sich zwar in genau diesem Dampfkessel, bleibt im Vergleich von wegen Experiment und Ohrensausen aber eher im Bereich milde Sorte.

Dieser ersten Single, die musikalisch alle Ankerpunkte für das Album „Projector“ ausgelegt hat, sind zwei weitere gefolgt: der Titeltrack und das überraschende „Low Era“. Überraschend, weil „probably the most pop on this record“, wie auch Cameron Winter bestätigt. Wenig überraschend, dass es diese Single war, die die ganz Großen im Business angelockt hat (denkt an Radio-Airplay!). Unterzeichnet haben Geese schlussendlich letzten Sommer bei Partisan/PIAS, sie haben dort sehr gute Labelkollegen wie Fontaines DC oder IDLES.

Neun Songs, nur drei davon laufen knapp unterhalb der Vierminutengrenze. Das ist „Projector“, ein Ausdehnen und Probieren, immer ein bisschen mehr als erwartet. Auch die gesungenen Zeilen dürfen gern schon mal ratlos machen. Hier wird Musik geschrieben, um in der Folge ein paar Zeilen darüberzubrettern. Schon gar keine Lust besteht - jetzt, wo die Schule endlich aus ist? - an Textexegese mit überinteressierten Interviewpartner*innen. Viel mehr als das alles umfassende Wort „anxiety“ rückt Cameron Winter dahingehend dann auch nicht heraus. Reicht ja aber auch. Teenage-Angst in der Musik von Teenage-Musikern.

Große Vorbilder, große Themen

Die Sprache dieser Lieder ist figurativ und existenzialistisch, es geht irgendwie immer ums Sterben („But death is taking my ghost with my skin and my bones“ / „Rain Dance“) und Wiedergeborenwerden („To be born in a place of silence“ / "First World Warrior), oder um die Unsicherheit der Welt, in der man lebt („I’m afraid of the world, cause I don’t know what it might do“ / „Exploding House“). Geese fangen ganz von vorne, und dann nicht mit den Lächerlichkeiten des Lebens an.

Geese

Daniel Topete

Sie schaufeln, graben und kratzen sich an den Kern der Musik ihrer großen musikalischen Helden (Pink Floyd, Yes, Led Zeppelin) heran und wollen ganz offenbar gleichzeitig Tabula Rasa machen. Ein Album als Statement: Hier sind wir, eine neue Band, die diesen fuzz gar nicht erwartet, ihn deshalb aber nicht weniger verdient hat. Eine junge Band, die sich am liebsten in den nach Marihuana riechenden (quote!) Proberaum verkrümelt und dort abwechselnd „In Rainbows“ von Radiohead durchexerziert, Videospiele spielt oder Truman Capote liest.

Tatsächlich: Gitarrist Foster Hudson hat vor, englische Literatur zu studieren. Weil es jetzt zuvor aber mal die Rockstarkarriere gibt, hat er zur allseitigen Tourbusunterhaltung vorsorglich den Geese-Buchclub gegründet.

Geese schreiben Musik für Menschen, die die erstrebenswerten Eigenschaften Neugier und Vorstellungskraft mitbringen. Zumindest dann, wenn man sie mit guten Kopfhörern und einer bestimmten Liebe zum Genre genießt. Freund*innen der Berieselung werden sich nicht daran stören, wenn Lieder wie „Exploding House“ an jeder nur möglichen Ecke abbiegen und mit einer neuen Melodie in eine andere Richtung davonlaufen, weil das alles subtil passiert. Sie sind es aber wert, die guten Kopfhörer und die Liebe zum Genre, weil man so zum Kern dieser Lieder vordringen kann: Diese Band will nicht im Verein für verwöhnte Ohren spielen. Es ist herrlich.

Geese haben gerade ihre erste große Tour angekündigt, die sie auch nach Europa, unter anderem im Februar 2022 nach Wien führen wird. Am letzten Lied des Albums, „Opportunity Is Knocking“, stellt die Band die in Anbetracht der vorangegangenen Großartigkeiten fast schon lächerliche Frage: „Is this the end?“ Natürlich nicht.

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