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Der Hype um Wet Leg

Holllie Fernando

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Wet Leg - 2 Songs für 1 Halleluja

Mit bloß zwei Songs ist um das britische Duo Wet Leg ein großer Hype ausgebrochen – zu Recht, wie wir meinen. Ein Interview.

Von Christian Lehner

Im äußersten Süden Englands liegt eine kleine Insel namens Isle of Wight. Ihr werdet es kaum glauben, aber dort ist das Klima so mild, dass gelegentlich sogar Palmen wachsen – oder was die Engländer dafür halten. Zu den berühmten Einwohner*innen zähl(t)en Karl Marx, Queen Victoria und Ray Cokes von MTV.

Jetzt muss die Isle Of Wight wohl auch zur Rock’n’Roll-Insel erklärt werden, denn von diesem beschaulichen Island kommt die derzeit heißeste Indie-Rock-Band Englands - vielleicht sogar des Planeten.

Es handelt sich um das Duo Wet Leg, bestehend aus Rhian Teasdale und Hester Chambers. Iggy Pop und Florence Welch von Florence and the Machine sind Fans. Die New York Times schreibt von einer Band, die schon mit ihrem ersten Lebenszeichen komplett entwickelt scheint.

Die Sache ist nämlich die: Wet Leg haben bisher bloß zwei Songs veröffentlicht. Die sind aber so catchy, dass sie sofort große Wellen geschlagen haben. Gitarrenmusik aus dem UK ist generell wieder sehr angesagt mit so unterschiedlichen Gruppen wie Black Midi, Fontaines D.C., Goat Girl, New Country Black Road, Squid und noch vielen mehr. Sie alle beziehen sich mit ihrem Sound auf den Post-Punk der 1970er und -80er-Jahre. Sie sind oft experimentell, zeigen Ecken und Kanten.

Der Hype um Wet Leg

Domino Records

Wet Leg lassen die Gitarren zwar auch gelegentlich aufheulen, aber sie verbreiten dabei sehr viel Coolness, Spaß und Mitsinglaune. Mit Hilfe befreundeter Musiker, die auch alle von der Isle Of White stammen, arbeitet das Duo gerade am Debütalbum. Wet Leg wurden vom Fleck weg vom Indie-Giganten Domino Records gesignt. Am Mischpult sitzt u.a. Produzenten-Legende Alan Moulder (Ride, The Cure, Nine Inch Nails). Die für das kommende Frühjahr gebuchten Touren durch das UK und die USA waren nach wenigen Stunden ausverkauft.

Unser Interview mit Sängerin Rhian Teasdale wird mehrmals verschoben, später springt Partnerin Hester Chambers ein. Doch in die Leitung hat sich leider ein Bug eingeschlichen und die Soundqualität so angeknabbert, dass Tonmeister Rudi Ortner von der FM4-Produktion nach kurzer Prüfung lakonisch meinte: „Vor Gericht brauchbar, im Radio nicht.“ Deshalb hier jetzt ein Transkript des Gesprächs mit Hester Chambers.

Der Hype um Wet Leg

Hollie Fernando

Christian Lehner: Gestern war Halloween. Habt ihr gefeiert?

Hester Chambers: Nein, wir hatten Band-Probe. Rhian hat allerdings einen abgeschnittenen Finger am Boden gefunden. Er war aus Plastik. Thanks god!

Ihr stammt alle von der Isle Of Whight. Was man darüber so lesen kann, ist das ein ziemlich idyllischer Ort.

Wir sind am südlichsten Zipfel Englands angesiedelt mit ein bisschen Wasser drumherum. Es ist eine kleine Insel mit gut 100.000 Einwohnern, nicht allzu weit entfernt vom Festland. Wir haben unser eigenes Mikroklima und es ist vergleichsweise warm. Es wachsen sogar Palmen bei uns und es gibt einen Botanischen Garten – ein kleines Paradies.

Queen Victoria hatte eine Sommerresidenz auf der Insel – auch um ungestört eine amouröse Beziehung auszuleben.

Das Osborne House! Es ist ein Riesenkasten! Aber es spukt dort, speziell um diese Jahreszeit. Queen Victoria wusste, wie man lebt, das Anwesen hat einen eigenen Strand.

Strahlt die Sonne der Isle Of Whight auch in eurer Musik?

Ich würde das gerne mit Ja beantworten, Tatsache ist aber, dass Rhian und ich während des ersten Lockdowns viel Zeit zum Herumalbern hatten und unsere Songs aus purem Spaß heraus entstanden. Deshalb auch dieses Feeling.

Stimmt es, dass ein Riesenrad bei der Bandgründung von Wet Leg eine Rolle gespielt hat? Oder ist das einer dieser Band-Mythen, die Promo-Menschen gerne in Biografien schreiben, damit die Presse eine gute Geschichte hat?

Kein Mythos! Wir besuchten das „End Of The Road“-Festival in Dorset – eines unserer Lieblings-Festivals. Die Idles hatten gerade gespielt und wir zogen leicht angeheitert über das Festival-Gelände und da war dieses Riesenrad. Wir also rein und rauf auf den höchsten Punkt. Der Auftritt der Idles hatte uns so umgehauen, dass wir dort oben in der Kabine des Riesenrades beschlossen, eine neue Band zu gründen.

Mit „wir“ meinst Du Rhian und Dich. Wet Leg sind im Wesentlichen ein Duo?

Genau! Rhian steht dabei im Vordergrund. Sie ist die Sängerin, schreibt die meiste Musik, hat die irrsten Lyrics. Ich halte mich ein wenig im Hintergrund, tanze ein bisschen rum und so.

Was den Fun betrifft, das ist jetzt keine Gegenbewegung, so sind wir einfach.

Wie seid ihr zum Duo geworden?

Wir kennen uns seit über 10 Jahren von einem Musikkurs am College. Es hat aber lange gedauert, bis wir etwas miteinander gemacht haben. Wir waren getrennt voneinander in verschiedenen Bands und Projekten involviert, die aber mehr in Richtung Folk tendierten. Rhian liebt Joanna Newsom und Björk, ich habe viel ältere Sachen gehört von Nick Drake und Neil Young. Als wir begannen, gemeinsam Musik zu machen, spielte sie am Klavier, das ist eigentlich ihr Stamminstrument. Sie fragte mich, ob ich nicht die Gitarre übernehmen könnte. Ich war anfangs sehr gehemmt, weil ich das nie ausprobiert hatte. Aber es ging dann doch. Zunächst spielten wir in kleinen Venues und später auf ganz kleinen Festivals (lacht).

Und der Weg vom Folk zum Rock …

… Das passierte, als Rhian beschloss, auch Gitarre zu spielen. Sie hatte sehr viel Spaß damit.

Was bedeutet der Name der Band?

Ähm …

Ähm … okay, verstehe. Also sagen wir, dass es am Wasser liegt, das die Isle Of Whight umgibt.

Einverstanden.

Ihr firmiert als Duo, aber bei den Live-Auftritten und im aktuellen Video sieht man viele sehr haarige Typen um Euch herum.

Das ist unsere „hairy band“! Ellis am Bass, Henry an den Drums und Josh an den Synthies und der Gitarre. Damit hätten wir den Großteil der männlichen Population der Isle Of Whight in der Band.

Ihr habt bisher zwei Songs veröffentlicht. Du hast vorhin gesagt, ihr habt die mehr oder weniger aus Spaß gemacht. Wie konnten die dann so hohe Wellen schlagen?

Es war eine lange Nacht bei mir zu Hause. Wir hatten eine Mini-Party und wir alberten auf den Instrumenten herum. „Chaise Longue“ entstand, weil Rhian auf einem „Chaise Longue“-Sofa saß. That’s it! Irgendjemand nahm das auf. Am Morgen, als wir erwachten, hörten wir uns das Demo an und konnten nicht glauben, was für einen Nonsens wir fabriziert hatten. Aber unseren Freunden gefiel das so gut, dass der Song schnell im Bekanntenkreis herumgereicht wurde.

Und dann landete er auf TikTok oder YouTube …?

Gar nicht. Ein Freund kannte einen Musikmanager, der war sofort Feuer und Flamme und schickte das Tape einem Bekannten bei Domino Records und dann ging alles sehr schnell und wir nahmen das Stück mit Jon McMullen und Alan Moulder auf.

Gitarrenmusik erlebt gerade ein x-tes Revival – speziell im UK. Im Gegensatz zu Euch kommen Bands wie Goat Girl oder Black Midi aber ein wenig streng rüber.

Wirklich toll ist, dass da so viele Bands mit weiblicher Besetzung darunter sind. Wir haben immer viel Indie gehört, aber die männliche Dominanz war doch ein wenig ernüchternd – selbst zur Zeit der Riot Grrrl-Bewegung. Das ist jetzt anders. Was den Fun betrifft, das ist jetzt keine Gegenbewegung, so sind wir einfach.

“We are defenitely not into taking shit!”

Dabei sind die Texte nicht nur nonsense. Speziell bei „Wet Dream“ hört man einen feministischen Unterton heraus, dass bestimmte Dinge in Beziehungen so einfach nicht mehr funktionieren – Entschuldigungen, Ausreden, dumme Pick-Up-Lines.

Absolut! We are definitely not into taking shit! Das ist uns wichtig. Unsere befreundete Band Coach Party, auch von der Isle Of Whight, hat vor Kurzem den Song Feel Like A Girl veröffentlicht. Darin geht es um den Zorn auf Typen, die Frauen missbrauchen – online und im Alltag.

Mit nur zwei veröffentlichten Songs erlebt ihr gerade, was man in vordigitalen Zeiten einen Band-Hype genannt hat, wo etwa im Brit-Pop jede zweite Woche eine neue „beste“ Band der Welt verkündet wurde. Die New York Times streut Euch Rosen, Iggy Pop Komplimente und die Tour im Frühjahr ist bereits ausverkauft. Die immergleiche Frage dazu: Was überwiegt, Druck oder Freude?

Ach, es ist so unglaublich, was wir gerade erleben und ich glaube, wir wären etwas einfältig, wenn wir uns jetzt groß über die Aufmerksamkeit beschweren würden. Wir haben nicht im Traum daran gedacht, dass sich irgendjemand für unsere Späßchen interessiert. Und um das geht es auch weiterhin, wir machen, was uns Spaß macht und hoffen, dass es anderen eine Freude bereitet. Mehr können wir nicht tun.

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