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Portrait Efterklang Trio

Dennis Morton

„Windflowers“: Efterklang vertrauen auf ihre Intuition

Aus über 80 Songskizzen hat das dänische Trio Efterklang auf einer einsamen Insel ein Album über die Natur, den Kosmos, die Intuition und das Leben im Moment geschaffen. „Windflowers“ schließt an das Meisterwerk „Piramida“ an und macht hörbar, wie Spaß, Freude und Freiheit klingen können.

Von Andreas Gstettner-Brugger

Vor knapp zehn Jahren hat die dänische Band Efterklang mit „Piramida“ ein Meisterwerk vorgelegt. Für die Songideen sind die drei Schulfreunde damals in die ehemalige russische Bergbaustadt Piramida gereist, die zur Geisterstadt verkommen ist. Auf einer Insel mitten im arktischen Ozean haben sie bei klirrender Kälte Feldaufnahmen gemacht, als sie Piramida erkundet haben, das sich die Natur langsam zurückholt. Aus diesen Erfahrungen und Aufnahmen ist ein Album voller Magie, wunderschöner Klanglandschaften und bewegenden Gesängen entstanden.

Nach dem sanften, auf Dänisch gesungenem Album „Altid Sammen“ liefern Efterklang mit „Windflowers“ quasi den musikalischen und gefühlsmäßigen Nachfolger zu „Piramida“. Ein Album, das wieder die Magie aufweist, größer zu sein als die Summer seiner einzelnen Teile. Vielleicht auch größer als die Menschen, die es hervorgebracht haben.

Strom aus der Windmühle

Begonnen hat alles während des ersten Lockdowns 2020. Sänger Casper Clausen hat sich von seiner Homebase Lissabon aus mit Mads Christian Brauer und Rasmus Stolberg, die zu der Zeit in Kopenhagen waren, via Internet ausgetauscht. Rund 80 Songideen und Skizzen sind dabei entstanden. Mit der ersten Möglichkeit des Reisens haben sich Efterklang dann erneut an einen ganz besonderen Ort begeben, um ihr neues Album auszuarbeiten. Diesmal war es die Insel Møn südlich von Kopenhagen in der dänischen Ostsee.

Tipp:

Efterklang werden am 21. Februar 2022 im Wiener Theater Akzent auftreten.

Casper Clausen: „Dort gibt es viele Farmen. Eine davon ist das Real Farm Studio. Es erhält seine Energie über ein Windrad, das in der Nähe steht. Wenn du aus dem Fenster blickst, siehst du Kornfelder, du kannst zum Meer spazieren und es ist eine unglaubliche Weite, die man dort erfährt.“

Diese Weite hatte Einfluss auf den Entstehungsprozess von „Windflowers“. In der Einsamkeit auf Møn hatten auch die Gedanken und die Intuition wieder Platz. Das Wichtigste war, wieder Spaß am Musikmachen zu haben und mit kindlicher Freude und Neugier an die Aufarbeitung der vielen Songideen heranzugehen. Was kollektiv gefällt, ist weiterverfolgt worden, was nach einigen Tagen nicht mehr passte, haben Efterklang ebenso schnell wieder verworfen.

Albumcover "Windflower" von Efterklang

City Slang/Efterklang

Das neue Album „Windflowers“ von Efterklang ist bei City Slang erschienen.

Dabei hatte das Trio die Natur vor dem Studio immer als gegenwärtigen Bezugspunkt und Referenz vor Augen. Auch wenn Casper Clausen sehr experimentell an seine Texte herangeht, so zieht sich die Natur, in die wir eingebettet sind, wie ein roter Faden durch die sehr unterschiedlichen Songs. Statt einem Blick auf die urbane Welt, die Menschen kreiert und konstruiert haben, folgt Casper Clausen dem Ruf - oder besser seinem Wunsch - nach Verbundenheit mit der Natur, dem Kosmos und den Kräften, die jenseits unserer Kontrolle liegen.

Für das Eröffnungsstück „Alien Arms“, eines der Highlights der Platte, findet der dänische Sänger neue Bilder für allgemeine Begriffe. Die Vergangenheit wird zum Ozean, den wir hinter uns lassen und die Zukunft zum Berg, der vor uns aufragt. Zu zarten, flirrenden Loops von Schlagzeugbecken, einem sanften Bass, rohem Schlagzeug und breiten Synthie-Flächen singt Casper Clausen davon, das Herz zu öffnen und ganz im Moment zu sein. Zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Ozean und Berg.

Von Libellen, Verbundenheit und dem Alleinsein

Casper Clausen findet auf „Windflowers“ viele Naturmetaphern, die ihm ermöglichen, seine Gefühle und den Einfluss der unmittelbaren Umgebung auszudrücken. Mit dem Bild der Libelle versucht er im Song „Dragonfly“, das Phänomen der Liebe zu beschreiben.

Casper Clausen: „Ich habe gelernt, dass Libellen nicht gehen können. Sie können nur stillstehen oder fliegen. Sie sind ein bisschen wie eine Drohne und schwirren umher, als ob sie immer etwas suchen. Schon als Kind habe ich Libellen geliebt. Im Song ‚Dragonfly‘ habe ich versucht, herauszufinden, was Liebe ist. An einem Punkt haben mich meine Gedanken sehr ermüdet und ich dachte: ‚Was ist Liebe?‘ Ich habe ja keine Ahnung. Keiner weiß das so genau. Ich fühlte mich mit dem Wort so eingeschränkt und frustriert. Dann habe ich draußen vor dem Studio eine Libelle gesehen und eine seltsame Verbindung gespürt. Was wäre, wenn die Liebe wie eine Libelle wäre?“

Musikalisch haben Efterklang diesen Gedanken mit Vocoder, elektronischen Beats und einer flirrenden Atmosphäre umgesetzt. Es sind Einflüsse, die eindeutig von Casper Clausens Arbeit an seinem Soloalbum „Better Way“ stammen. Dieser fließende, ein wenig psychedelische Sound, der gleichzeitig noch genug Popelemente besitzt, um eingängig und spannend zu bleiben.

Aber es gibt auch Efterklang-typische Lieder wie „Hold Me Close When You Can“. Ein reduziertes Stück, das fast nur mit Klavier, Streichern und Casper Clausens Stimme auskommt. Es geht darin um die Selbstliebe, das Sich-selbst-Umarmen und die Erkenntnis, zu akzeptieren, dass wir allein geboren werden und allein sterben. In der Zeit dazwischen öffnen wir immer wieder unsere Herzen, verlieben uns und binden uns an Menschen, unsere Haustiere oder an andere Dinge und hoffen, dass diese uns immer wieder halt geben.

Casper Clausen: „Der Song spricht auch davon, dass wir uns begegnen können, auch wenn jeder von uns eine Geschichte und Schwierigkeiten mit im Gepäck hat. Aber manchmal können wir darauf vertrauen, dass wir im richtigen Moment und im richtigen Raum zusammentreffen. Wann immer das auch ist, wir brauche uns nicht zu stressen oder zu beeilen. Wenn es passt, werden wir uns gegenseitig halten können.“

Efterklang haben „Hold Me Close When You Can“ ihrer Fangemeinde vorab zum Hören gegeben und sie gebeten, Bilder von dem Moment zu schicken, wenn sie den Song zum ersten Mal hören. Daraus ist ein berührendes Video von 812 Fotos von Menschen aus 49 Ländern entstanden. So kann Musik uns das Gefühl vermitteln, dass wir alle miteinander verbunden sind.

Der Wind, der die Blumen öffnet

„Windflowers“ ist ein abwechslungsreiches Album, das die Natur und das Menschsein feiert, in all seinen Facetten. Nicht nur die friedliche, dänische Landidylle machen Efterklang hörbar, auch Lebenslust und die Energie des Feierns sind in manchen Songs herauszuhören. Zu einem treibenden Beat, glitzernder Akustik-Gitarre und sphärischen Vocals feiert „Living Other Lives“ auch die Möglichkeit, über soziale Plattformen mit unseren liebsten Menschen verbunden zu sein und trotz örtlicher Distanz an ihren Leben ein wenig teilhaben zu können.

Das über siebenminütige Schlussstück „Abent Sar“, was so viel wie „offene Wunde“ bedeutet, verbindet in gekonnter Weise die hörbar gemachte Weite der Insel Møn mit einem hypnotischen, technoiden Club-Beat, den der schwedische Produzent The Field beigesteuert hat. So verbinden Efterklang am Ende die Natur mit der technologisierten Welt der Menschen, das Bedürfnis nach Ruhe und Stille mit dem Drang zu tanzen und mit anderen Menschen zu sein.

„Windflowers“ ist ein verbindendes Werk und ein grandioser Versuch, zu vermitteln und hörbar zu machen, was es heißt, ganz in der Gegenwart zu sein. In so einem Moment hat Casper Clausen auf den Feldern außerhalb des Studios die Windröschens entdeckt. Die ersten Blumen, die nach einem kalten Winter aus dem Boden sprießt. Es war für ihn genau das passende Bild und somit auch der perfekte Titel für das Album.

Casper Clausen: „Mir war es wichtig, einen Titel zu finden, der die Wildnis der Umgebung und der Songs widerspiegelt. Ich habe mich verliebt in die Wortkombination wind und flowers. Eine Blume, die vom Wind geöffnet wird und das erste ist, was wir nach dem Winter sehen. Es ist ein flüchtiger Blick auf das, was vielleicht noch kommt. Auf etwas Neues, etwas Schönes.“

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