FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Industria

Bleakmill

Schöne Enttäuschung

Das First-Person-Spiel „Industria“ erinnert absichtsvoll an „Half-Life“, bleibt aber abseits seiner gelungenen Präsentation im Mittelmaß hängen.

Von Rainer Sigl

Ein Experiment, das aus dem Ruder gelaufen ist, und ein Wissenschafter, der wider Willen mit Brechstange und Schusswaffen zum Retter werden muss: Das ist das Setting eines der berühmtesten Videospiele aller Zeiten - „Half-Life“. Das soeben erschienene First-Person-Spiel „Industria“ macht schon auf den ersten Blick, in seiner Ästhetik, keinen Hehl daraus, dass es in die Fußstapfen dieses Genreklassikers steigen will, aber auch seine Handlung variiert das Vorbild nur im Detail: Auch in „Industria“ bin ich eine Physikerin, die als Resultat zu ambitionierter Forschung auf die gute, alte rohe Gewalt zur Schadensbegrenzung zurückgreifen muss.

Statt Brechstange bekomme ich allerdings eine Spitzhacke zum Kistenzertrümmern, die Monster sind keine außerdimensionalen Aliens, sondern Roboter und die landen nicht bei mir, im Ostberlin während des Mauerfalls, sondern ich bei ihnen, in einer seltsamen Steampunk-Paralleldimension. Mein Freund Walter hat sich angesichts der politischen Unruhen dazu entschlossen, allein den Weg dorthin vorauszugehen, und ich folge ihm kurz entschlossen. Nach einem viel zu kurzen Einstieg im nächtlichen Berlin verschlägt es mich auf seinen Spuren an jenen anderen Ort. Schade eigentlich, denn das versiffte, menschenleere 80er-Jahre-Ostdeutschland der Anfangsszenen wäre als Setting reizvoller gewesen.

Raytracing ist nicht alles

Es bleibt leider nicht der einzige Moment, in dem man von „Industria“ enttäuscht wird. Zumindest grafisch und in Sachen Atmosphäre gibt das Spiel eines winzig kleinen Indiestudios wirklich viel her - die mit zeitgemäßen Raytracing-Effekten aufgehübschte Grafik setzt die Ruinenwelt schick in Szene.

„Industria“, entwickelt von Bleakmill und vertrieben von Headup, ist für Windows erschienen.

Die verlassenen Locations und europäisch anmutenden Stadtruinen sind überaus hübsch geraten, und auch die Story beginnt durchaus vielversprechend. Die erste Stunde des Spiels gibt Grund zur Begeisterung, doch nach und nach stellt sich Enttäuschung ein. Die Roboter, die sich mir überall entgegenstellen, sind nur dummes Kanonenfutter, und die wenigen Rätsel, die es abseits der mäßig spannenden Kämpfe zu erledigen gibt, sind auch nicht besonders originell. Wenn nach nicht einmal drei Stunden nach einem schwammigen Ende der Abspann läuft, wird klar, dass man vergeblich auf den Moment gewartet hat, an dem „Industria“ noch richtig gut wird.

Industria

Bleakmill

Schade drum

Wenn kleine Studios, wie hier ein deutsch-schottisches Team, das aus ehemaligen Moddern besteht und sein erstes kommerzielles Projekt abliefert, Spiele mit beeindruckender Grafik machen, ist irgendwoanders mit Abstrichen zu rechnen - im Fall von „Industria“ wiegt die atmosphärische Kulisse diese Mängel in Gameplay und Story aber leider nicht auf.

Spielerisch bleibt es maximal mittelmäßig, die anfänglich guten Ideen werden von Minute zu Minute immer rarer und die erwartbare, nur zu Beginn spannende Geschichte stolpert in ein unbefriedigendes Ende, das philosophische Tiefe leider nur behauptet.

Schade drum - in einer Welt, die so schön ist wie die von „Industria“, hätte ich gern Interessanteres erleben dürfen.

mehr Game:

Aktuell: