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Islation Berlin und ihr neues Album "Gehmeinis"

Noel Richter

Isolation Berlin „Geheimnis“

Im Social-Media-Zeitalter gibt es keine Geheimnisse mehr. Nicht mit uns, so Isolation Berlin. Die Rockband von der Spree hält auf ihrem neuen Album „Geheimnis“ mit Schwermut und Trotz dagegen und legt doch so einiges offen.

Von Christian Lehner

Was wären wir nur ohne unsere Geheimnisse? Nicht viel, sagen Instagram und Co und wollen sie uns entlocken. Und was tun wir nicht alles für ein „Like“ und ein „Share“. Tobias Bamborschke will da nicht mit, obwohl das heute als Voraussetzung für eine Popkarriere gilt. Das Private öffentlich machen, am besten mehrmals pro Tag, vom Bedroom Producer zum Private Dancer, alles verwerten, um eine „konstante Beziehung“ zu den Fans aufzubauen – nicht sein Ding.

„Viele Leute verkaufen ihre Bücher und ihre Musik über ihre persönlichen Geschichten und nicht andersrum. Das ist bescheuert. Man sollte gute Geschichten und gute Musik schaffen und nicht seinen persönlichen Schrott bei den Leuten abladen.“

Schwermut an der Spree

Wie alle Poeten dieser Welt, schöpft auch Tobias Bamborschke aus seinem Innersten, dem Erlebten, Erdachten und Erfühlten. „Natürlich ist auch bei mir vieles autobiografisch, doch die Songtexte sind keine Tagebucheinträge“, so der 33-Jährige. „Es muss eine künstlerische Distanz geben. Ich suche Gemeinsamkeiten, keine Unterschiede.“

Wenn der Sänger und Texter von Isolation Berlin etwa in Interviews wiederholt auf seine Depressionen reduziert wird, dann haut Bamborschke einen Song wie „Private Probleme“ raus. Es ist fast ein Spottlied. Die Lyrics reißen das Titelthema an, ohne sich je wirklich zu offenbaren.

„Ich hab private Probleme, private Probleme, für die ich mich schäme / Ich will nicht darüber reden Nein, ich will nicht darüber reden“

Das Vage an dem Song macht es für uns, die Zuhörenden, einfach, uns selbst im Text zu finden – ein erklärtes Ziel von Bamborschke, der Empathie herstellen möchte. Man kann sich auch wortwörtlich an die Vorgabe des Autors halten, der einfach seine Ruhe haben will (ein sich wiederholendes Motiv in den Songs von Bamborschke). Und man kann die Zeilen als eine Kritik an der Gesellschaft lesen, die hart erkämpfte Solidaritätspakte aufkündigt und jedes Problem zu einem privaten und selbst verschuldeten macht.

Islation Berlin und ihr neues Album "Gehmeinis"

Staatsakt

„Geheimnis“, das dritte Album von Isolation Berlin, ist auf Staatsakt erschienen. Hier geht es zum Interview-Podcast mit Tobias Bamborschke. Der Sänger und Poet hat soeben auch seinen neuen Gedichtband Schmetterling Im Winter veröffentlicht.

Der Texter verweist aber auch auf die jüngere Band-Geschichte. Nach den hochgelobten ersten beiden Alben „Und Aus Den Wolken Tropft Die Zeit (2016) und „Vergifte Dich“ (2019), war die Luft raus, oder besser zu stickig geworden. Die Band-WG in Prenzlauer Berg, unweit ihres Labels Staatsakt, löste sich nach und nach auf, beim Proben wurde es zwischen den Songs zunehmend leiser.

„Wir haben ziemlich viel aufeinander gehangen, ziemlich lange, und dann haben wir nicht mehr miteinander geredet. Wir sind ins Studio, haben etwas probiert und es ist nichts zu Stande gekommen. Jeder saß da mit verschränkten Armen und keiner hat erzählt, wie es ihm geht und allen ging es schlecht.“

Und dann löste sich der der Knoten im Hals doch noch. Bamborschke, Max Bauer (Gitarre, Orgel), David Specht (Bass) und Simeon Cöster (Schlagzeug) fanden gemäß einer alten Redensart durch das Reden wieder zusammen. Was Bamborschke seinen Mitstreitern offenbarte, war sehr privat, und es findet sich am Album wieder, aber erzählt über Rollen und Figuren, die andere sind, teils verfremdet, teils skizzenhaft, vermengt mit Schicksalen von Bekannten und Dingen, die man so beobachtet in der großen Stadt. So kann ein Geheimnis ein Geheimnis bleiben, auch wenn man viel von sich preisgibt.

„Alle Lieder kreisen um sehr intime Gedanken und Geheimnisse der einzelnen Figuren. Es sind Themen die eigentlich gar nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind, die man nicht einmal mit seinen engsten Freunden besprechen würde – sehr tiefe, schambehaftete Gedanken.“

„Ich Hasse Fußballspielen“

Im Titelstück „tobt ein Krieg hinter meiner Stirn“. In „Enfant Terrible“ werden „Sachen gesagt“, die „unverzeihbar sind“. In „Ich Zieh Mich Zurück“ lässt der Protagonist die „Rollos runter“ und „stellt sich tot“. Die Songs schwanken gewohnt zwischen Trotz und Selbstmitleid. Doch die Wut früherer Stücke ist einer gewissen Gefasstheit gewichen. Die unglückliche Welt wird analytischer erfasst. Die Texte klingen moderner, fast karg to the core, und nicht mehr so romantisch. Schön sind sie noch immer. Berlin schön.

Islation Berlin und ihr neues Album "Gehmeinis"

Noel Richter

Die oft bemühte, neue Verletzlichkeit des Mannes, sie kommt bei Bamborschke immer etwas grob daher und wäre da nicht dieser eindeutige Akzent und diese Konsequenz im Unglück, könnte man Isolation Berlin durchaus mit einer Band mit dem Wohnort Wien verwechseln. Bamborschke stimmt zu, erzählt von der traditionellen künstlerischen Achse der beiden Städte und davon, dass ihm, dem geborenen Kölner, der Vater stets alte Wiener Lieder wie „Die Reblaus“ vorgespielt hat. Den Nino Aus Wien zählt er zu seinen Freunden und der Song „Klage Einer Sünderin“ erinnert im Vortrag an Ludwig Hirsch. Am Vorgängeralbum wünscht sich Bamborschke im Stück Serotonin gar in die österreichische Hauptstadt.

Berliner Schule und Proto-Pop

Musikalisch bleiben sich Isolation Berlin treu. Ihren Indie-Rock bezeichnen sie halbironisch als „Proto-Pop“ und „Berliner Schule“. Wie es sich für ein drittes Album gehört, konzentriert man sich auf die Stärken und lässt den Plunder weg. Gitarre, Bass und Schlagzeug mögen sich, die schüchterne Orgel darf auch ab und zu ran, Feedback-Orgien sind jetzt nicht mehr angesagt und Atmosphäre darf passieren, wie im John-Carpenter’schen Intro von „Geheimnis“.

„Wir gehen an jeden Song einzeln ran. Die Musik dient immer der Geschichte. Wenn da keine Gitarre rein passt, die zerrt und scheppert, ist sie halt nicht da. Das ist der einzige Gedanke, den wir haben. Dann versuchen wir, für das Album einen roten Faden zu finden.“

Auch das ein Zeugnis einer guten Entwicklung: Isolation Berlin werden variantenreicher, ohne die Essenz zu verlieren. Den Auftakt bildet mit „Am Ende Zählst Nur Du“ ein fast zärtliches Lied, nur von der Akustischen begleitet und hörbar beeinflusst vom Haberer Nino. Es endet mit „Enfant perdu“ ästhetisch ähnlich gepolt, doch wieder tief im Tal der Tränen von Berlin-Kreuzberg watend. „Dich hat das Publikum geliebt / Doch deine Blüte ist verblüht.“

Wer Element Of Crime mag, mit manchmal einem festen Schlag auf den Kopf, dürfte bei „Geheimnis“ von Isolation Berlin gut aufgehoben sein und das „Geheimnis“ gut bei ihm oder ihr. Groß auch der Schlager zur diesjährigen EM „Ich Hasse Fußballspielen“ und die Ode an eine Urberlinerin „(Ich will so sein wie) Nina Hagen“.

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