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Vanessa Nakate

Rowohlt Verlag

Vanessa Nakate: „Klimagerechtigkeit ist nur dann gerecht, wenn alle miteingeschlossen werden“

Die 24-jährige Vanessa Nakate liefert in ihrem Buch einen Einblick in ihr Leben als Klimaaktivistin in Uganda. Im Interview erzählt sie uns, warum es in der Klimakrise so wichtig ist, Stimmen aus aller Welt Gehör zu schenken.

Von Melissa Erhardt

Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos im Jänner letzten Jahres hat ein Foto für besonders viel Aufregung gesorgt: Es war ein Pressefoto der US-amerikanischen Nachrichten- und Presseagentur Associated Press, das vier Klimaaktivistinnen nach einer Pressekonferenz zeigte: Greta Thunberg, Luisa Neubauer, Isabelle Axelsson und Loukina Tille. Alle blond, alle Europäer*innen. Eine Aktivistin wurde aus dem Foto herausgeschnitten – obwohl sie die fünfte Person auf der Pressekonferenz war: die ugandische Klimaaktivistin Vanessa Nakate. Die Presseagentur rechtfertigte den Foto-Crop mit „kompositorischen Gründen“, das Gebäude hinter Nakate hätte das Bild gestört. Für die Aktivistin stand aber schon damals fest: „Sie haben nicht nur ein Foto entfernt, sie haben einen Kontinent entfernt“.

Mit der Schilderung dieses Ereignisses beginnt Vanessa Nakates Buch „Unser Haus steht längst in Flammen – Warum Afrikas Stimme in der Klimakrise gehört werden muss“, das am 28.10.2021 im Rowohlt Verlag erschienen ist. Darin erzählt die 24-jährige Aktivistin ihre Geschichte: Von ihrem ersten selbst organisiertem Klimastreik in den Straßen Kampalas bis zu ihrer ersten Klimakonferenz neben Greta Thunberg & Co. Im FM4-Interview spricht sie über ihr Buch und erklärt, warum es in der Klimakrise so wichtig ist, Stimmen aus aller Welt Gehör zu schenken.

Buchcover

Rowohlt Verlag

„Unser Haus steht längst in Flammen“ ist am 28. Oktober 2021 im Rowohlt Verlag erschienen.

Radio FM4: Dein Buch beginnt mit der Beschreibung des Vorfalls in Davos. Du schreibst: „Die Tatsache, dass ich aus dem Bild geschnitten wurde, gab meinem Aktivismus und meinem Leben einen neuen Rahmen.“ Was hat sich seit diesem Tag für dich verändert?

Vanessa Nakate: Alles. Seit dem Vorfall mit dem Foto hat sich wirklich alles verändert, und zwar zum Besseren. Als ich damals öffentlich fragte, warum ich aus dem Bild herausgeschnitten worden war, wurde ich von vielen Menschen unterstützt - vor allem in den sozialen Medien. Das hat meiner Stimme mehr Gewicht verliehen und dazu beigetragen, dass meine Botschaft und meine Geschichte viele Menschen erreicht. Auch die Art und Weise, wie ich Aktivismus betreibe, hat sich verändert, er wurde intersektionaler. Mir wurde einfach klar, dass wir ein einziges System sind - und wenn ein Teil des Systems in Ungleichgewicht gerät, ist letztendlich auch alles andere betroffen. Wir können einfach keine Klimagerechtigkeit ohne Gleichberechtigung der Geschlechter, ohne Beseitigung der Armut und des Hungers und ohne Racial Equality haben.

Radio FM4: In wenigen Tagen beginnt die COP26, die Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Glasgow. In deinem Buch schreibst du über deine Erfahrungen mit solchen globalen Klimakonferenzen. Ist es für Aktivist*innen aus dem globalen Süden einfach, an Gipfeln wie der COP teilzunehmen?

Vanessa Nakate: Nein, es ist nicht einfach. Es ist tatsächlich sehr kompliziert, besonders in diesem Jahr. Es gibt vier Hauptprobleme: Finanzierung, Akkreditierung, Visavergabe und Impfung. Viele Aktivist*innen haben Probleme, eine Akkreditierung zu erhalten. In einigen Ländern kann man nicht zur COP gehen oder ein Visum beantragen, wenn man die Akkreditierung der UNFCCC nicht hat. Und dann war die Finanzierung ein echtes Problem. Es ist extrem teuer, zu diesen Konferenzen zu reisen, besonders wenn man aus Afrika kommt. Um nach Glasgow zu reisen, müssen wir an die Reisekosten denken. Wir müssen an die Unterkunft denken, an die täglichen Ausgaben, und das ist extrem teuer. Ich kenne einige Aktivist*innen, die zwar akkreditiert sind, aber keine finanziellen Mittel haben. Sie sind auf der Suche nach einer Finanzierung. Und ich kenne einige, denen eine Finanzierung zugesagt wurde, die aber keine Akkreditierung haben. Und natürlich ist es angesichts der ungleichen Verteilung der Impfstoffe für viele Aktivist*innen nicht möglich, an der Konferenz teilzunehmen, weil sie schlicht und einfach nicht geimpft sind.

Es ist extrem teuer, zu diesen Konferenzen zu reisen, besonders wenn man aus Afrika kommt.

Radio FM4: In deinem Buch hast du über deine Erfahrungen beim UN-Klimagipfel in New York 2019 geschrieben. Damals hast du gesagt, dass du eine der wenigen Aktivist*innen of Colour bzw. Schwarzen Aktivist*innen warst, die an dem Gipfel teilgenommen haben. Hat sich das mittlerweile geändert?

Vanessa Nakate: Naja, Schwarze Aktivist*innen sind auf diesen Konferenzen immer noch nicht ausreichend vertreten. Man betritt einen Raum und stellt fest, dass es nur wenige Schwarze, People of Color oder indigene Menschen gibt. Ich befürchte, das wird auch auf der COP26 der Fall sein – vor allem, weil die meisten Aktivist*innen, die keinen Zugang zu Finanzmitteln, Akkreditierungen, Impfstoffen oder Visa-Problemen zu erhalten, eben genau Schwarze Aktivist*innenen, Aktivist*innen aus indigenen Gemeinschaften und People of Color sind.

Radio FM4: Was bedeutet das, wenn sie nicht repräsentiert werden?

Vanessa Nakate: Das bedeutet, dass es keine Klimagerechtigkeit gibt. Klimagerechtigkeit ist nur dann gerecht, wenn sie alle Menschen miteinschließt. Weißt du, ich habe mit jemandem hier in Deutschland gesprochen, der mir erzählte, wie viele Menschen in Deutschland schockiert waren, als es diese extremen Überschwemmungen gab, bei denen viele Menschen ums Leben gekommen sind. Die Person erzählte mir, wie schockiert die Menschen darüber waren, dass der Klimawandel real ist. Aber das ist etwas, worüber wir schon seit langem sprechen. Die Klimakrise war schon immer da, und wir haben immer darüber gesprochen. Wir haben es in unseren Communities erlebt. Es ist noch viel Arbeit zu leisten, damit die Menschen verstehen: Die Communities im globalen Süden bekommen bereits die schlimmsten Auswirkungen der Klimakrise zu spüren. Das ist aber nur möglich, wenn Aktivist*innen aus den am stärksten betroffenen Gebieten, Aktivist*innen aus dem globalen Süden, eine Plattform erhalten und angehört werden.

Radio FM4: Du sprichst und schreibst schon lange über dieses Thema. Auf Instagram hast du geschrieben, dass selbst ein Anstieg von 1,2 Grad bereits schwerwiegende Auswirkungen hätte, zum Beispiel auf Uganda. Wir sind momentan bei einem Temperaturanstieg von etwa 1.1 Grad. Welche Auswirkungen des Klimawandels erlebt ihr in Uganda?

Vanessa Nakate: In Uganda kommt es aufgrund des globalen Temperaturanstiegs zu Veränderungen im Wettergeschehen. Das bedeutet: Intensivere oder sintflutartige Regenfälle in kürzeren Zeiträumen und längere Trockenperioden. Viele Gemeinden in Uganda sind für ihr Überleben stark von der Landwirtschaft abhängig. Bei Klimakatastrophen wie extremen Regenfällen oder extremen Trockenzeiten werden Ernten und unsere Landwirtschaft entweder durch die extreme Hitze verdorren oder durch die extremen Regenfälle weggeschwemmt. Für die Gemeinden in Uganda bedeutet die Klimakrise also, um es kurz und bündig zu sagen, Nahrungsmittelknappheit. Sie bedeutet Wasserknappheit. Sie bedeutet den Verlust von Lebensgrundlagen. Sie bedeutet den Verlust von Unternehmen. Sie bedeutet den Verlust von Leben für sehr viele Menschen.

Radio FM4: Wenn du sagst: „Wir erleben vielleicht denselben Sturm, aber wir sitzen in verschiedenen Booten“, was meinst du damit?

Vanessa Nakate: Wenn man sich die Krise als Sturm vorstellt, ist jede Gemeinschaft damit konfrontiert. Allerdings sind wir unterschiedlich betroffen. Wenn ich sage, dass wir in verschiedenen Booten sitzen, meine ich damit, dass einige Boote bereits brennen. Einige Boote sind schwächer als andere. Einige Boote sind bereits am Sinken. Einige Boote sind bereits verschwunden, wir können sie nicht einmal mehr sehen. Das ist die grausame Realität der Klimakrise: Sie betrifft nicht alle von uns gleichermaßen. Es gibt Gemeinschaften, die am schlimmsten von der Klimakrise betroffen sind, und in den meisten Fällen haben diese Gemeinschaften die Klimakrise nicht einmal verursacht.

„Afrika ist historisch gesehen nur für drei Prozent der globalen Emissionen verantwortlich, und doch leiden die Afrikaner*innen bereits unter einigen der brutalsten Auswirkungen des Klimawandels.“

Wenn man sich Afrika ansieht, so ist Afrika historisch gesehen nur für drei Prozent der globalen Emissionen verantwortlich, und doch leiden die Afrikaner*innen bereits unter einigen der brutalsten Auswirkungen des Klimawandels. Wir haben Wirbelstürme erlebt. Wir haben Dürreperioden erlebt. Wir haben Überschwemmungen erlebt. Wir haben gesehen, wie sich Erdrutsche in unseren Gemeinden ereignet haben. Wenn man darüber nachdenkt, wird einem klar, dass Afrika - oder der globale Süden im Allgemeinen - zwar an vorderster Front der Klimakrise steht, aber nicht auf den Titelseiten der globalen Zeitungen. Wir werden nicht alle auf die gleiche Weise gehört.

Radio FM4: Als wir vorhin über den Klimawandel sprachen, hast du auch über die Gleichstellung der Geschlechter und die Racial Equality gesprochen. In deinem Buch gibt es ein Kapitel, das sich ausschließlich mit der Gleichberechtigung der Geschlechter und der Bildung für Mädchen beschäftigt. Warum ist das wichtig für den Kampf gegen die Klimakrise?

Vanessa Nakate: Frauen und Mädchen sind unverhältnismäßig stark von der Klimakrise betroffen, vor allem in Gemeinschaften und Gesellschaften, die entschieden haben, welche Rollen Frauen und Mädchen zu übernehmen haben. Oftmals finden sich Frauen und Mädchen in Gesellschaften oder in Rollen wieder, in denen sie für den Anbau von Nahrungsmitteln und die Landwirtschaft zuständig sind. Wenn es also zu einer Klimakatastrophe kommt und z. B. ihre Farmen zerstört werden, ist das harte Arbeit einer Frau, die in weniger als einem Tag manchmal gar in weniger als 30 Minuten weggespült wird.

Im Jahr 2019 habe ich einen Artikel über Child Brides gelesen, in dem erklärt wurde, wie einige Familien in Situationen gedrängt werden, in denen sie durch Klimakatastrophen alles verloren haben. Sie sind damit quasi gezwungen, ihre Kinder für die Ehe aufzugeben. Die Mädchen werden zur Heirat freigegeben, weil ihre Eltern einen Brautpreis erwarten, der ihnen helfen könnte, sich von den Verlusten zu erholen, die sie erlitten haben.

Radio FM4: Als du das erste Mal in Kampala, der ugandischen Hauptstadt, auf die Straße gegangen bist, um zu demonstrieren, hast du in deinem Buch geschrieben, dass du Angst vor der Polizei und der Willkür des Staates hattest. Du wusstest nicht, was passieren würde, weil es für ein Mädchen nicht üblich war, auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren. Hat sich das geändert?

Vanessa Nakate: Ja, anfangs war es sehr beängstigend, auf die Straße zu gehen. Außerdem war ich sehr schüchtern und wusste nicht, wie ich den Leuten auf der Straße begegnen sollte. Ich hab Kommentare gehört wie: Wenn du einen Mann suchst, dann sag das doch einfach, anstatt auf der Straße zu stehen. Manche bezeichneten es als Prostitution, getarnt als Klimaaktivismus, weil ich auf der Straße stehe. Aber irgendwann folgten sie mir, als hätten sie nur darauf gewartet, dass ich anfange (lacht).

Aber ja, es ist ein Problem, dass wir nicht in der Lage sind, große Streiks zu organisieren, wie wir sie in Europa oder in den Vereinigten Staaten sehen, weil es für uns nicht einfach ist, Genehmigungen für solche Dinge zu bekommen. Und die andere Sache ist: Wenn du mit dem College fertig bist, ist schon geplant, was du tun sollst. Mich haben Menschen gefragt, warum ich mir keinen Job suchen würde und so weiter. Das hat mir gezeigt, wie schwer es ist, Aktivistin zu sein, vor allem als Mädchen oder Frau, weil die Gesellschaft bestimmte Dinge von einem erwartet.

Radio FM4: Und wie fühlt es sich jetzt für dich an? In vielen Artikel, die über dich geschrieben werden, wirst du als DIE afrikanische Aktivistin für den Klimawandel bezeichnet. Siehst du das als Last, dass du einen ganzen Kontinent vertreten musst? Oder siehst du das als Chance?

Vanessa Nakate: Es ist wirklich mit viel Druck und viel Verantwortung verbunden. Und manchmal habe ich das Gefühl, dass ich die Stimmen und Geschichten anderer Aktivist*innen auslösche. Wenn das passiert, versuche ich die Leute so oft wie möglich daran zu erinnern, dass ich nicht die einzige Aktivistin aus Afrika bin, und dass Afrika nicht nur ein Land ist. Ich bin nur eine Aktivistin aus Uganda, es gibt eine*n Aktivist*in aus Kenia, es gibt eine*n Aktivist*in aus Sierra Leone, aus Südafrika, aus Nigeria, Sambia und so weiter. Es gibt verschiedene Aktivist*innen in ganz Afrika, die sich zu Wort melden wollen. Das übt also einen gewissen Druck auf mich aus, und das ist nicht so schön.

Radio FM4: Vielen Dank für deine Zeit!

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