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Willkommen im Oh là là Land

Fad ist es nie, in Ennui! In dem französischen Städtchen spielt „The French Dispatch“, der neue Film von Wes Anderson. Der Meister der Retro-Eleganz und Verschrobenheit hat ein Star-Ensemble in symmetrischer Schönheit angeordnet und eine Liebeserklärung an den Journalismus und den französischen Film vergangener Dekaden abgeliefert.

Von Pia Reiser

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Der FM4 Filmpodcast, zu hören Montag um Mitternacht auf FM4 und schon ab 22 Uhr überall, wo es Podcasts gibt. In dieser Folger sprechen Pia Reiser, Christian Fuchs und Jan Hestmann über die Faszination von Wes Anderson.

Wes Anderson hat ein Talent für sehr viele Angelegenheiten. Was er besonders gut kann, ist, sich Namen für seine Figuren auszudenken. Herbsaint Sazerac, zum Beispiel, ein Silbenballett von sehr großer Schönheit, entlehnt von einem Likör und der Name von Owen Wilson in Wes Andersons neuem Film „The French Dispatch“. Herbsaint Sazerac ist ein rennradfahrender Journalist, der eine Leica um den Hals hängen hat und gelbbesockt zu Beginn des Films eine Tour durch die Stadt gibt, in der der Film spielt. Ein Städtchen mit dem auch nicht schlechten Namen Ennui-sur-Blasé, also Langeweile-an-abgestumpft, möglicherweise Wes Andersons elegante Art und Weise seinen KritikerInnen zu sagen, dass er ihre Vorwürfe kennt.

Hier in Ennui hat sich der amerikanische Chefredakteur Arthur Horowitzer (Bill Murray) niedergelassen und gibt in den 1960er Jahren mit dem Magazin „The French Dispatch“ eine „The New Yorker“-ähnliche Veröffentlichung raus, ein Ableger der „Liberty, Kansas Evening Sun“. „I have a feeling, we’re not in Kansas anymore“, sagt Dorothy in „The Wizard of Oz“, als sie im magischen Wunderland Oz landet und auch die Figuren in „The French Dispatch“ sind not in Kansas anymore, sondern in einem nostalgieschweren und reichlich an Referenzen verzierten Oz. Eine französische Pittoreske, imaginiert vom wahrscheinlich frankophilsten Texaner, dessen ganzer Name ja auch einer ist, wie von ihm selbst erdacht: Wesley Wales Anderson.

Szenenbild "The French Dispatch"

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Von den Ratten im Kanal bis zu den Kätzchen auf dem Dach, von den Schulkindern in den kurzen Hosen bis zu den Fleischern ist hier alles in der wunderbar verschrobenen und symmetrischen Retro-Eleganz angeordnet, wie sie spätestens seit „The Royal Tenenbaums“ zu Wes Anderson gehört, wie ein McGuffin zu Hitchcock.

Mintfarbene Schreibmaschinen, gelbe und rosafarbene Wände, adrett gekleidete Figuren und schön gesetzte Schilder oder handschriftliche Notizen, soweit das Auge reicht, so sehen die Redaktionsräume von „The French Dispatch“ aus. Die wenigen Szenen, die hier spielen, bieten den Rahmen für das Herzstück des Films: Drei Artikel des Magazins „The French Dispatch“ in Filmform, der Film ist eine Liebeserklärung an das geschriebene Wort sowie an den Print-Journalismus vergangener Tage, an den long read, das Feuilleton. Die drei Artikel drehen sich um Kunst, Verbrechen, Kulinarik und Rebellion. Timothee Chalamet spielt mit einer Bob Dylan-Gedächtnisfrisur den Studentenführer Zeffirelli.

Timothee Chalamet

Fox Searchlight Pictures

Auf seine fein abgestimmten Farbpaletten verzichtet Anderson erstmals über weite Strecken und lässt die Bilder schwarz/weiß. Doch Chalamet mit dünnem Schnurrbart und Handtuchturban, der in der Badewanne an seinem Manifest schreibt, ist auch in schwarz-weiß so reizend wie skurril. Wenn sich die protestierenden StudentInnen in einem Café treffen, kehrt die Farbe zurück und Zeffirelli diskutiert mit Juliette (Lyna Khoudri) darüber, ob man überhaupt noch Musik hören kann, wenn die Industrie, die dahintersteckt, ja auch nichts anderes ist als das System, gegen das man protestiert. Zeffirelli lauscht, geht dann zur Jukebox und es erklingt das musikalische Herzstück des Films, das nicht nur frankophilen Old Souls Herzen in die Augen zaubert: „Aline“ von Jarvis Cocker, der überhaupt gleich ein ganzes Album mit Coverversionen von französischem Sixties-Pop aufgenommen hat.

Gegenüber von dem Café, in dem die Rebellion mehr durchdiskutiert als geprobt wird, befindet sich ein Friseur, der mit „Masculin - Feminin“ wirbt, was nicht nur seine Zielgruppenzusammenfassung ist, sondern auch ein Titel von einem Film von Jean-Luc Godard. „The French Dispatch“ ist nicht nur eine liebevolle Umarmung des geschriebenen Wortes sondern auch des französischen (und italienischen) Films vergangener Dekaden. Gleich zu Beginn sieht man einen Kellner mit Tablett dabei zu, wie er in einem Haus das Treppenhaus hinaufgeht und immer wieder bei verschiedenen Fenstern auftaucht, ein direktes Szenen-Zitat von „Mon Oncle“ von Jacques Tati.

Überhaupt sind der Look von Ennui und wie Anderson Architektur nicht bloß als Schauplatz, sondern als eigene Figur behandelt, ähnlich dem Kino des französischen Meisters des visuellen Humors. Auch Jacques Demys Verwendung von Musik und Slow Motion ziehen sich durch Wes Andersons Filme. Wie Quentin Tarantino ist Anderson ein unglaublich gut überlegter und stilsicherer Zitierer, das Zitat fügt sich nahtlos ein in die so stilsichere wie unverkennbare Welt von Wes Anderson.

Zum Zitat greift Wes Anderson auch beim Plakat zu „The French Dispatch“ - die unglaubliche Starbesetzung sprengt jeden Rahmen und so wird sie angeordnet wie einst die Menschen am Cover von „Seargent Pepper’s Lonely Hearts Club Band“. Sieben Oscar-PreisträgerInnen und der halbe Cast von „No Time to Die“ ist nur der Anfang. Im Grunde ist fast jede Person, die durchs Bild huscht - und recht viel mehr machen Edward Norton und Saoirse Ronan nicht - ein Star. Neben der Freude über altbewährte Wes Anderson SchauspielerInnen wie Tilda Swinton, Owen Wilson oder Bill Murray ist es fast noch schöner, wenn Leute auftauchen, die man im ersten Moment nicht mit dem Master of Quirk verbindet. Benicio del Toro spielt den inhaftierten Künstler Moses Rosenthaler, der die Gefängnisaufseherin Simone (Lea Seydoux) porträtiert. Hier überrascht Wes Anderson auch mit Nacktheit, ungewöhnlich für seine Filmwelt, in der die adrette Kostümierung so einen hohen Stellenwert hat.

Szenenbild "The French Dispatch"

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„The French Dispatch“ startet am 21. Oktober 2021 in den österreichischen Kinos.

Die Einteilung in Kapitel, in denen hier auch tatsächlich immer eine andere Geschichte erzählt wird, tut der Erzählweise von Wes Anderson gut, selbst VerehrerInnen seiner Filme haben in den letzten Jahren die eine oder andere Länge oder Dünnheit des Plots bemängelt. Der so alte wie öde Vorwurf des Style over Substance wird wohl immer bei Wes Anderson auftauchen, dabei sollte sich inzwischen rumgesprochen haben, dass hier Style und Substance nicht voneinander trennbar sind. Anderson hat eine sowohl visuell als auch sprachliche eigene Welt erschaffen, in der Plots oder psychologische Erklärung von Charakteren keine Rolle spielen. Wer nicht nach was sucht, was nicht da sein kann, weil es dem Kern des Werk des Regisseurs quasi widerspricht, wird auch bei „The French Dispatch“ mit offenen Augen und pochendem Herzen im Kino sitzen.

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