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Still aus der Serie "Maid"

Netflix

Der amerikanische Alptraum

Das Leben als alleinerziehende Mutter ist schwer. Wie schwer es in den USA ist, wenn man noch dazu keine Ausbildung, keine finanziellen Mittel und keinen Job hat, das zeigt die Serie „Maid“ deutlich und eindringlich.

Von Jenny Blochberger

Der Counter zählt herunter: jetzt hat Alex noch 15 Dollar, dann 12, dann 8. Während ihres Einkaufs verringert sich die Summe nach und nach, bis ihr nur mehr 2 Dollar bleiben. Nicht in der Geldbörse, sondern überhaupt. Als Zuseherin würde man gern in den Bildschirm hineingreifen und der jungen Mutter etwas zustecken, damit sie ein einziges Mal etwas mehr kaufen kann als das absolut Nötigste. Noch prekärer ist ihre Lage, seit Alex ihren Partner verlassen hat, der in angetrunkenem Zustand aggressiv wird. Wild entschlossen, ihr Leben und das ihrer zweijährigen Tochter zum Besseren zu wenden, bittet sie bei einer staatlichen Stelle um Unterstützung. Aber für eine junge Frau ohne Ausbildung und ohne besondere Fähigkeiten gibt es die kaum. Kein Job, kein Geld für Kinderbetreuung – keine Kinderbetreuung, kein Job: ein absurder Teufelskreis.

Der Staat gewährt Unterstützung nur äußerst widerwillig; es wird vorausgesetzt, dass man sich zuerst einmal im persönlichen Umfeld Hilfe holen kann, etwa durch Verwandte, die Kinder hüten können. Aber Alex‘ Mutter ist eine labile Lebenskünstlerin und selbst mehr Belastung als Hilfe, und ihr Vater ist mit seiner neuen Familie beschäftigt.

Still aus der Serie "Maid"

Netflix

Margaret Qualley und Andie MacDowell

Buchcover von "Maid"

Hachette Books

„Maid“ basiert auf den Memoiren der Journalistin Stephanie Land. Alle zehn Folgen der ersten Staffel sind seit 1.10.2021 auf Netflix verfügbar.

Alex zieht in ein Obdachlosenheim und nimmt den einzigen Job an, den sie ohne Ausbildung machen kann: Putzfrau bei wohlhabenden Leuten. Das ist Knochenarbeit unter prekärsten Verhältnissen; denn Alex arbeitet nicht für ihre Kund*innen direkt, sondern für eine Reinigungsfirma, deren Chefin sich keinerlei Mitgefühl leisten kann, weil sie mit ihrer Firma selbst gerade so zurechtkommt. Das heißt: die Putzutensilien muss Alex selbst bezahlen, sie muss selbst schauen, wie sie zu den Kund*innen kommt, und wenn sie vor verschlossener Tür steht, weil eine Kundin auf sie vergessen hat, bekommt sie keine Entschädigung für die verlorene Zeit.

Edelstahlküchen, Whirlpools und Terrassenmöbel, begehbare Schränke voller edler Kleidung und Kühlschränke voller frischem Gemüse und gutem Wein: der Kontrast zwischen Alex’ Leben und dem ihrer Kund*innen könnte krasser nicht sein. Und trotzdem wird die junge Frau niemals wütend aufgrund der ungerechten Klassenunterschiede, höchstens manchmal etwas wehmütig.

Alex hat schriftstellerische Ambitionen; in einem ihrer Notizbücher vermerkt sie einmal, dass die Bewohner*innen der großen Häuser mit den riesigen Glasfassaden vielleicht gerade dadurch die eigene Einsamkeit gespiegelt bekämen. Ja, Geld macht nicht glücklich und reiche Menschen weinen auch, wir haben verstanden.

Margaret Qualley spielt in „Maid“ eindringlich das charakterstarke Aschenputtel, das von unbezwingbarer Mutterliebe angetrieben wird. Ein wenig gar zu prinzipienstark und fehlerlos ist die Figur gezeichnet, ein wenig gar viele Schicksalsschläge treffen sie unverschuldet - Qualley schafft es aber trotzdem, Alex Echtheit und Tiefe zu verleihen. Dasselbe kann man nicht von Andie MacDowell sagen: Qualleys real life Mutter legt die Figur von Alex’ Mutter als überdrehte Hippiekarikatur an. Wo Alex bodenständig und empathisch ist, ist ihre Mutter egozentrisch und selbstverliebt. Oft hat man den Eindruck, dass Mutter- und Tochterrollen verkehrt sind, wenn Alex sich liebevoll um die trotzige Mutter und deren Launen kümmern muss – zusätzlich zu allen ihren anderen Problemen.

Alex’ Ex-Partner, der Vater ihrer kleinen Tochter, ist die interessantere Figur: mal selbstsüchtig und verständnislos, dann aber wieder fürsorglich und ehrlich bemüht, sich zu bessern. Mitunter ertappt man sich sogar dabei, dass man wünscht, Alex wäre nicht so stur und würde dem armen Kerl nochmal eine Chance geben, auch weil das ihre eigene Situation zumindest vorläufig stabilisieren könnte – und dann denkt man daran, wie enttäuscht man war, als eine von Alex’ Freundinnen aus dem Frauenhaus genau das gemacht hat und zu ihrem gewalttätigen Ex zurückging.

Still aus der Serie "Maid"

Netflix

Am Ende einer Arbeitswoche hat Alex nach Abzug aller Kosten genau 9 Dollar übrig, und das, obwohl sie die Maximalzahl an Stunden gearbeitet hat, die sie machen darf, ohne dass ihr die dringend benötigten Zuwendungen gestrichen werden. Viel Spielraum für Fehler ist da nicht drin. Ein einziger Unglücksfall, wie der Verlust des Autos oder Schimmelbefall in der Wohnung, kann ganz schnell die kleine Existenz, die man sich mühevoll aufgebaut hat, zum Einsturz bringen.

All jene, die meinen, jede*r könnte es durch harte Arbeit schaffen, sich selbst am Schopf aus dem Sumpf zu ziehen, sollten sich „Maid“ ansehen. Die Serie erzählt keine neue Geschichte und liefert keine revolutionären Erkenntnisse, verdeutlicht aber extrem anschaulich die Folgen des kaputten US-Sozialsystems für die davon abhängigen Menschen. Der American Dream wird hier konsequent zerlegt.

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