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"Ammonite" Filmstills

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Schmusen unter rauen Bedingungen: Kate Winslet und Saoirse Ronan in „Ammonite“

Francis Lees fiktiver, filmischer Versuch einer Wiedergutmachung für die verkannte Bedeutung der englischen Fossilien-Forscherin Mary Anning ist kein feministischer Geniestreich, „Ammonite“ ist einfach ein Film.

Von Anna Katharina Laggner

In „Ammonite“ verkörpert Kate Winslet die Fossilien-Sammlerin Mary Anning, die Anfang des 19. Jahrhunderts mit ihren Funden, etwa dem Skelett eines Fischsauriers, das sie mit zwölf Jahren ausbuddelte, nicht unwesentlich zur paläontologischen Forschung beigetragen hat. Dass sie nie Mitglied der geologischen Gesellschaft in London wurde, lag nur daran, dass ihr Schwanz und Eier fehlten (man muss es so plump ausdrücken, um die Absurdität dessen zu veranschaulichen). Regisseur Francis Lee („Gods Own Country“) gibt dieser Mary Anning ihre Würde zurück, indem er für sie eine Liebesbeziehung mit der melancholischen Charlotte erfindet. Das ist keine historische Wiedergutmachung, es ist auch kein feministischer Geniestreich, „Ammonite“ ist einfach ein Film.

Es geht mir zusehends auf die Nerven, dass künstlerische Werke, etwa Filme, immer für etwas Größeres, am besten ein politisches oder gesellschaftliches Unbill, stehen müssen, um ihren Wert zu rechtfertigen. Ein Beispiel dafür war vor kurzem der Eröffnungsfilm der Viennale - „Das Ereignis“, der von einer illegalen Abtreibung in Frankreich anno 1963 handelte, und den viele deswegen für wichtig halten, weil heute etwa in Polen Frauen ebenfalls in die Illegalität getrieben werden, wenn sie eine Schwangerschaft beenden wollen. Ich finde, das Eine (der historische Spielfilm) hat mit dem Anderen (dem Polen heute) wenig zu tun, das Eine kann dem Anderen kaum helfen oder dienen, und sowieso gibt es praktisch keine Spielfilme, die die Komplexität der Realität abbilden können (oder überhaupt abzubilden versuchen, aber das ist wiederum eine andere Sache). Ähnlich geht es mir mit „Ammonite“.

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Wir lernen Mary Anning als Anhängsel kennen, als ein Namensschild, das an einer urzeitlichen Meeresechse hängt und von einem Museumsmann verächtlich entfernt und durch sein eigenes ersetzt wird. Zwei Szenen später hängt diese Mary Anning in den Klippen - es weht der Wind, es tobt die See – und gräbt mit bloßen Händen schon das nächste Fossil aus. Sie lebt gemeinsam mit ihrer kranken Mutter unter ärmlichen Bedingungen und fettet mit diesen Funden das knappe Haushaltsbudget auf. Dann kommt ein schmieriger Wissenschafter aus London, schwafelt etwas von Ehrfurcht und lässt seine trübsinnige Frau im Dorf, während er Europa erkundet.

Kate Winslet erzählt Stephen Colbert in der Late Show auf CBS im Dezember 2020, sie sei, statt wie alle anderen im Hotel zu wohnen, während der Dreharbeiten in eine Hütte am Strand gezogen, habe dort alleine eine seltsame Suppe gelöffelt, manchmal bei Kerzenschein, wenn wegen eines Sturmes der Strom ausgefallen sei. „I got a little method“ sagt sie, es sei ridiculous gewesen.

Aber vielleicht berührt sie mit diesem ridiculous, mit dem sie ihre Erinnerungen kommentiert, durchaus einen wahren Kern: Es ist ein Spiel, aber man muss es ernst nehmen. Und wie ernst Kate Winslet ihre Verkörperung der Mary Anning nimmt, das sieht man ihr im Film an: Ihre Gesichtszüge sind verbittert, die Hände rau, sie spricht nur das allernötigste. Nicht weniger ernst nimmt dieses Spiel Saoirse Ronan: Bleich und mit leerem Blick sitzt sie auf einem Stein am Strand.

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Die Annäherung ist naturgemäß unerträglich langsam und ein happy end ist dieser lesbischen Liebesgeschichte im viktorianischen England selbstverständlich auch nicht vergönnt. Aber hey, es ist ein Spiel, es ist Erfindung, und auch wenn die Tatsache, dass es sich um zwei Frauen und Homosexualität handelt, schändlicherweise erst ein junges Phänomen in der Repräsentation auf der Leinwand ist, dann bleibt „Ammonite“ dennoch ein Spielfilm, konkret: ein Kostümfilm. Einer der, nebenbei bemerkt, dem „Porträt einer jungen Frau in Flammen“ ziemlich ähnlich sieht. Raue See, Einsamkeit, anfängliche Abneigung...

Regisseur Francis Lee musste sich dafür rechtfertigen, dass er aus der vergessenen Fossiliensammlerin eine Lesbe gemacht hat. Eine Kollegin vom Standard findet, diese Art der Liebesgeschichte hat die reale Mary Anning nicht verdient. Ich finde Zweiteres zwar sehr schlüssig, aber halte beides für sekundär.

Mehr als um sexuelle Neigungen geht es hier um verbissene Obsessionen und um familiäre Zwänge (eine gesunde Frau kümmert sich um all ihre Mitmenschen), und wenn dieser Film für irgend etwas ein Manifest sein sollte, dann für den nackten Rücken von Kate Winslet. Dessen Message die Unperfektheit ist. Wie sagte sie? Ridiculous! Und ich füge hinzu: Man darf den Spielfilm nicht allzu ernst nehmen.

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