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Sam Fender

Charlotte Patmore

Sam Fender und sein neues Album „Seventeen Going Under“

Der britische Musiker Sam Fender ist vielleicht der beste britische Songwriter seiner Generation. Nach seinem Debutalbum „Hypersonic Missiles“ ist nun sein zweites Album erschienen: „Seventeen Going Under“. Sam Fender zeichnet ein recht düsteres, aber letztlich nicht hoffnungsloses Porträt seiner nordostenglischen Heimat.

Von Eva Umbauer

Sam Fender kommt aus dem wenig glamourösen englischen Nordosten, aus dem am Meer gelegenen Ort North Shields, in der Nähe von Newcastle. Er singt über alles Mögliche, was er erlebt hat oder beobachtet. „I’m just a normal kid“, sagt Sam Fender über sich. Einfach ein junger Typ, der etwas sagt und zu sagen hat.

Er sagt es in diesem ganz eigenen nordostenglischen Akzent, genannt „Geordie“ - eine Verkleinerungsform vom Namen George. So findet er etwa, dass heute nicht mehr debattiert wird, richtig gut debattiert, stattdessen werfen sich die Menschen nur Bösartigkeiten an den Kopf, vor allem im Internet. „Hypersonic Missiles“ hieß Sam Fenders erstes Album vor zwei Jahren. Jetzt ist der Nachfolger da - „Seventeen Going Under“.

See I spent my teens enraged, spiraling in silence, and I armed myself with a grin ‚cause I was always the fuckin‘ joker, buried in their humour, amongst the white noise and boys’ boys locker-room talkin’ lads’ lads.

Als Sam Fender vor wenigen Jahren in Großbritannien die musikalische Bildfläche betreten hat, hatte er bald den Ruf eines jungen Bruce Springsteen aus dem englischen Nordosten. North Shields war sein New Jersey, und einen Saxofonisten hatte er - wie Springsteen - auch in der Band, nämlich Johnny „Bluehat“ Davis. Johnny ist auch auf dem neuen Album von Sam Fender wieder dabei, auch wenn Sam sein musikalisches Spektrum nun erweitert hat und nicht mehr nur eine Art britischer Springsteen ist.

Springsteen und Elton

Elton John, der große englische Musiker, liebt die Songs von Sam Fender, er coverte sogar einen davon und sang mit Sam im Duett. Anfang letzten Jahres hatte Elton John Sam zu seiner Charity-Party nach den Oscars eingeladen. Vor allem seine Klavierstücke haben es Sir Elton angetan. Sam kann das noch immer nicht ganz glauben, denkt manchmal, er hat das Impostor-Syndrom, eine Art Hochstaplersyndrom mit tiefen Selbstzweifeln, wo man sich selbst fragt, ob man denn überhaupt so gut sei, um all den Erfolg, den man hat, zu rechtfertigen.

Das erste Album belegte Platz 1 der britischen Albumcharts und Sam war nicht mehr aufzuhalten, mit Songs wie „Dead Boys“ über männlichen Suizid, dem von War On Drugs beeinflussten „The Borders“ oder der Folk-Ballade „White Privilege“.

Mit dem neuen Album setzt Sam Fender noch eines drauf, mit Songs wie gleich dem Album-Opener, dem Titelsong „Seventeen Going Under“. Sam singt in diesem düsteren Stück: „I’m seventeen, going under“. Gerade erst siebzehn Jahre alt und schon am Untergehen. Es geht um Gewalt unter jungen Menschen oder um seine verschuldete Mutter, die verzweifelt ist.

Sam Fender auf dem Albumcover, er sitzt auf einer Mauer vor einerm Backsteinhaus

Polydor

„Seventeen Going Under“ von Sam Fender ist am 8.10.2021 erschienen.

It’s Grim Up North

Als Sam Fender acht Jahre alt war, verließ seine Mutter die Familie. Er war ein sensibles Kind, das viel weinte, sich dafür aber hasste. Erst vor nicht langer Zeit konnte er beginnen, seine Sensibilität zu schätzen.

Sam blieb damals bei seinem Vater und dem älteren Bruder. Später warf ihn seine Stiefmutter raus und er zog in den Gemeindebau zu seiner leiblichen Mutter. Mit fünfzehn Jahren bewarb er sich, als junge Menschen für eine Rolle in einer Fernsehserie gesucht wurden. Er wurde tatsächlich genommen. „Vera“ hieß die Serie. Mit ihrem ätzenden Witz und einzigartigen Charme stehen Kriminalkommissarin Vera Stanhope und ihr Team vor einer Reihe faszinierender Mordgeheimnisse, vor der Kulisse der nordostenglischen Landschaft von Northumberland.

Mit der Musik wollte Sam Fender sich und seine Mutter aus der sozialen Not holen. Beide mussten von Sozialgeld leben, obwohl sie das nicht wollten. Sam arbeitete auch im lokalen Pub oder im Call Center. Von letzteren gibt es im englischen Nordosten viele. Früher gab es Bergwerke und der Schiffbau florierte in den Werften an der Nordsee. Die Thatcher-Ära in Großbritannien setzte dem ein Ende. Der Nordosten ist keine wohlhabende Gegend.

„It’s Grim Up North“ hieß einmal ein Track der englischen Band The KLF, gemeint war damit die Gegend rund um Manchester, aber „grim“, also düster und hart ist heute der englische Nordosten. Immer wieder kommen aber richtig gute Musiker*innen von dort - von Prefab Sprout über Maximo Park oder Beth Jeans Houghton bis eben zu Sam Fender, der im Unterschied zu vielen anderen erfolgreichen Musiker*innen seine Songs selbst schreibt. Sie sind persönlich, intim, sozialkritisch und politisch. Sie sind beißend, oder auch zärtlich.

Da gibt es das furiose „Aye“, geschrieben in Sam Fenders Geordie-Dialekt, wo es heißt, „I don’t have time for the very few, they never had time for me and you“, den bissigen, explosiven Indie-Rock-Song „Get You Down“ mit einem tollen Saxofon-Riff und auch das fast schon experimentelle „The Leveller“, wo er singt, „as little England rips itself to pieces“.

„Paradigms“ ist ein neuer Song, in dem Sam Fender von einer zerbrochenen Gesellschaft singt und der Gänsehaut erzeugt. Der letzte Song, das Pianostück „The Dying Light“, ist wieder ein sehr sensibler Song, samt Katharsis-Moment, und bildet den passenden Schluss von diesem dramaturgisch gut geformten Album.

Himmlische Stimme, Eloquenz, tolles Piano, noch tollere Gitarre, innere Dämonen, Angst, Schmerz und Zorn. Sam Fender ist mit „Seventeen Going Under“ der beste britische Songwriter seiner Generation.

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