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Sarah Rinderer

Zita Bereuter/FM4

Wortlaut - Videolesung

„Ein Zimmer“ von Sarah Rinderer macht den 2. Platz bei Wortlaut

Eine Bewohnerin und ein Bewohner eines Zimmers treten mit zeitlichem Abstand miteinander in einen Dialog. „Ein Zimmer“ von Sarah Rinderer wird mit Platz 2 bei Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb, ausgezeichnet. Mit einem Video der Lesung in Sarahs Studio.

Von Zita Bereuter

Ein Kastanienbaum. Metallene Stühle auf dem Rasen, jeder in eine andere Richtung gedreht. Ein Gebäude aus gerade geführten Linien.
Walmdach. Darunter vorspringende Seitenflügel. Balkone mit dunklen Sonnenschirmen.
Früher: ein Kurbad mit eigener Quelle. Schwefelwasser. Trüb, mit einem leichten Stich ins Gelbliche. Ein Geschmack auf den Zungen der damaligen Feriengäste: fremd. Rostfarben, leicht salzig, mit einem Hauch von feuchtem Moos.
Jetzt ist sie hier Gast.
Eine asphaltierte Zufahrt führt durch den Park bis vor die ebenerdige Schiebetür, der Lift bis in den zweiten Stock, den Gang entlang, bis ganz ans Ende des Seitenflügels.
Eine breite Tür. Ein Zimmer.

So beginnt die Kurzgeschichte „Ein Zimmer“ von Sarah Rinderer. Räume bestimmen ihre Arbeit. Räume im Sinne ihrer unmittelbaren Umgebung, aber auch Räume in Texten. Weißräume, um genauer zu sein.

Werkraum

Bleiben wir erst bei der Umgebung: Wir treffen uns in ihrem Studio im Creative Cluster in Wien. In dieser ehemaligen Schule im 5. Bezirk arbeiten rund 140 Kunst- und Kulturschaffende. Seit April ist Sarah Rinderer im ehemaligen Werkraum tätig. Ein guter Raum für sie.
„Am meisten gefällt mir eigentlich diese alte Schultafel, die ich jetzt für meine Ideenfindung und Brainstormings verwenden kann.“
Auf der zeigt sich deutlich, wie Sarah Rinderer arbeitet: klar, kleinteilig und strukturiert.
„Ich arbeite ganz viel mit Brainstormings und Notizen und ich würde sogar sagen, dass dieser Prozess des Sammelns, des Anordnens, des Umstrukturierens, des Arrangierens, man könnte es auch des Bauens nennen, dass das einen ganz großen Stellenwert in meinem Arbeitsprozess hat. Ich würde sogar sagen, das nimmt mehr Raum ein als das Schreiben selber.“

Sarah Rinderer

Zita Bereuter/FM4

Ein Zimmer

Die ausgzeichnete Kurzgeschichte hat einen längeren Entstehungsprozess.
„Begonnen habe ich damit ungefähr vor einem Jahr, weil ich damals familiär bedingt öfter in einem stationären Hospiz auf Besuch war und bin dann auf die Geschichte dieses Gebäudes gestoßen und fand es sehr spannend, dass dieses Zimmer in diesem Gebäude eigentlich schon mehrere Nutzungen durchlaufen hat.“ Kurbad, Lazarett, Krankenhaus, Unterkunft für Geflüchtete und stationäres Hospiz.

wortlautlogo 2021

Radio FM4

„Aussicht“ war 2021 das Thema von Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb.
Rund 700 Kurzgeschichten wurden eingereicht.
Hier ist die Longlist.
Hier die Shortlist.

„Bei meinen Besuchen dort war für mich die Stille immer sehr präsent, und ein ganz intensives Beobachten. Und ja, ich fand das dann irgendwie spannend, wie sich an diesem Ort Ankommen und Gehen überlagern.“ Dem wollte sie schreibend weiter nachspüren. Erst schrieb sie über die Frau im Hospiz. Über die Situation, wie Sarah Rinderer das Gebäude damals kennengelernt hatte. Davon ausgehend führte sie Interviews mit Leuten von der Caritas, mit einer Atemtherapeutin, mit einem geflüchteten jungen Mann. „Und daraus hat sich dann dieser zweite Erzählstrang ergeben.“
Ein Zimmer: Eine Bewohnerin und ein Bewohner treten über einen zeitlichen Abstand hinweg miteinander in Dialog, ohne direkt miteinander zu sprechen.

Er trainiert.
Nach links. Vorwärts. Schnapptritt. Knie hoch,
Zehen anziehen. Rückwärtsschritt. Abwehr. Schulter
leicht nach vorne. Aufwärtskick. Rechts einen
halben Schritt vor – Richtungswechsel – links
zurück. Blocken. Rundkick, zu weit links. Hand-
an Tischkante.

Sie liegt im Bett.
Auf. Ab. Hin. Her.
Sieht der Wackelblume auf der Fensterbank zu.
Den Blütenblättern aus glänzendem Plastik.
Flip-Flap.
Wenn Sonnenlicht darauffällt.

Sarah Rinderer liest „Ein Zimmer“

(Video von Gersin Livia Paya)

Weiße Räume

Sarah Rinderer hat bereits als Schülerin geschrieben, während der Hauptschule schon Schreibworkshops besucht und in der HTL für Grafik und Kommunikationsdesign in Innsbruck die „Liebe für Typografie und eben das Spiel mit Weißraum auf der Seite gefunden“. So sei erstmals das Räumliche hinzugekommen.

*1994 in Bregenz. Studierte Bildende Kunst – Experimentelle Gestaltung sowie Angewandte Kunst- und Kulturwissenschaften an der Kunstuniversität Linz. Beschäftigt sich literarisch-künstlerisch mit Sprache, ihren Leerstellen, Weiß- und Zwischenräumen. Veröffentlichte in Literaturzeitschriften und Anthologien und erhielt für ihre Texte u.a. das STARTstipendium des BKA, den Vorarlberger Literaturpreis und das Kunstförderstipendium für Literatur und Kulturpublizistik der Stadt Linz. Lebt und arbeitet derzeit zwischen Wien, Linz und Hard. sarahrinderer.at

Anschließend hat sie Experimentelle Gestaltung an der Kunstuniversität Linz studiert, wo sie als Universitätsassistentin in der Abteilung für Kunstgeschichte und Kunsttheorie Schreibwerkstätten vom kreativen bis hin zum wissenschaftlichen Schreiben gibt.

Im Mittelpunkt stehen in ihrer künstlerischen Arbeit erst das Konzept und die Recherche - das passende Medium wird am Ende gewählt. Ob sie Gedichte, Hörspiele, Theaterstücke oder Kurzgeschichten schreibt - der Strategie vom Studium ist sie treu geblieben.
„Kunst- und Literaturprojekte - ob jetzt Gedicht, Prosa oder ob das dann eine Installation wird oder eine Intervention - die starten eigentlich alle ganz ähnlich. Und erst mit der Zeit kristallisiert sich dann heraus, was es dann am Ende genau werden wird.“

Aus dem Inhalt für „Ein Zimmer“ wollte sie erst ein Hörspiel schreiben. „Mir hat es dann aber sehr gefallen, auf der Buchseite mit diesen Stimmen zu spielen und die nebeneinander herlaufen zu lassen. Wie unterschiedliche Instrumentenstimmen bei einer Partitur.“
Weil es sich um einen Dialog handelt, bei dem nicht direkt miteinander gesprochen wird, verzichtete sie auf die stimmliche Umsetzung und „fand es dann spannend, welche Leerstellen oder weiße Räume sich da noch ergeben.“

Das Experimentelle erkennt man in ihrer Kurzgeschichte „Ein Zimmer“ umgehend: der Text ist in zwei Spalten geteilt. So zeigt sich das dann im Wortlautbuch:

Literatur in Buch gesetzt

Luftschacht Verlag

Lebensraum

Von Hard am Bodensee ausgehend hat Sarah Rinderer ihren Lebensraum immer weiter über Innsbruck, Linz und Wien Richtung Osten erweitert. Ein halbes Jahr hat sie außerdem in Island studiert, wo sie besonders beeindruckte, wie leicht Spartengrenzen überwunden werden. „Das ist ganz selbstverständlich, dass die Leute dort Gedichte schreiben und Kunst machen und alles zugleich.“

Sarah Rinderer

Zita Bereuter/FM4

Die verschiedenen Orte haben sie auch zu Arbeiten inspiriert. „Also es gibt zum Beispiel einen Prosatext von mir, wo es auch ganz stark um einen Ort geht, der aber nur auf Google Street View besucht wird.“

Sie würde gerne aus ihrer
Zimmerhaut fahren. Aber sie
weiß nicht wie.

Sarah Rinderer sucht oft die Geschichte von Räumen und Zimmern. Fragt sich, was da zuvor schon passiert ist. So schließt sich für sie auch der Bogen zu ihrem Studio, das ja früher ein Werkraum einer Schule war und in dem man teilweise noch Haken an der Wand oder Schrauben sieht. „Spuren interessieren mich ja auch immer wieder in meinen Arbeiten. Leerstellen und was sich eben daraus noch ablesen lässt oder was man da noch nachspüren kann.“

„Hargolante“

Mit Bleistift zieht er einen Kreis um den Rand des umgedrehten Suppentellers, schneidet das Ziffernblatt aus. Er stellt sich die Finger seiner Tochter vor, in den bunten Griffen einer Kinderschere mit abgerundeter Spitze. Über den Tisch gebeugt schreibt er die Stunden aufs ausgeschnittene Ziffernblatt, erst mit Bleistift. Dann taucht er den Haarpinsel ins Wasser, in die schwarze Farbe. Er stellt sich vor, seine Hand, die die schmalen Tochterfinger umschließt, wie sie gemeinsam eine gerade Linie schneiden.
Zwölf, drei, sechs, ach –
Oh Entschuldigung. Die ehrenamtliche Deutschlehrerin lacht: Hargolante. Sein Kopfende weit weg. Zuhause.

Der Soundtrack zum Text:

  • Sigur Ros: við spilum endalaust
  • Manu Delago: Circadian
  • Sophie Hunger: Trainpeople

„Hargolante“ ist ein Vorarlberger Ausdruck einer negativen Überraschung oder eine Art Fluch. Ein Wort, das Sarah Rinderer eigentlich nie verwendet, das aber eines der Lieblingswörter des jungen Mannes ist, den sie für die Geschichte interviewt hat. „Das war ein ganz aufflackernder Moment in diesem Gespräch und den wollte ich gerne aufnehmen.“

Die Jury

Wortlautjury 2021

Die Jury war jedenfalls beeindruckt:

„Ein Zimmer hat für mich etwas sehr Filmisches“, „hat etwas sehr Gegenschnittartiges“, „eine Art Langgedicht“, „wirkt auf mich wie eine Radierung und ich verweile gerne in diesem Zimmer und ich verstehe die Gefühle, die sich dort abspielen“, „ein sehr beeindruckender, sehr knapper, sehr poetischer und irgendwie auch berührender, ergreifender, schlüssiger Text“, „voller Poesie“, „ist auf das Nötigste reduziert“, „sehr gut an dem Text gefällt, dass er auf sehr stimmungsvolle Art und Weise einen Ort des Wartens beschreibt. Eine Person wartet aufs Sterben und die andere Person wartet auf den Beginn eines neuen Lebens“, „lässt dem Leser viel, viel Raum“. „Der Autor* skizziert die Geschichte und der Leser, die Leserin malt die Geschichte dann aus.“

(*Anm.: Die Jury hat alle Texte anonymisiert erhalten. In der Jurydiskussion gingen die Meinungen, ob Autorin oder Autor, oft auseinander.)

Der Standard

WERBUNG

Ein Auszug aus dem Gewinnertext wird im STANDARD veröffentlicht.

Sarah Rinderer gewinnt

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