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FM4 Im Viertel – Granada in Graz

Florian Wörgötter

FM4 Im Viertel

Granada in Graz: Fight for your ride auf dem Waffenrad!

Die Grätzeltour-Serie FM4 Im Viertel geht in die zweite Staffel. In Episode 13 führen die steirischen Indie-Pop-Rocker Granada durch ihren „Wohlfühlort“ Graz. Sänger Thomas Petritsch und Gitarrist Lukacz Custos machen auf dem Schlossberg Musik mit ihren Waffenrädern und erklären den Wahlerfolg von Elke Kahr und der KPÖ.

Von Florian Wörgötter

Die Jungs von Granada holen mich vom Hauptbahnhof mit ihren Waffenrädern ab. Sänger Thomas Petritsch und Gitarrist Lukacz Custos fahren beide die gleiche Gattung „Oldtimer“ aus den 1960er Jahren. Es entsteht der Eindruck, Granada seien vom Hersteller Steyr gesponsert, der die Marke „Waffenrad“ einst auch in Graz produziert tat. Diese Partnerschaft würde einem ökologischen Sinneswandel entsprechen, schließlich hat sich die Band nach der 1970er-Benzinschleuder Ford Granada benannt.

Das brandaktuelle Thema „Mobilität“ zieht sich durch unsere Grazer Stadtführung wie ein roter Radweg: Österreichs zweitgrößte Metropole sei eine Fahrradstadt, meint Thomas. Auf dem Bike sei man in zehn Minuten überall. Lukacz glorifiziert das Zweirad sogar als „Symbol für Selbstermächtigung und Solidarität im urbanen Raum“. Insbesondere im von Feinstaub bedeckten Grazer Becken könnte ein Umstieg mehr Lebensqualität für alle bringen.

Doch ein eigenes Bike birgt auch Risiken: Sein Waffenrad wurde bereits einmal gestohlen, aber auch einmal wiedergefunden. Der auf der Straße ertappte Dieb meinte, er würde das Fahrrad gerade freundlicherweise zum Fundamt bringen...

FM4 Im Viertel: Eine Reportagereihe

In der Radioreihe FM4 Im Viertel spaziert Florian Wörgötter mit österreichischen Musiker*innen durch ihr Wohnviertel. Beim Flanieren durch spannende Gegenden erfahren wir, wie die Künstler*innen leben, wie ihr Grätzl klingt und wie sich dieser Sound in ihrer Musik wiederfindet.

Liebe Grüße aus Graz

„Graz ist mein Lebensmittelpunkt und mein Wohlfühlort, an dem ich ins kreative Schaffen komme“, sagt Thomas Petritsch, Frontsänger, Gitarrist und „Backstage-DJ zweiter Wahl“. Der geborene Grazer ist zwar in der Südsteiermark aufgewachsen, fand aber die meisten seiner musikalischen Ideen in der kleinen Großstadt (oder großen Kleinstadt). Ob er schon Songs für oder wegen Graz geschrieben hat? „Eigentlich keine – und dann doch irgendwie alle“, seine vielsagende Antwort.

Ein Trugschluss sei die Interpretation, dass der Song „Die Stodt“ mit dem Chorus „Alles grün-weiß“ der grün-weißen Flagge von Graz gewidmet ist. „Es haben auch schon Leute gedacht, ich schreibe einen Hasssong gegen Rapid“. Die Glaubensfrage, Sturm Graz oder GAK, beantwortet er hingegen eindeutig: Sturm.

Friendly Alien am Planet Ottakring

Das Projekt Granada entstand im Jahr 2015, als Thomas Petritsch zum Soundtrack des Wiener Feelgood-Movies „Planet Ottakring“ vier Songs beisteuerte. Um die heutigen Evergreens „Eh Ok“ und „Ottakring“ auch mit einer Band umzusetzen, rekrutierte er Lukacz und die anderen Musiker Alexander Christof (Akkordeon), Jürgen Schmidt (Bass) und Roland Hanslmeier (Drums).

FM4 Im Viertel – Granada in Graz

Florian Wörgötter

Vor dem Pub „Running Horse“ in der Kosakengasse erinnert sich Lukacz an das erste Rendezvous mit Thomas – und wie dieser ihn nicht nur zum ersten von drei Alben bezirzte, sondern auch zum Aufgeben des Aufgebens des Rauchens verführte.

FM4 Im Viertel – Granada in Graz

Florian Wörgötter

Geboren in Wien, aufgewachsen im Industrieviertel, zog es Lukacz in seinen Mittzwanzigern nach Graz. Er schätzt die Stadt wegen ihrer kurzen Reichweiten, die seinem (fehlenden?) Zeitmanagement zugute kommen und dafür, dass zufällige Bekanntschaften auch immer wiederkehren.

Das Uhrturm-Monster

Wie Thomas heute den Sound und das Gefühl von Graz in einen Song bringen würde, wenn man ihn für einen Soundtrack beauftragen würde? „Das ist eine gemeine Frage“, antwortet er leicht überfordert. Damals war es für ihn ein Experiment, sich in den Wiener Dialekt hineinzufühlen. Als Außenstehender sei es ein Glück gewesen, eine bessere Sicht auf Ottakring zu haben – mit Graz wäre er zu sehr verwoben.

Plötzlich klingelt es bei beiden – im weitesten Sinn hat Thomas bereits einmal den Filmstandort Graz vertont – mit seinem Soloprojekt Effi für die Komödie „Die unabsichtliche Entführung der Frau Elfriede Ott“ (2010). Den Song „Happy“ schrieb er damals noch in englischer Sprache.

FM4 Im Viertel – Granada in Graz

Florian Wörgötter

Welche Handlung ein Filmwerk über Graz bekommen sollte? „Ein Monsterfilm, in dem der Uhrturm zum Leben erwacht und alles zertrampelt wie ein riesiger Godzilla“, lachen beide.

Prestigeprojekt Graz

Die Stadt Graz blickt auf eine spannende politische Geschichte zurück. 1973 bis 1983 regierte ein Bürgermeister der FPÖ in einem Regierungsabkommen mit der ÖVP. 1983 bezogen die Grünen erstmals einen großtstädtischen Gemeinderat in Österreich. Von 1983 bis 2003 teilten sich Rot und Schwarz die Regierung, wobei die SPÖ die meiste Zeit den Bürgermeister stellte.

FM4 Im Viertel – Granada in Graz

Florian Wörgötter

„Damals haben alle Parteien noch gemeinsam Politik gemacht und nicht andere ausgegrenzt, um eigene Themen durchzuboxen“, meint Thomas. „Es ging noch mehr darum, das soziale Leben in Graz attraktiver zu gestalten und weniger zum Wirtschaftsstandort mit diversen Prestigeprojekten auszubauen, um Investoren auch Attraktives bieten zu können“, sagt Lukacz und deutet auf den gläsernen Wasserkopf des Kunsthauses hinter ihm, das wegen seiner architektonischen Außenseiterposition im Altbauviertel auch „Friendly Alien“ genannt wird.

Wahlerfolg der KPÖ

In den vergangenen 18 Jahren war die ÖVP in vier Gemeinderatswahlen die stimmenstärkste Partei. Doch die wahre Sensation gelang der Kommunistischen Partei Österreich bei den kürzlich geschlagenen Gemeinderatswahlen, als sich Elke Kahr die meisten Stimmen holte. Der erste Bürgermeisterinnenposten für die KPÖ scheint in greifbarer Reichweite.

Wie sich Granada den Wahlerfolg der KPÖ erklären? „Durch ihre bürgernahe politische Arbeit, die nicht darin bestanden hat, auf jedem Fest anzutanzen, in den Leuten zu baden und Worthülsen von sich zu geben“, sagt Thomas. „Sie haben den Leuten wirklich zugehört und sich auch daran gemacht, bestehende Probleme zu lösen. Elke Kahr hat sogar ihre Telefonnummer veröffentlicht“.

FM4 Im Viertel – Granada in Graz

Florian Wörgötter

Die KPÖ sei weniger kommunistische, sondern eine sozialistische Partei, meint Lukacz. Und ÖVP und FPÖ hätten aufgrund sinkender Umfragewerte einen Panikwahlkampf geführt, der eher die politischen Gegner/innen schlecht machen wollte – was nicht gut angekommen sei.

Lendwirbel und Murinsel

Wir machen Pause und trinken zwei Espressi in der neu eröffneten Speis am Lend auf dem Mariahilferplatz. Dort findet auch das partizipative Festival Lendwirbel statt – ein wichtiger Knotenpunkt für die Grazer Musikszene, die sich auch in Lokalen wie dem Cafè Wolf, dem Guestroom oder der Kombüse trifft.

FM4 Im Viertel – Granada in Graz

Florian Wörgötter

Danach queren wir die Mur auf einer wackeligen Fahrradbrücke und beobachten die schwimmende „Murinsel“. Die Plattform mit Cafè und Kunst („Der Tod aller Gastronomen“) wurde im Jahr der europäischen Kulturhauptstadt 2003 eröffnet. Die Murinsel kennt man auch als einen der Drehorte des in Graz spielenden Wolf Haas-Krimis „Das Ewige Leben“ (2015).

Konzert am Schlossberg

Am Fuße des Schlossbergs angelangt, dringen wir in das Berginnere. Im 2. Weltkrieg wurden im Schlossberg sechs Kilometer lange Stollen angelegt. Einer davon beherbergt heute die Spielstätte „Dom im Berg“, wo auch das Elevate Festival tagt oder Thomas kürzlich ein Konzert von Manu Delago besucht hat. In einem anderen Stollen machen verstimmte Klavierschnipsel einer Klanginstallation auf das Waldsterben und einen menschengemachten Ökozid aufmerksam.

FM4 Im Viertel – Granada in Graz

Florian Wörgötter

Endlich: Das Licht am Ende des Tunnels führt zur finalen Bergetappe auf den Gipfel des Schlossbergs. „Wer sein Fahrrad liebt, der schiebt“, lautet das Credo der beiden Cyclisten. In der letzten Serpentine quetscht bereits die steirische Harmonika vom Straßenmusikanten, der sich unüberhörbar vor dem Uhrturm, dem Wahrzeichen von Graz, positioniert hat. Das Akkordeon spielt auch im Klangbild von Granada eine Hauptrolle – but: Don’t call it Quetschen!

Fight for your ride!

Thomas und Lukacz schweifen ihren Blick über die zum Weltkulturerbe erklärten Dächer von Graz. Vom Uhrturm aus sieht man das hippe Lendviertel, den glänzenden Friendly Alien, das alte Kaufhaus von Kastner & Öhler, dem österreichischen Vorläufer von Amazon. Der Weitblick öffnet den Horizont des Stadtmenschen und reicht an klaren Tagen bis zum Plabutsch.

Zum großen Finale beenden Granada unseren Ausflug mit einer improvisierten Musikeinlage – auf dem einzigen Instrument in ihrer Hand: dem Waffenrad. Thomas trommelt den Bass auf dem harten Ledersattel, Lukacz holt die Obertöne aus der Fahrradklingel, beide singen den Chorus von „Mei Velo“ in den Himmel: „You got to fight for your ride, drum foa i mit mein’ Velo heit“.

Zum Abstieg noch die obligatorische Schlussfrage, die auch künftig wieder jede FM4-Im-Viertel-Folge beenden wird: Wäre Graz ein Musikstück, wie würde es klingen? Nach minutenlang geschmierten Assoziationsketten endlich die Antwort. Thomas resümiert:

„Graz klingt nach der sanften Getriebenheit der Menschen, dem Grundrauschen der Mur, konterkariert durch das schräge Stimmen eines Orchesters zu Konzertbeginn“

Lukacz setzt noch einen drauf: „Leichte Schwere, schwere Leichtigkeit.“

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