FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Noah Gundersen

Lauren Segal

Noah Gundersen und sein neues Album „A Pillar Of Salt“

Der US-Musiker Noah Gundersen ist ein Ausnahmetalent. Seine Songs sind von Hardcore, Grunge, Folk, Blues, Church Music, R&B und Pop inspiriert. Sie sind wunderschön, kompromisslos und manchmal gar wie offene Wunden. Der Songwriter aus Washington State nennt sein neues Album „A Pillar Of Salt“.

von Eva Umbauer

Noah Gundersen ist der älteste von fünf Geschwistern. Die Gundersen-Geschwister, so scheint es, haben die Musik mit der Muttermilch aufgesogen. Wer je ihren mehrstimmigen Gesang gehört hat, spürt vielleicht immer noch die Gänsehaut. Abby, eine der Schwestern von Noah, übte wie verrückt Violine, erzählt Noah Gundersen im FM4-Interview. Sie war es, die ihn dadurch ermutigt hat, den Traum vom Musikmachen zu verfolgen.

Abby Gundersen spielt in der Band des US-Musikers William Fitzsimmons, und William war es auch, der Noah Gundersen die erste größere Chance gegeben hat. Er nahm Noah als Support Act mit auf Tour. In dieser Rolle stahl der junge Mann aus Seattle dann dem Haupt-Act fast die Show - wie er am Bühnenrand stand und ohne Mikro sang, wie dieser Typ seine Seele offenlegte, irgendwo zwischen Punk, Folk, Grunge, Emo, Hardcore, Blues und Pop.

William Fitzsimmons, so im FM4-Interview zu seinem aktuellen Album, blieb der Mund offen stehen ob des großen Talents seines Support Acts. Und Noah, ebenfalls im FM4-Interview, lacht und sagt, dass das bei William Fitzsimmons nicht ginge, ohne Mikro am Bühnenrand zu stehen und zu singen, weil dieser ja sehr, sehr leise singt, während er, Noah, einfach eine kraftvollere Stimme hat.

Leiser als bisher klingt Noah Gundersen aber bisweilen auf seinem neuen Album, was aber nicht bedeutet, dass seine Songs nun weniger intensiv sind.

Noah Gundersen - Pillow Of Salt

Cooking Vinyl

Diese „Zurückhaltung“, so meint Noah, kommt vielleicht daher, dass er zuhause aufnahm und seine Freundin nicht stören wollte. Er und seine Verlobte leben in einer Holzhütte im Staat Washington im Pacific Northwest der USA. Noah hat dort zwar ein eigenes Musikzimmer, aber das hat keine Tür. Die Freundin schlief also, als Noah meist nachts seine Stimme aufnahm, zu Songs wie etwa „Sleepless In Seattle“.

„I couldn’t find a better name for this“, singt Noah Gundersen in „Sleepless In Seattle“, einem Americana-Track, dessen Titel eine augenzwinkernde Anspielung auf den 90er-Jahre Film mit Tom Hanks und Meg Ryan ist. Noahs „Sleepless In Seattle“ ist eine Ode an die Stadt, die Grunge hervorgebracht hat. Geboren in der Universitätsstadt Olympia, Washington, aufgewachsen nahe der Kleinstadt Centralia, Washington ist Noah Gundersen im Alter von zwanzig Jahren von dort weggezogen - eben nach Seattle. Heute lebt er in besagter Holzhütte am Land. Er vermisst zwar Seattle und die Musik-Locations, aber es wurde zu teuer dort für Noah, und als die Möglichkeiten, Konzerte zu spielen durch Corona wegfielen, hat er die Stadt verlassen.

„I moved to Seattle in 2009, a small-town kid, just 20 years old. I lived out of my sleeping bag in garages, under tables, on couches, until finally moving into a place in the Queen Anne neighborhood with some friends. There was a feeling that anything was possible. Over time, like all things, the city changed. The few bands that ‚made it‘ moved away, while the less fortunate gracefully bowed out when the insurmountable odds finally stacked too high. Tech companies moved in and priced out the artists. The culture of the place I fell in love with slowly disappeared. When Covid hit in early 2020, all the bars closed and I finally realized my time there was over. So I packed up and left. But I can’t help looking back, the voice in my head taunting me with Springsteen’s ‚Glory Days‘. I loved Seattle. I miss it. Or I guess I miss the memory of it.“

Noah Gundersen wuchs am Land auf, seine Familie war Selbstversorger und die Kinder wurden zuhause unterrichtet. Es handelt sich um eine ärmere Gegend, erzählt Noah Gundersen, wo die staatlichen Schulen nicht wirklich gut sind, deshalb die Entscheidung seiner Eltern, die Kinder selbst zu unterrichten. Es waren acht Gundersen-Kinder - fünf leibliche und drei adoptierte - und die Familie eine sehr gläubige Familie. Jedes Kind lernte ein Instrument und sang. Außerhalb der Familie hatte Noah Gundersen etwa beim Sport Kontakt zu Gleichaltrigen. Ob der Heimunterricht durch die Eltern ein Vor- oder ein Nachteil ist, weiß Noah nicht so genau, aber er denkt, dass er so manches nicht gehört hat, was er in einem herkömmlichen Schulunterricht erfahren hätte.

Mit zwanzig machte sich Noah Gundersen also auf nach Seattle, um Musiker zu werden. Er schlief bei Menschen, die er kennengelernt hatte, auf fremden Sofas oder unter Tischen oder auch - wenn das Wetter gut war - draußen. 2014 erschien sein erstes Album, „Ledges“, ein Jahr später sein zweites, 2017 dann „White Noise“ und vor zwei Jahren „Lover“. Das neue, „A Pillar Of Salt“, ist also sein bereits fünftes.

Bei einem der neuen Songs von Noah Gundersen singt Phoebe Bridgers mit. Die Kalifornierin, eine der bedeutendsten jungen US-Musikerinnen, kennt Noah Gundersen schon länger und man arbeitete auch schon in der Vergangenheit einmal zusammen. Der neue Song, den beide miteinander machten, heißt „Atlantis“ - ein sehr schöner, aber auch dunkler Track.

Bei „Laurel And Hardy“ spielt Noah Gundersen ein sanftes Piano und seine Stimme ist anmutig und fragil. „Body“ ist beschwingter, mit einem pulsierenden Beat, der das Tempo vorgibt. Dennoch ist „Body“ ein sanfter Song, mit dem man herrlich wegdriften kann. In „The Coast“ heißt es „too anxious to live, to stubborn to die“ - ein Song mit der genau richtigen Dosis Seelenschmerzen, die viele im Alltag verspüren.

In „Exit Signs“ singt Noah Gundersen „don’t believe in heaven, I should not believe in hell“. Wo Noah Gundersen ist, liegen Himmel und Hölle meist recht nah beieinander. Aber der Himmel scheint am neuen Album zu überwiegen, trotz der finanziellen Schwierigkeiten, die bei Noah Gundersen mit der Corona-Krise kamen. Die neuen Songs offenbaren insgesamt weniger Verheerendes als die vom letzten Album, „Lover“. Ein Song wie „Exit Signs“ ist überraschend poppig.

Bei „Back To Me“ ziehen aber wieder schwarze Wolken am Noah Gundersen’schen Himmel auf, das eskapistische „Blankets“ ist ein Electronica-Track, das gelassene „Magic Trick“ wartet mit der Songzeile „like slowing down the motions of a magic trick“ auf, „Always There“ ist experimentell und hat etwas Geheimnisvolles, „Always There“ ist elegant, voller Charme, auch wenn Noah singt „love grows like a cancer“, und „Bright Lost Things“ steht für den Zugang „weniger ist mehr“. Überhaupt braucht Noah Gundersen nicht viel - kein 50-köpfiges Orchester oder so -, um so viel zu erschaffen. Noah Gundersen ist ein toller Performer und Komponist, ein kluger und wortgewandter Texter, ein geborener Sänger. Wäre die Welt gerecht, Noah Gundersen wäre ein großer Star.

P.S.: Der Albumtitel, „A Pillar Of Salt“ stammt aus der Bibel: Im Tanach, der hebräischen Bibel, ist Lot die Hauptfigur der Erzählung vom Gottesgericht über die Stadt Sodom. Als Lots Ehefrau, deren Name in der Bibel nicht erwähnt wird, während der Flucht entgegen dem Verbot der Engel zurückblickt, erstarrt sie zu einer Salzsäule.

mehr Musik:

Aktuell: