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Adam Driver in "Annette"

Alamode Film

Viennale

Sing, Adam Driver, sing!

Adam Driver und Marion Cotillard singen in „Annette“ in nahezu jeder Lebenssituation. Und Terence Davies feiert die Leidenschaft in „Benediction“ und bekommt im Viennale-Tagebuch und im Gartenbaukino viel Applaus für die eloquentesten Dialoge bislang!

Von Maria Motter

Viennale 2021
- FM4 präsentiert „Annette“ am 29.10. um 23 Uhr im Gartenbaukino
- FM4 Homebase zur Viennale am 27.10. (19-22 Uhr)
- Die Viennale auf FM4

„So we may start!“, singen Adam Driver, die französische Schauspielerin Marion Cotillard und Back-up-Sängerinnen samt Mini-Kinderchor in der Eröffnungsszene von „Annette“ ganz begeistert. Zuvor wandte sich eine Off-Stimme direkt an das Publikum, selbst das Atmen einzustellen. Der Chor informiert uns auch („The authors are here, and they are vain!“). Auf der Viennale, im Gartenbaukino ist die Vorfreude auf den Film zu hören, leises Kichern, Wegrascheln des Naschproviants und volle Aufmerksamkeit für die Österreich-Premiere von „Annette“ von Leos Carax.

Unter heftiger Mitwirkung der Sparks Brüder Ron and Russell Mael, von denen nicht bloß die Musik, sondern auch das Drehbuch stammt, inszeniert Carax die Beziehungsstationen eines Promipaares als Musical: Adam Driver zieht sich die Kapuze eines beigegrünen Bademantels über und macht auf der Bühne als Comedian Henry McHenry mehr als grenzwertige Witze, Marion Cotillard gibt eine gefeierte Sopranistin. Nach dem Musicalfilm „Nine“ und dem Edith-Piaf-Biopic „La vie en rose“ ist Cotillard erneut mutig und singt. „In Annette“ singen sie sich konsequent zum Orgasmus.

Adam Driver und Marion Cotillard in "Annette".

Viennale

Noch mehr singt dann Adam Driver, bis er am Ende aus taktischen Gründen zu schweigen versucht. Doch zuvor sind die beiden Tabloid-Darlings. Zur Arbeit an den Broadway fährt er mit dem Motorrad, sie wird vom Chauffeur im Van gefahren. Sie ernährt sich wie Schneewittchen von roten Äpfeln, er drückt mit der Energiebanane vor der Show die Zigarette aus. Wer möchte, kann sich viele Referenzen des Popkulturuniversums dazu denken, auch für den Nebenbuhler und Begleitpianisten drängt sich ein reales Vorbild auf.

Bald fahren Henry McHenry und der Opernstar gemeinsam auf seinem Motorrad durch die Nacht, er in Shorts und Loafers, sie im Abendkleid und ins Refugium mit Pool im Grünen kommt bald ihr gemeinsames Baby. Das Kind ist eine Marionette, eine Gliederpuppe. Im Kreißsaal wird die Geburt mit einem Kanon angefeuert („Push it, Ann, push it / Breath in, breath out“).

„Annette“ ist in der Überhöhung ein glänzendes Musical, das Genres von der Romanze bis zum Death-Row-Drama in Sequenzen anspielt, aber nicht allzu überdreht. Die Moral in der Geschichte – die falschen Göttern nachlaufende Gesellschaft – ist kurz und wird emporgehoben in einer fantastischen Passage. „Annette“ vermag zu unterhalten, wenn man Videos wie Lady Gagas „Telephone“ gern anschaut, dem Kanon-Singen nicht abgeneigt ist und mehr als ein Musical freiwillig gesehen hat.

Die Filmfestspiele von Cannes eröffneten mit „Annette“ und am Ende wurde Leos Carax mit dem Preis für die beste Regie ausgezeichnet.

„Benediction“ ist wahrlich ein Segen von Film

„Why do you hate the modern world?“, fragt der Sohn den Vater im wunderschönen Spielfilm “Benediction“. Because it’s younger”, kommt sofort als Antwort. Der britische Autorenregisseur Terence Davies freut sich über so viele Zuschauer*innen, an einem so sonnigen Tag und dieser prachtvollen Stadt, in der es so schön ist unterwegs zu sein, wie er gleich anmerkt. Davies ist auf der diesjährigen Viennale eine Personale gewidmet. Und 11 Uhr Vormittag ist eine gute Zeit, um den eigenen Englischwortschatz aufzupolstern.

„Benediction“ ist Davies‘ neuer Spielfilm. Und wahrlich ein Segen. Ein sehr ansehnliches junges Brüderpaar, das kichernd in einen Raum stolpert, will da in einer der ersten Minuten ihre Hemdenfarben wählen, „Sassoon“ ihr Nachname. Wenige Minuten später ist einer der Brüder tot, gefallen in der Schlacht von Gallipoli. Die Katastrophe des Ersten Weltkriegs ist der Startpunkt des Biopics, das uns den britischen Dichter Siegfried Sassoon (1886 - 1967) nahebringt. Und zwar herzlich nahe. Kennen musste man den Mann dafür davor überhaupt nicht.

Zwei Männer im Smoking in einem Saal - Szene aus "Benediction".

Viennale

„Quick to tears, slow to love“, sagt Jack Lowden (re) als Siegfried Sassoon über sich.

Jack Lowden spielt den Dichter Siegried Sassoon

Herrlich amüsant bis brillant sind die Dialoge in „Benediction“, innig inszeniert die Herzensgeschichten des Siegfried Sassoon, die Ausstattung und die Kostüme eine Augenweide und so viel Vergnügen hat mir schon lang kein Biopic gemacht. Jack Lowden als Siegfried Sassoon ist ein Sympathieträger, der ganze Cast fein gewählt.

Der Erste Weltkrieg blitzt in Originalaufnahmen schwarzweiß am Anfang und dann immer wieder kurz auf. Doch Sassoon ist mehr mit Herzensangelegenheiten – attraktiven Männern und Literatur – beschäftigt. Narzissmus („He’s amusing, but unpleasant“) und Ehrgeiz, Eifersucht und Konventionen sind hier die treibenden Motive.

Siegfried Sassoon kritisiert das sinnlose Menschen-Schlachten, zuvor war er für seinen Mut im Kampf ausgezeichnet worden, dann schickt man ihn in eine Heilanstalt. Doch während in Historiendramen der Ton vielfach getragen bis träge ausfällt, setzt hier ein Psychiater zum eloquenten Schlagabtausch an und dann ist da ein anderer Patient, mit dem es sich so schön Tangotanzen lässt. Die holzvertäfelten Innenräume haben kurz Pause, in einer Szene treiben die beiden Männer im blauen Pool umeinander.

Aus wohlhabendem, anerkannten Hause stammend, wird Siegfried Sassoon es sich leisten können, seine Homosexualität in den 1930er Jahren zu leben. Doch dann wählt er eine Ehefrau. Das taten damals viele schwule Männer, erklärt Terence Davies im Gartenbaukino und sagt, er hätte sich für sich selbst, für sein Leben, einen Zauberstab gewünscht, der ihn heterosexuell machen könnte. Das ist die abgrundtief traurige Seite. Doch für „Benediction“ hat sich Davies an den intensivsten Momenten im Leben Siegfried Sassoons gehalten, hat zwei dicke Biografien durchgeackert und sich dann entschieden: „It’s got to be felt, it’s got to be passionate – otherwise: Why do it?“

Terence Davis auf der Viennale im Gartenbaukino.

Viennale/Alexander Tuma

Als Terence Davies beim Publikumsgespräch im Gartenbaukino sein Vorhaben verrät, als Nächstes ein Werk von Stefan Zweig zu verfilmen, geht ein Raunen durch den Saal. „Rausch der Verwandlung“ will Davies in Wien drehen.

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