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Comic

Im Spiegelsaal von und mit Liv Strömquist

Liv Strömquist ist gegenwärtig eine der bedeutendsten Comiczeichnerinnen. Aktuell widmet sich die Schwedin dem Zusammenhang von Schönheit und dem Einfluss und der Kraft von Bildern. Von den Kardashian Schwestern zu Kaiserin Sissi. Eine schöne Empfehlung!

Von Zita Bereuter

Täglich hat sich Liv Strömquist durch eine Bilderflut geklickt. Hat dieses und jenes geliked - mit Herzen oder Flammen - und wurde mit Bildern von schönen Menschen und ihren schönen Leben geradezu zugeschüttet. Daneben stellte sie irgendwann im Lockdown fest, dass sie sich durch die ganze Online-Kommunikation ständig selbst sieht. Dass sie sich in einem riesigen Spiegelsaal befindet und immer mit Schönheit und Bildern konfrontiert ist. Und es wäre nicht Liv Strömquist, wenn sie da nicht nach Ursachen und Wirkung suchen und auf ihre witzige Art Antworten bei verschiedensten Denker*innen (von Susan Sontag über Naomi Wolf zu Stephanie Coontz oder Hartmut Rosa) und quer durchs (Pop-)Universum finden würde. Beginnend bei den Kardashian Schwestern kommt sie in fünf Essays schließlich zu Kaiserin Sissi.

Die Kardashians

Am Anfang stehen fünf unglaublich schöne Schwestern. Was wie ein Märchen klingt, endet in Neid und Unglück. Denn warum kann man diese schönen Schwestern (ja, es sind die Kardashians) nicht einfach anschauen, wie man etwa einen prächtigen Sonnenuntergang genießt? Warum vergleichen sich stattdessen so viele Frauen unmittelbar mit diesen Schönheiten und fühlen sich danach minderwertig? Warum wollen so viele ausschauen wie diese Schwestern?

Antworten findet Liv Strömquist etwa beim Philosophen und Antropologen René Girard, wenn er meint, dass der Mensch nicht wisse, was er begehren soll und was er begehrt. Also würde das Begehren auf eine andere Person umgelegt. Was diese gut findet, wolle man haben. Girard nennt es das „mimetische Begehren“. Insta und Co belegen diese Theorie Jahrzehnte später sonnenklar.

Liv Strömquist und ihr Werk

Liv Strömquist hat Politikwissenschaften studiert, als Journalistin gearbeitet und mehrere Sachcomics gezeichnet:

In „Der Ursprung der Welt“ erklärt sie die Kulturgeschichte der Vulva; in „Der Ursprung der Liebe“ beschreibt sie Beziehungsmuster im Wandel der Zeit. In „I’m every woman“ nähert sie sich dem Mythos vom männlichen Genie aus weiblicher Sicht und in „Ich fühl’s nicht“ gings um Liebe und das Werben.

Liv Strömquist findet einmal mehr schlaue Zusammenhänge. Etwa von Schönheit und der Ehe. Historisch zeigt sie auf, wann Schönheit eine Art Währung war, bzw. wie sich das Schönheitsbild gewandelt hat. Denn vor dem Entstehen der Fotografie war das „Schönheitsideal“ ein ganz anderes. Gegenwärtig würden „schöne Frauen“ zunehmend identisch aussehen.

In ihren Essays zeigt Liv Stömquist auch auf, wie stark Frauen nach ihrem Aussehen beurteilt werden und wie schwer vielen der Umgang mit der Vergänglichkeit von Schönheit fällt. Allein die von ihr gezeichneten Interviews mit mehreren älteren Frauen machen dieses Buch lesenswert. Hinzu kommen Erkenntnisse wie: Schönheit ist zufällig, frei verfügbar und man kann sie weder besitzen noch horten.

Buchcover von LIv Strömquists "Im Spiegelsaal"

Avant Verlag

Liv Strömquist: Im Spiegelsaal. Aus dem Schwedischen übersetzt von Katharina Erben. Avant Verlag 2021

Kaiserin Sissi

Besonders gelungen sind ihre Gedanken zu Kaiserin Sissi. Die sieht sie als Opfer - vom Mythos ihrer eigenen Schönheit. Man kennt die berühmten Gemälde in weißer Garderobe mit Sternen übersät. Das letzte Porträt von Kaiserin Sissi zeigt sie mit 32 Jahren. Danach ließ sie sich weder fotografieren noch porträtieren.

Wenn Kaiserin Sissi unter Leute ging, versteckte sie ihr Gesicht hinter Fächern oder unter großen Hüten. Niemand sollte sehen, dass die Kaiserin älter und faltig geworden ist. Sie wollte für immer die wunderschöne Kaiserin Sissi sein. „It was a huge gap between the image of her and her true self. That gap was being bigger and bigger every day, and that kind of gap made her very unhappy.“ Diesen massiven Unterschied zwischen Bildern, die von einer Person vermittelt werden und der Realität, erkennt Liv Strömquist auch gegenwärtig. Dabei geht es nicht nur um Schönheit, „it can be like another kind of image you want to show other people of yourself.“

Erstaunlicherweise galt Kaiserin Sissi mit ihrer täglichen Gymnastik, ihren Diäten und ihrem Schönheitsfokus damals als exzentrisch und merkwürdig. Heutzutage würde fast jeder ins Fitnesscenter gehen oder Übungen machen, würde sich Gedanken über die Ernährung machen und am Körper arbeiten. „So I think that we all are becoming more and more like Sissi, you know?“

„So I think that we all are becoming more and more like Sissi, you know?“

Durch dieses ständige Verbessern und Optimieren des Aussehens würden die Menschen völlig verlernen, was wirklich schön ist. Oder tiefe Begegnungen erfahren. Es ginge nicht darum, Teile des Körpers zu groß oder zu klein oder zu schwabbelig zu sehen. Das Leben sei zu kurz für dieses ständige Verbessern, Optimieren und Perfektionieren für Schönheit und Bilder davon. „Like in the case of Sissy, that made her very unhappy.“

Stattdessen appelliert Liv Strömquist die Schönheit anzuerkennen, die oft unerwartet daher kommt. „Suddenly you look very beautiful because you’re happy or something like that. So I think that’s the thing that we all can learn from from Sissi’s life.“

Im Spiegelsaal

Liv Strömquist hält dieser Bilderflut im Spiegelsaal erst recht einen Spiegel vor. In verständlichen Beispielen zeigt sie die Bedeutung, Wirkung und Kraft von Bildern und Schönheit. In Folge sieht sie letztlich eine Revolution, die die sozialen Beziehungen grundlegend verändert. Die Konsequenzen dieser Veränderung können wir noch nicht abschätzen, meint sie. Also sei es wichtig, mal zu stoppen, kurz innezuhalten, nachzudenken und die eigenen Gefühle und Handlungen zu analysieren.

„Im Spiegelsaal“ von Liv Strömquist kann dabei durchaus hilfreich sein.

Liv Strömquist auf einer Treppe

Emil Malmborg

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