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Porträt Christian Hödl

Zita Bereuter/FM4

Wortlaut - Videolesung

Christian Hödl: „Kilian fucking Berger“

Wenn der Jugendcrush plötzlich auf der Tankstelle auftaucht - Christian Hödl gewinnt mit „Kilian fucking Berger“ Platz 3 bei Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb. Mit Video der Lesung in Salzburg.

Von Zita Bereuter

Der Mann an der drei hat die Hand lässig in der Hosentasche, mit der anderen hält er sein Smartphone. Die Beine im breiten Stand. Ich mustere sein kantiges Profil, während es vom Display erleuchtet wird. Der Zapfhahn steckt unbeachtet im silbernen BMW. Er tankt voll, das spüre ich. Diese Beiläufigkeit, mit der er auf das Klicken wartet. Andere, meistens die mit den Scheißautos, Hyundai Irgendwas, lassen die ganze Zeit die Hand am Hebel. Sie beobachten die rotierenden Zahlen auf der Anzeige und geben zum Schluss nur noch kleine Spritzer ab, damit sie genau bei 20,00 Euro rauskommen. Mit Pech bei ein oder zwei Cent mehr.

Christian Hödl beobachtete das Tankstellenleben lange selbst. Aufgewachsen in der Nähe von Bad Tölz in Bayern arbeitete er im Alter von 18 oder 19 Jahren in einer Tankstelle. Meist war der dort allein. „Man ist auf sich selbst zurückgeworfen, hat viel Zeit nachzudenken, schiebt so Aufgaben vor sich her, wie das Klo putzen oder die Zigaretten wieder auffüllen.“ Er fand es spannend, die verschiedensten Leute zu beobachten, die nur schnell „so vorbeiwischen an einem“. Manche kamen auch regelmäßig. Eine seiner Stammkundinnen, wollte etwa immer eine bestimmte Sektmarke - im Sechserpack. „Diesem Sekt wollte ich auf jeden Fall auch noch mal ein Denkmal setzen.“

Sekt ist durchaus angesagt, denn mit seiner Kurzgeschichte „Kilian Fucking Berger“ hat Christian Hödl den 3. Platz gewonnen.

Christian Hödl liest „Kilian Fucking Berger“

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(Video von Gersin Livia Paya)

Dabei kam Christian Hödl eher spät zum Schreiben und zur Literatur. „Also ich bin so ein Kind gewesen, das hat gar nicht gelesen.“ Er saß lieber vor dem Fernseher. Erst kurz vor der Matura/dem Abi kippte er ins Lesen - mit Kurzgeschichten. Film und Schreiben sind nach wie vor seine Leidenschaft.

Filmisches Schreiben

Anfangs studiere Chris Hödl Dokumentarfilm in München. Um dann zu merken, dass er doch lieber schreiben möchte. Also habe er sich „wie so ein kleiner Parasit in die anderen Seminare reingeschlichen.“

Christian Hödl studierte in München an der Hochschule für Fernsehen und Film sowie Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Er war unter anderem Finalist beim Open Mike und der BR-Puls-Lesereihe. 2021 erhält er das Münchner Literaturstipendium und nimmt an der Autor*innenwerkstatt Prosa des LCB Berlin teil.

Vom Drehbuchschreiben ging es dann weiter ins Deutsche Literaturinstitut in Leipzig, wo er seit 2018 studiert.
Nach wie vor macht er auch Film neben Literatur - je nach Thema entscheidet er. Visuelle Stoffe verfilmt er lieber und literarisch verarbeitet er „andere Sachen, wo es mir dann mehr darum geht, in so eine Innerlichkeit von einem Menschen einzutauchen“. Darin sieht er den großen Vorteil des Schreibens: „Die Literatur kann einfach noch mal viel krasser das Innenleben eines Menschen darstellen, während man beim Film zwangsläufig eher auf die Leute drauf blickt."
Das Ergebnis ist ein filmisches Schreiben, mit einer Vorliebe für visuelle Kleinigkeiten. "Ich würde auf jeden Fall beides machen wollen in einem idealen Leben."
Beim Schreiben ist für ihn die Figur am Wichtigsten. Er schreibt Characterdriven, erklärt er. "Dass ich so spüre, was die Figur in dem Moment fühlt, wie die sich durch den Ort bewegt.“ In seinem Fall kommt die Figur immer zuerst und dann baut er die Sprache um die Figur.

Der Soundtrack zum Text:

  • Perfume Genius: Slip away
  • Lana Del Ray: Put me in a movie
  • Phoebe Bridgers: I know the end

„Entschuldigung“, sage ich und sehe peinlich berührt auf. Er ist jetzt nur mehr einen Meter von mir entfernt. Das ist Kilian fucking Berger. Das darf er bitte nicht sein. Seine Wangenknochen treten mehr hervor als früher, ich glaube, er isst er zu wenig und sofort bin ich um ihn besorgt, weil mir magere Menschen nun mal schreckliche Sorgen bereiten. Ich sollte ihm Schinkennudeln mit Bratensoße kochen, denke ich. Ich sollte einen gemischten Beilagensalat dazu servieren und als Nachspeise die Pfirsich-Paradies-Creme von Dr. Oetker, damit er wieder zu Kräften kommt. Ich höre mich sagen: „Du musst mehr essen, Kilian“, und: „Keine Widerrede!“
Er zieht sein Lederportmonee aus der Hosentasche und ich sehe, dass er keinen Ring an der rechten Hand trägt. Ich suche in seinen Augen nach einem Zeichen des Erkennens und denke mir, dass wir doch zumindest ein paar Jahre gemeinsam in Religion saßen und dass er mal nett zu mir war, einen Typen umgeschubst hat, der mich Muschi von Schwanzhausen genannt hat, aber er sieht durch mich hindurch. Ein wenig bin ich erleichtert darüber.

Christian Hödl mit Zita Bereuter hinter der Tankstellen Kassa

Gersin Livia Paya/FM4

Herzlichen Dank an Franco!

Bei Franco in Salzburg

Chris Hödl lebt in Leipzig. Nachdem er zu einer Preisverleihung nach München muss (für seinen gerade im entstehenden Debütroman hat er das Münchner Literaturstipendium erhalten), treffen wir uns in Salzburg. Den zum Text passenden Laden empfiehlt uns der Vorjahresgewinner und heurige Juror Matthias Gruber. Franco in Salzburg: Eine Mischung zwischen Greisler, Feinkost, Trafik und Café mit dem überaus freundlichen Betreiber Franco.
Für Chris Hödl ist der Laden „auf jeden Fall ein Ort, an dem ich mir auch vorstellen könnte, gut zu schreiben.“ Er sieht darin einen Ort mit einer Geschichte. „Da ist so über Jahre was gewachsen, was auch erzählenswert ist. Das finde ich was ziemlich Tolles und das spür ich ja auf jeden Fall."
Die ideale Schreibumgebung ist für Chris Hödl allerdings schwer zu finden. Denn die ist meist dort, wo er gerade nicht ist. Der Einfachheit halber schreibt er also am Liebsten im Bett.

"Grindr-Nachrichten, die mich in der letzten Stunde erreicht haben, sortiert nach Länge:
1. „Hi“ (3km entfernt)
2. „Hey“ (2,8km entfernt)
3. „Fickenn?“ (4,5km entfernt)
4. „Na, noch auf?“ (2,8 km entfernt)
5. „Hallo, wie geht’s dir so?“ (1 km entfernt)
6. „Schönen Nasenring hast du.“ (7,8 km entfernt)
7. „Halloooo? Findest mein Teil nicht doch ein bisschen geil?“ (4,5 km entfernt)“

Porträt Christian Hödl

Zita Bereuter/FM4

Mutter-Sohn-Beziehung

Da ist der Lippenstift, den ich immer mit in die Klinik genommen habe, ich spüre ihn ganz deutlich in meiner rechten Hosentasche neben dem Schlüsselbund. Sie hatte farblose Lippen und keine Augenbrauen und keine Wimpern und nur mehr ein bisschen grauen Flaum neben dem rechten Ohr, aber nicht auf der linken Seite. Das helfe auch nichts mehr, murmelte sie. Pssst, machte ich. Schau doch, wunderschön, Mama!

wortlautlogo 2021

Radio FM4

„Aussicht“ war 2021 das Thema von Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb.
Rund 700 Kurzgeschichten wurden eingereicht.
Hier ist die Longlist.
Hier die Shortlist.

In „Kilian fucking Berger“ ist weit mehr als die plötzliche Begegnung mit dem Jugendcrush. Äußerst feinschichtig wird eine Mutter-Sohn-Beziehung erzählt. Von Anfang an habe er die als Untergrund für die Geschichte angelegt. „Mir war es wichtig, dass es da eben so einen Schmerz gibt, den man spürt, der aber nicht auserzählt wird, mit dem die Figur sich eigentlich nicht auseinandersetzen möchte.“ Beim Lesen spürt man umso mehr den Schmerz der nicht beschriebenen Welt. Die vermeintliche Linderung dieser Schmerzen kommt in einem BMW. „So ein Hang zum Wahnhaften nenne ich das jetzt mal, dass ich die Erlösung in diesem komischen Typen suche, der da zum Tanken vorbeikam. Und der wird mich retten, der wird meinen Schmerz wegmachen. Aber wahrscheinlich auch nicht...“

Wortlautjury 2021

Die Jury

Die Jury war von „Kilian fucking Berger“ durchwegs begeistert.
Sie lobten unter anderem die „junge, freche, rotzige Stimme“, die einen „experimentierfreudigen“ Text „in der Tradition der harten amerikanischen realistischen Short Stories, der aber irgendwo in Niederbayern spielt“, „an Bukowski erinnert“, „leicht obszön und ordinär,“ ist und „auch voller trauriger Poesie“.

Der Standard

WERBUNG

Ein Auszug aus dem Gewinnertext wird im STANDARD veröffentlicht.

Chris Hödl gewinnt

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