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APA/AFP/POOL/Christopher Furlong

robert rotifer

Boris Johnson auf der COP26: Heiße Luft aus allen Löchern

Ein kurzes Protokoll meiner Schwierigkeiten beim Versuch, Boris Johnson zuzuhören, wie er über die Klimakatastrophe redet.

Eine Kolumne von Robert Rotifer

Ich geb ja zu, so geht’s nicht. Seit Wochen schon drehe ich, bisher doch immer der gelbgesichtige News-Junkie, in der Früh nicht mehr die Drei-Stunden-Nachrichtensendung von Radio 4 auf, sondern höre stattdessen im Internet-Radio auf Chante France Soixantes im von jeglichen Wortmeldungen ungetrübten Loop die immer selben alten französischen Schmachtfetzen und betrachte dazu die Welt ausschließlich in einer Puppenhausoptik der Vorder- oder Seitenansichten, so als lebte ich im neuen Wes Anderson-Film („Aline“ ist im Original von Christophe trotzdem besser, sorry Jarvis, äh... Tip Top). Man kann das als Realitätsverweigerung oder als Versuch werten, einen Rest von Lebenswillen zu behalten.

Robert Rotifer moderiert FM4 Heartbeat und lebt seit 1997 in Großbritannien, erst in London, dann in Canterbury, jetzt beides.

Gestern früh hab ich mir dann gedacht, du kannst doch nicht einfach weghören, wenn gerade in dem Land, wo du wohnst (naja, nicht ganz, in Schottland halt) die UNO-Konferenz zur Planetenrettung stattfindet.

Ein bisschen ängstlich hab ich also den Bakelit-Knopf meines Internet-Radios aus meiner „French Dispatch“-Idylle rüber in die vermeintlich echte Nachrichten-Welt mit ihren frustrierend verzerrten Perspektiven gedreht. Schon kam ich in den Genuss eines Gedankenaustauschs zwischen dem Moderator und der Untergeneralsekretärin des UNO-Entwicklungsprogramms über den Kapitalismus, der ja, so der Moderator, schon unbestreitbar viele Menschenleben gerettet habe.

Ich nehme an, diese Diagnose gilt vom Sklavenhandel bis zur Gegenwart, in der einer von fünf Todesfällen auf von fossilen Brennstoffen verursachte Luftverschmutzung zurückgeht. Aber ja, come on, hit me with your Gegenbeispiele, und wir werden zu demselben Schluss kommen, dass die Zurechnung von geretteten versus vernichteten Menschenleben an den Kapitalismus in einer Welt, die kein anderes System kennt, nämlich genauso wenig Sinn ergibt wie die Antwort der Untergeneralsekretärin. Die kommt selbst aus dem auf so Dinge wie Immobilien und Hedge-Fonds spezialisierten Investmentkonzern Blackstone und sieht den Kapitalismus daher nicht als das Problem (hallo, endloses Wachstum!), sondern als einen „Stakeholder“ (stimmt andererseits, ohne menschliches Leben kein Kapitalismus, obwohl eigentlich, die KI könnte da schon auch allein weitermachen), versichert uns aber, dass sie schon immer an ein „Gleichgewicht, wenn Sie so wollen, zwischen Menschen und dem Planeten“ geglaubt habe. Die Wendung „wenn Sie so wollen“ verrichtet in diesem Satz Schwerstarbeit. Und ich weiß wieder ganz genau, warum ich mir und meinem eigenen planetarischen Gleichgewicht zuliebe das Gerede rund um Cop26 bisher nicht angetan habe.

Es war ja auch so schon unmöglich, Boris Johnsons abenteuerlichen Fußball-Gleichnissen zu entgehen, beginnend bei seiner Behauptung, die Welt liege in ihrem Match mit der selbstverursachten Apokalypse derzeit bei Halbzeit mit 1:5 im Rückstand. Dank der Erfolge der ersten zwei Konferenztage revidierte er diesen Spielstand dann gleich auf 2:5, wenn nicht gar 3:5, so schnell geht das, Tor um Tor. Immer noch alles nichts gegen seine Film-Allegorien („Wir mögen uns nicht fühlen und nicht aussehen wie James Bond, aber Cop26 muss der Beginn des Kaltstellens dieser Bombe sein.“), die in einer Forderung eines „Endes des großen Chainsaw Massacre“ der Waldvernichtung gipfelten. Zumal Johnson offenbar glaubt, der Horror des Endes der menschlichen Zivilisation allein sei ohne das Evozieren von Blutgespritze bei der ihm lauschenden Konferenz noch nicht so ganz der Bringer.

Boris Johnson von hinten

APA/AFP/POOL/Christopher Furlong

Allein darin hat er deprimierenderweise vielleicht sogar recht, aber die einzige Lektion, die die Weltöffentlichkeit von seinen Wortmeldungen lernt, ist wohl – falls sie das noch immer nicht begriffen haben sollte –, dass das Denkvermögen dieses Menschen nicht über die zum Verfassen seiner Spectator- und Telegraph-Kolumnen nötige Metaphernsuche hinausgeht. Mehr ist da nicht.

Bis auf eine ganz bestimmte Zugabe, die gibt es ganz verlässlich immer: Vor ein paar Tagen, noch im Anlauf zur Annahme seiner grüngefärbten Cop26-Persona trieb sein unfehlbarer Instinkt zur Kanalisierung rechtspopulistischer Bezüge in alle erdenklichen Themenbereiche Johnson in einem, im Kolosseum in Rom geführten, Interview mit dem Nachrichtensender Channel Four dazu, die Lage der Welt vor der Klimakatastrophe spontan mit dem Niedergang des Römischen Reichs zu vergleichen, der wiederum auf unkontrollierte Einwanderung zurückzuführen gewesen sei (eine gut informiert schroffe Zurückweisung dieser These ist zum Beispiel hier zu finden). Ergo, laut Johnson, Jahrhunderte der Dunkelheit. In den Worten des großen Lukrez: Where to even fucking begin with this shit?

Nun hab ich ja gar nicht einmal was dagegen, wenn Politiker*innen wie Johnson ihren Narzissmus an einer grundsätzlich guten Sache ausleben, ich hab’ schließlich auch Kim Stanley Robinsons „Ministry for the Future“ gelesen, das die potenzielle Nützlichkeit menschlicher Eitelkeit in weltentscheidenden Momenten in sein optimistisches Weltuntergangsvermeidungsszenario mit einrechnet. Ich kann dem was abgewinnen. Sie sollen sich ruhig alle wichtig machen und als Retter*innen der Welt inszenieren.

Das Problem ist ja bloß, dass ein Typ wie Johnson nicht das geringste Problem damit hat, seine historischen Versprechungen über Bord zu werfen (ich will sie nicht einmal lesen, was schaffen wir gleich alles bis 2025 oder 30 oder 40 oder 50?)? Und ich brauch’ dafür nicht einmal Johnsons Inlands-Rückflug aus Glasgow nach London zu bemühen, ich meine, Phil Collins flog damals mit der Concorde von London nach Amerika, damit er am selben Tag bei beiden Live Aid-Gigs spielen konnte, und ihr findet ihn heutzutage auch alle gut, hab ich mir sagen lassen.

Es genügt mir, zu wissen, dass ich in einem von demselben Typen regierten Land lebe, welches die Hälfte seines verwertbaren Mülls exportiert (vor allem in die Türkei, mehr als 200.000 Tonnen davon), diese Exporte aber seiner Recycling-Rate zurechnet. In einem Land, das gerade eine neue Kohlemine gräbt, was Johnson in dieser Cop26-Woche nicht zu befürworten behauptet, aber meint, dass es leider außer seiner Macht stünde, was dagegen zu tun. Vermutlich kann er auch nichts dagegen ausrichten, dass Großbritannien zugunsten seines Ziels, den Abbau fossiler Brennstoffe auf Off-Shore-Plattformen zu verdoppeln, Firmen, die auf seinem Hoheitsgebiet bohren, die Petroleum Revenue Tax erlässt.

Das ist wahrscheinlich eines der lästigen Details, die Johnson immer entgehen und fällt sowieso mehr in die Agenden seines Schatzkanzlers Rishi Sunak, der gestern in seiner Rede in Glasgow den Delegierten die Londoner City als das künftig erste „Kohlenstoff-neutrale Finanzzentrum“ verkaufte und sich als Vorkämpfer zur finanziellen Unterstützung sogenannter Entwicklungsländer im Kampf gegen die globale Erhitzung präsentierte.

Derselbe Rishi Sunak, der radikale Kürzungen des britischen Entwicklungshilfebudgets zu verantworten hat. Die Teile davon, die Klimaschutzmaßnahmen zugute kamen, würden übrigens um mehr als ein Drittel beschnitten. Derselbe Rishi Sunak, der erst letzte Woche in seinem Budget die Steuern auf Inlandsflüge um die Hälfte gesenkt hat.

Erwähne erst gar nicht das Handelsabkommen, das Großbritannien gerade mit Australien geschlossen hat, in dem die Verpflichtung zu Umweltschutzmaßnahmen bewusst ausgespart wurde.

Oder, dass Johnson gleich nach seinem Auftritt in Glasgow seine ganze Energie darin investierte, den wegen korrupter Lobbying-Aktivitäten überführten Ex-Umweltminister und Hardcore-Klimawandel-Leugner Owen Paterson zu decken und ihn heute, während ich das hier schreibe, prompt wieder fallen lässt. Nicht einmal die eigenen Kumpanen dieser Leute können sich auf ihr Wort auch nur zwei Tage lang verlassen. Das Problem ist also nicht einmal die heiße Luft, die sie reden, sondern die schiere Menge Methan, das sie gleichzeitig in die Gegenrichtung ausstoßen.

Ja, furchtbar, ich weiß, aber wenn ich miese Metaphern brauch’, mach ich mir sie eben lieber selber.

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