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Wortlaut - Videolesung

Luca Manuel Kieser schreibt mit „Chemie“ die beste Geschichte

Mit einem philosophierenden Tintenfisch hat Luca Manuel Kieser die Jury überzeugt und sich selbst einen großen Traum erfüllt. Der Traum entstand im Fluc. Und dort liest er auch den Text - zu sehen in einem Video.

Von Zita Bereuter

Ein junger Mann will schreiben und zieht nach Wien, um genau das dort zu studieren. Um sich sein Studium zu finanzieren, putzt er im Fluc. Während des Putzens hört er übers Handy stets Radio. Genauer: FM4.

„Und ich hatte damals kein Smartphone. Ich hatte nicht mal einen MP3-Player, nur so ein 20-Euro-Handy, das aber Radio empfangen hatte. Und ich musste viel, viel putzen. Also drei bis vier Mal die Woche.“

Übers Radio erfährt er vom Kurzgeschichtenwettbewerb Wortlaut. Fortan ist es einer seiner „großen Wien-Träume“, diesen Wettbewerb irgendwann zu gewinnen. Er reicht mehrere Male ein. 2021 schafft er es. Endlich.

Der junge Mann heißt Luca Manuel Kieser, und was wie ein Märchen klingt, hat sich genau so zugetragen. Zumindest hat Luca das gleich beim ersten Telefonat erzählt, als ich ihm zu seinem Gewinn gratulierte. Nichts war daher naheliegender, als im Fluc das Gespräch zu führen und seine Lesung von „Chemie“ zu filmen. An der Stelle herzlichen Dank ans Fluc!

Luca Manuel Kieser liest „Chemie“

(Video von Gersin Livia Paya)

Nach Wien kam Luca Kieser 2014, sein Studium der Philosophie in Leipzig hatte er noch schnell abgeschlossen. Ebenso mittlerweile das Studium der Sprachkunst an der Angewandten. Seit zwei Jahren studiert er noch Ethik und gibt Kurse im Bereich Kreatives Schreiben an Volkshochschulen oder auch projektorientierte Workshops.
Daneben hat er unterrichtet - an der PROSA-Schule. Diese Schule für junge geflüchtete Menschen, die ihren Pflichtschulabschluss nachholen wollen, wurde 2013 und 2019 bei FM4 im Rahmen von Licht ins Dunkel Prosa unterstützt. (Und wir glauben sogar, dass Luca auf dem obersten Foto im Unterricht zu sehen ist ...)

Der Soundtrack zum Text:

  • Frittenbude: Mindestens in 1000 Jahren
  • Global DJs: The Sound of San Francisco
  • Nura: Radio

Mit Absolvent*innen der Schule und zwei anderen hat Luca ein Buch herausgegeben. „Prosa für Prosa“. Derzeit arbeiten sie an einem weiteren Band.

Vor allem aber schreibt Luca Kieser derzeit an seinem Romandebüt. In seiner Biographie heißt es: „Für sein Romanprojekt über einen Riesen-Tintenfisch erhielt er dieses Jahr ein Startstipendium des BMKÖS. Auch die Wortlaut-Geschichte gehört irgendwie zu diesem tentakeligen Text.“

Tintenfisch

So nämlich jagen Wale: Mit offen stehendem Maul und sich um die Längsachse drehend schrauben sie sich in die Tiefe. Und wenn ein Tintenfisch, der regungslos im Wasser steht, auch unsichtbar sein mag, dem Echolot eines Wals entgeht er nicht. Anfangs sind es so leise Töne, dass nur er selbst sie hört. Eine heimlich gesummte Melodie. Doch sobald er nah genug ist, schlägt er mit einer Geräuschsalve zu.

Das Wortlautthema „Aussicht“ weitet Luca Kieser auf einen Tintenfisch aus, der über seine Verwandlungen philosophiert, nachdem er von einem Wal geschluckt werden würde. Eine Art Vision - wie aus ihm Amber und Globuli hergestellt werden und wie sich zwei Leute verlieben – wenn die Chemie stimmt.
Ihn interessiert die Frage „Wie weit kann man gehen und immer noch sagen: Das bist immer noch du.“ In Folge umspannen die Spuren des Tintenfischs gleichsam die ganze Welt und führen soweit, dass sich zwei Menschen möglicherweise ineinander verlieben, weil sie beide „im mikroskopisch kleinen Bereich noch mit diesem längst gestorbenen Tintenfisch zu tun haben.“

wortlautlogo 2021

Radio FM4

„Aussicht“ war 2021 das Thema von Wortlaut, dem FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb.
Rund 700 Kurzgeschichten wurden eingereicht.
Hier ist die Longlist.
Hier die Shortlist.

Und das sind die besten drei:

Platz 1 - Luca Manuel Kieser
Platz 2 - Sarah Rinderer
Platz 3 - Christian Hödl

Tintenfische tauchen derzeit in der Literatur vermehrt auf. Luca Kieser sieht einen Grund darin, dass dieses Tier evolutionär so weit weg vom Menschen ist. „Wenn man sich die Evolution baumartig vorstellt, wie sich Arten an Tieren trennen, dann findet die Trennung, die zu Menschen führt bzw. zu solchen Kraken oder Tintenfischen, sehr sehr früh statt.“

Seine Beschäftigung mit einem Tintenfisch begann damit, dass ein Freund von ihm einen Gedichtband über Glasfaserkabel erstellte. Luca schlug ihm vor: „Schreib ein Vorwort, da kämpft das Glasfaserkabel quasi als Person gegen ein Ungeheuer aus der Tiefsee - weiß ich nicht - einen Kraken.“ Der Freund fand die Idee gut, meinte aber, Luca solle darüber schreiben.

„Und dann hatte ich immer so im Kopf: Ich will diese Geschichte schreiben. Von einem Kraken und einem Kabel.“

Allerdings hatte er noch andere Manuskripte zu beenden - mit dem ständigen Wunsch: „Wann ist das endlich fertig? Ich will diese Krakengeschichte schreiben. Vielleicht kann man so sagen: Der Tintenfisch hat mich gefunden und gar nicht ich den Tintenfisch.“

Luca Kieser Porträt

Nikolaus Stein

Schreiben

Normalerweise finden die „Sachen“ ihn. „Das klingt total abgedroschen, aber wenn ich zurückdenke, auch an die Jahre, wo ich sehr unstrukturiert geschrieben habe und hauptsächlich eigentlich eher notiert habe, also wahnsinnig viel angehäuft habe - wovon ich im Übrigen noch heute ganz viel nehmen kann. Es gab einfach immer Dinge, bei denen wusste ich, das ist jetzt etwas, das muss ich aufschreiben.“

Der Siegertext „Chemie“ von Luca Manuel Kieser in voller Länge.

Mehr Infos zum Autor gibt’s auf lucakieser.de

Generell aber sind es Dinge, die ihm echt vorkommen. „Also ich bin vielleicht immer so auf der Suche nach diesen Kleinigkeiten, die so in meinem Alltag aufploppen und bei denen ich dann einfach das Gefühl habe, wenn ich das nehme, dann kann ich Realität abbilden.“

Beim Arbeiten versucht er möglichst schnell digital zu werden - nur Gedichte schreibt er von Hand. Ansonsten druckt er sich seine Notizen und Texte aus. Zerschneidet diese und legt sie neu. „Gerade kann man in mein Wohnzimmer kaum rein, weil der ganze Boden voll ist mit DIN-A4-Blättern, auf denen Schnipsel liegen, teilweise handschriftlich, teilweise ausgeschnittene Sätze oder Absätze, die ausgedruckt sind. Und weil ich noch nicht fertig bin, sind die noch nicht fixiert, noch nicht geklebt. Deswegen kann ich im Wohnzimmer gerade auch nicht wirklich lüften.“

Wieder im Verhältnis eins zu hundert wirst du zu Kristallzucker-Kügelchen in einen Dragierkessel gegeben. Der Kessel dreht sich – waschmaschinentrommel-mäßig – und der Idee nach haftest du jetzt den sogenannten Globuli an. Doch exakt dieser Waschmaschinentrommel-Moment ist auch der Augenblick in deiner Geschichte, von dem an du dich unaufhörlich fragen musst, ob du überhaupt noch existierst. Du bist offensichtlich nicht fort, sonst könntest du dich das ja nicht fragen. Aber so richtig da bist du auch nicht mehr. Du bist wie der Schatten eines Baumes, den man längst gefällt hat.

Du bist wie der Schatten eines Baumes, den man längst gefällt hat.

Wortlautjury 2021

Die Jury

Die Jury lobte auch die Poesie und war einstimmig von dem vielschichten Gewinnertext überzeugt. Neben dem wohl größten Kompliment zum Text, „den hätte ich gern selbst geschrieben“, lobte sie die „außergewöhnliche Perspektive“ und „den großen Bogen auf kurzer Strecke, der sich wieder schließt“. Außerdem lobten die Jurymitglieder die „sprachliche Wucht“ und beurteilten diese auch als „sehr poetisch“, „flüssig“, „tänzerisch“, sagten dazu „ein irrer Ritt durch alle Elemente“, „ein Text wie ein Rausch“ – und attestierten dem Autor ein „ungeheures Schreibtalent“.

Luca ist kurz überwältig. „Ja, das sind so Momente, von denen zehrt man dann wahrscheinlich, wenn man alleine am Schreibtisch sitzt, ganz unsicher ist. Wenn man lange keine Preise bekommt, keine Stipendien, irgendwelche Rückschläge.“ Außerdem sei das Lob ja von „Schreibenden, zu denen schau ich auf.“

Der Standard

WERBUNG

Ein Auszug aus dem Gewinnertext wird im STANDARD veröffentlicht.

Luca Manuel Kieser gewinnt

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