Napoleon: Kaiser Faker Influencer
Von Paul Pant
Vor 200 Jahren hat Napoleon Bonaparte in seinem Exil dem Longwood House auf der Insel St. Helena das zeitliche gesegnet. Magenkrebs. Seine Hinterlassenschaften abseits von Krieg, geplatzten Träumen und Verwüstung: Napoleon Torte, Napoleon Schnitzel, Bier und Weinmarken, Computerspiele, Musik, Käsesorten, die Napoleon Butterbirne, Pornos, Napoleon Komplex und sogar Schornstein-Abdeckungen tragen den Namen Napoleon Hut, weil sie aussehen wie der extravagante Kopfschmuck des französischen Diktators.
Was ist Fakt, was ist Fake?
Mehr als das Merchandise wiegen noch heute die Texte, Geschichten und Bilder von Napoleon dem Ersten, Kaiser der Fake News, wie Autor Stefan Schlögl und Illustrator Wolfgang Hartl in ihrem Buch „Napoleon schläft mit Mona Lisa“ eindrucksvoll vorführen. Darin werden die überlieferten Stories von Napoleon abgeklopft auf ihren tatsächlichen Wahrheitsgehalt und durch die Brille der Gegenwart betrachtet. Mit der brandaktuellen Frage: Was ist Fakt und was ist Fake?
Denn Napoleon ist vor allem eines gewesen, ein Meister der Inszenierung und medialen Manipulation. Ein gerissener Korse, der in das Machtvakuum der französischen Revolution stößt, als die Eliten vernichtet oder vertrieben waren. So wie heutige Potentaten, die wunderbaren Möglichkeiten von Social-Media-gestützter Propaganda mit Massenmedien entdeckt haben, so hat Napoleon die Möglichkeiten seiner Zeit clever und skrupellos für seinen Aufstieg genutzt. Nach der Machtergreifung einen Propagandafeldzug gestartet, der heutiger „Message Control“ um nichts nachsteht. In der beispielsweise 15minütige Gefechte um kleine Brücken (Schlacht von Lodi) zu epochalen Schlachten mit genialer, taktischer Führung Napoleons aufgeblasen wurden.
Edition5Haus / Wolfgang Hartl
Die medialen Schlachtfelder hingegen hatten ganz andere Dimensionen: Über 550 neu-gegründete Zeitungen in Frankreich, massenhaft verbreitete Flugblätter, Plakate, Guckkastenbilder und Theaterbühnen begleiteten die französische Revolution. Und alle mussten mit Heldengeschichten und Bildern versorgt werden. Die Content Creator damals: Kupferstecher, Drucker und Holzschnitzer. Die Trikolore, der heldenhaft voranstürmende Infanterist wurden das Che-Gevara-Leiberl des 18 Jahrhunderts. Dazu hat Napoleon Frankreich und die Französ*Innen statistisch erfassen lassen, inklusiv regelmäßiger Umfragen, um schnell auf Trends reagieren zu können.
Historytainment at its best
Edition 5Haus
Die Hintergründe und kritische Einordnung von Napoleons Aufstieg servieren Stefan Schlögl (Text) und Wolfgang Hartl (Grafik) zugespitzt und leichtfüßig. Mit mehr als 200 Illustrationen, die das schillernde Buch zu einem ganz speziellen Leseerlebnis machen, das einen Sog zum Weiterblättern entwickelt wie eine Instagram/TikTok Session. Zwischen den History Facts bricht ohne viel Tamtam da schon einmal eine Doppelseite mit Management-Tipps durch („Managment by Bonaparte - In zehn Punkten zum Erfolg“). Eine eingeschobene, launige Blaupause, wie man womöglich sein Karrieregame verbessern kann. Historytainment at its best, wie man es aus gutem Magazin-Journalismus kennt, ohne staubigem Zeigefinger.
Gut gelungen ist auch die Auseinandersetzung mit den Quellen. Pointiert mit belegten Zitaten Napoleons: „Es kommt nicht auf die Wahrheit darauf an, sondern darauf was die Leute für die Wahrheit halten“, oder nur zugeschriebenen Zitaten: „Geschichte ist die Lüge, auf die man sich geeinigt hat“. Im Anhang findet man übersichtlich die Hinweise zu weiterführender Literatur.
Edition5Haus / Wolfgang Hartl
Verlag während Pandemie gegründet
Das Duo Schlögl und Hartl hat mit seiner unkonventionellen Napoleon Biografie ein wunderbares ‚Debüt‘ seines noch blutjungen Verlages hingelegt. Edition 5Haus hat sich gerade erst im 15. Bezirk in Wien, am Henriettenplatz gegenüber der bekannten Schule sein neues Zuhause eingerichtet. Neben dem ehemaligen Journalisten Stefan Schlögl (Der Standard, Datum, Die Zeit) und Grafiker Wolfgang Hartl sind auch Buchhändlerin Magda Hassan und Kulturmanager Tobias Pichler (Käfigkonzerte, Mon Ami ua.) mit an Bord. Ihr Anspruch, fantastische Geschichten neu erzählen, mit Text, Fotos, Bild und allem das in und auf zwei Buchdeckel passt.
Bei Napoleon schläft mit Mona Lisa ist das hervorragend gelungen. Eine unterhaltsame Dekonstruktion des faszinierenden G’schichtldruckers Napoleon, der unermüdlich an seiner Mythenbildung gearbeitet hat. Und dessen Image bis heute in Geschichtsbüchern und auf Wikipedia fortlebt: Selfmademan, kühner Feldherr, brillanter Stratege und revolutionärer Machtpolitiker. Die anderen Seiten findet man in Schlögl und Hartls Buch: Der unsicherer Despot mit derben Humor, der Gespenstergeschichten geliebt hat.
Edition5Haus / Wolfgang Hartl
Publiziert am 30.10.2021