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Der "Action Hub" auf der COP26 in Glasgow

APA/AFP/Paul ELLIS

interview

Wie die Verhandlungen bei der COP26 ablaufen und welche Rolle Österreich spielt

Renate Christ hat 1997 das Kyoto-Protokoll mitverhandelt. Mit diesem Vertrag legte die internationale Staatengemeinschaft zum ersten Mal rechtsverbindliche Ziele zur Senkung des Ausstoßes von klimaschädlichen Treibhausgasen fest. Bis heute, so Christ, hat Österreich mit Ausnahme des Lockdown-Jahrs, seinen Treibhausgasausstoß allerdings nicht reduziert.

Renate Christ ist Biologin und seit mehr als 30 Jahren im Bereich Klimaschutz tätig. Von 2004 bis 2015 hat sie das Sekretariat des Intergovernmental Panel on Climate Change IPCC (Weltklimarat) geleitet. Sie ist eine der Trägerinnen des Friedensnobelpreises 2007 und hat das Kyoto-Protokoll mitverhandelt. Sie nimmt derzeit an der COP26, der Weltklimakonferenz in Glasgow, teil.

Austrian secretary of Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC), Renate Christ, speaks during the opening session of a 4 day-meeting, 29 January 2007 in Paris

NIAMH BURKE / UNESCO / AFP

Renate Christ 2007 als IPCC-Secretary in Paris.

Gersin Livia Paya hat Renate Christ in Schottland angerufen und über die Schwerfälligkeiten von Verhandlungen und über die Rolle von Österreich bei der Weltklimakonferenz gesprochen.

Gersin Livia Paya: Wie geht es hinter den Kulissen der COP26 zu? Wie kann man sich Ihren Alltag vor Ort vorstellen?

Renate Christ: Ich bin Vertreterin einer Nichtregierungsorganisation. Das heißt, ich bin nicht direkt beteiligt bei Verhandlungen. Aber nachdem ich früher ja Verhandlerin war, kann ich ungefähr beurteilen, was los ist. In der ersten Woche bereiten Beamte, also von jedem Land Delegierte, verschiedene Entscheidungen vor, die so weit es möglich ist, ausgearbeitet werden. Nur sind dann auch politische Fragen zu lösen. Und die werden dann von den Ministern, die heute und morgen anreisen werden, gelöst. Das heißt, es ist heute sozusagen der Tag, wo die Beamten die Arbeit an die Minister übergeben.

Sie haben das Kyoto-Protokoll mitverhandelt. Das Pariser Klimaabkommen von 2015 war das Nachfolgedokument. Wieso sind aus Ihrer Sicht Verhandlungen so schwerfällig?

Wenn wir wirklich zu einer Klimaneutralität kommen wollen, dann betrifft das einfach alle Bereiche unserer Aktivitäten. Es betrifft die Energie, es betrifft die Mobilität, das Wohnen, das Heizen, das Essen, es betrifft den Konsum. Das heißt, es erfordert wirklich von allen Seiten und allen Bereichen Maßnahmen. Und damit ist es eben so schwierig.

Wenn wir zum Beispiel an das Montreal-Protokoll denken, als es um die Spraydosen und das Ozonloch gegangen ist, da waren einige Produktionsfirmen, die diese Kohlenwasserstoffe, diese Spraydosen produziert haben. Die Patente sind ausgelaufen, die haben gesagt „Okay, gut, das ist umweltschädlich, schädlich für die Ozonschicht“. Da war es relativ einfach zu verhandeln, weil der Kreis, der etwas tun musste, sehr begrenzt war.

Aber beim Klima, wenn Sie nur daran denken, an wie viele Dinge man denken muss, wenn man sich selbst klimafreundlich verhalten will! Alle Länder haben unterschiedliche Interessen, etwa die Kohle produzierenden und die ölproduzierenden. Auf der anderen Seite die kleinen Inselstaaten, die überflutet werden, die Himalaya-Region, wo die Gletscher schmelzen und zu wenig Wasser für die Landwirtschaft übrig bleibt. Jedes Land hat sehr, sehr spezifische Voraussetzungen, und darum ist es eben etwas komplizierter, weil man das alles unter einen Hut bringen muss.

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Das Gespräch mit Renate Christ gibt es auch als Podcast zum Hören:

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Pop, Politik, Gesellschaft: Wir können über alles reden! Und das in der Gesamtlänge, also (fast) ungeschnitten. Hier kann es schon mal zur Sache gehen: schwitzende Reporter*innen, um keine Ausrede verlegene Interviewpartner*innen, aber auch entspannte, oder lustige Situationen, in denen Interessantes und Überraschendes besprochen wird.

Eines der Länder ist ja auch Österreich. Hat Österreich eigentlich eine bedeutende Rolle bei dieser Klimakonferenz, als so ein kleines Land?

Österreich verhandelt immer im Rahmen der EU. Das heißt, die EU koordiniert ihre Positionen und es spricht immer nur ein Land oder die Kommission des Landes. Das heißt, alles wird vorher in der sogenannten EU Koordination bestimmt und vereinbart. Natürlich, bei gewissen Dingen kann Österreich dann eine starke Position haben. Aber nachdem ich bei den internen Verhandlungen nicht dabei bin, kann ich das nicht beurteilen.

Ich muss aber eines dazu sagen, Österreich muss wieder seine Glaubwürdigkeit aufbauen. Österreich ist eines der wenigen entwickelten Industriestaaten, die seit 1990, das ist das Basisjahr der Konvention - mit Ausnahme vom letzten Jahr, wo wir durch Covid wenig verbraucht haben - bis zum Jahr 2019 praktisch keine Treibhausgasemissionen nachhaltig reduziert hat. Das heißt, Österreich muss wieder Glaubwürdigkeit aufbauen, indem es wirklich starke und effektive Maßnahmen setzt.

Sie haben gerade die Realität angesprochen. Als Biologin und Friedensnobelpreis-Gewinnerin mit ihrer Arbeit im Weltklimarat, stehen die Realität und das Ziel; das wir erreichen sollten, noch sehr weit auseinander?

Es hat sich in den letzten Jahren schon einiges getan, die Zeichen und Erkenntnisse der Wissenschaft werden immer ernster genommen. Wie gesagt, es sind die unterschiedlichen Interessen, die den Prozess etwas bremsen. Aber es wäre vor einigen Jahren noch undenkbar gewesen, dass China und Indien klimaneutrale Staatsziele verlautbaren. Also die Nachricht kommt schön langsam an, die Ziele werden anerkannt, es ist nach wie vor nur viel zu langsam. Es ist einfach zu langsam. Und wenn man jetzt sagt „Naja, in zwei, drei Jahren macht man das.“ Nein, es muss nächste Woche passieren.

Greta Thunberg hat schon ihr Urteil vor der zweiten Woche dieser Konferenz gefällt. Nämlich der Klimagipfel sei gescheitert. Kann man das so sagen oder ist es noch zu früh?

Auf dem Klimagipfel werden wichtige Netzwerke geknüpft und ganz wichtige Entscheidungen getroffen. Und natürlich wünsche ich mir ein ganz klares Bekenntnis zum 1,5-Grad-Ziel, das Reduzieren von 45 Prozent der Emissionen bis 2030, zur Neutralität bis Mitte des Jahrhunderts, und dass der internationale Emissionshandel nicht nur ein Hin- und Herschieben der Emissionen ist, sondern wirklich zu einer starken Reduktion führt, das wünsche ich mir persönlich. Und natürlich, dass die finanziellen Fragen, gelöst werden.

Aber worauf es ankommt ist, dass die Länder, wenn sie nach Hause gehen, wirklich die Maßnahmen ergreifen werden können. Und ich verstehe natürlich die Frustration von jungen Menschen und von Greta Thunberg darüber. dass nichts weitergeht. Und ich glaube, es ist eben sehr wichtig, dass junge Menschen auf die Straße gehen, hier das Wort ergreifen und die Regierungen sozusagen vor sich hertreiben. „Wir wollen das, wir wollen eine gute Klimapolitik und ihr macht noch immer nicht genug.“ Das ist sehr, sehr wichtig. Nur der Prozess ist nicht perfekt und er ist zu langsam. Aber wir haben im Moment nichts Besseres. Ich habe vorher die unterschiedlichen Bedingungen der Länder angesprochen. Es ist eben schon auch wichtig, dass man einander in den Verhandlungen und in der Diskussion Verständnis zeigt. Aber mit den Deklarationen, die hier verabschiedet werden, wird kein Gramm Emissionen reduziert. Die Arbeit beginnt nächste Woche zu Hause. In jedem Land beginnt es nächste Woche zu Hause. Ja, man kann stärkere oder schwächere Deklarationen haben... Erinnern wir uns, Österreich hat viel in Kyoto versprochen und hat überhaupt nichts eingehalten. Statt zu einer Reduktion, ist es zu einer Zunahme der Emissionen gekommen. Das heißt es sind Erklärungen hier, aber es fehlt dann der Druck, dass die Maßnahmen auch wirklich durchgeführt werden.

Dann möchte ich gerne nachfragen. Welche Art von Druck braucht denn zum Beispiel in Österreich die Regierung, damit das umgesetzt wird, was versprochen wurde?

Es sind die Fridays For Future-Demonstrationen, es ist auch eine starke Beteiligung von Städten und Regionen, die sagen „Ja, wir wollen innovative Energiekonzepte, wir wollen innovative Verkehrskonzepte“. Die Städte und die Regionen spielen in Österreich wirklich eine große Rolle. Auch die Industrie braucht langfristige Ziele, damit Sie planen können, damit Sie Ihr Budget richtig einsetzen können. Also Klarheit! Und nicht Zickzack, einmal ja, einmal nein. Vor allem junge Leute sagen: „Wir wollen eine gute Klimapolitik. Liebe Frau Ministerin, lieber Herr Bundeskanzler, lieber Herr Bundespräsident, Ihr habt unsere Unterstützung für eine starke Klimapolitik und für Maßnahmen!“ Und ich glaube das ist sehr wichtig.

Viele Emissionen fallen ja auch bei der COP 26 an. Haben Sie heute das Gefühl, dass es diesen Ausstoß wert war?

Es sind natürlich viele Emissionen, hauptsächlich Flugemissionen. Aber was die Emissionen hier vor Ort betrifft, muss ich sagen, hat das Gastgeberland sich sehr bemüht, das sehr stark zu reduzieren. Es sind überall Elektrobusse, die Bahn funktioniert wunderbar, auch für Zubringer und so weiter. Ich glaube es müssen nicht 40.000 Leute sein, sondern es können auch 20.000 Leute sein, die hier dabei sind. Aber ich glaube, warum Leute trotz des Risikos gekommen sind, ist, dass man nach zwei Jahren wirklich das Bedürfnis hatte, wir müssen wieder miteinander reden und wir müssen die offenen Fragen am Tisch klären. Und ich glaube, genau dieses Bedürfnis gemeinsam etwas zu lösen, das ist es, was viele, viele Leute hierher gebracht hat, trotz eines gewissen Risikos.

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