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„The Shrink Next Door“: Therapie ohne Grenzen

Dein neuer bester Freund/Therapeut macht alles für dich: Er wird deine lästige Ex-Freundin los, verschafft dir einen großen Auftrag und bewältigt deine Kindheitstraumata. Und du darfst auch dabei sein. So geht’s dem schüchternen Marty, der in „The Shrink Next Door“ sein Glück zunächst gar nicht fassen kann.

Von Jenny Blochberger

Psychotherapeut Dr. Isaac Herschkopf wird von seinen Klient*innen liebevoll-bewundernd „Dr. Ike“ genannt. Der smarte, immer freundliche Mann mit dem adretten Bart und der „Ich kann auch ganz schön wild sein“-Lederjacke ist zwar eigenen Angaben zufolge sehr gut gebucht und sogar bei den Stars vielbegehrt, aber für den schüchternen Marty macht er gerne Platz in seinem vollen Terminkalender.

Marty Markowitz ist um die 40, ein großer Mann, der wirkt, als würde er zusammenzucken, wenn man sich zu schnell zu ihm umdreht. Er hat den Tod seiner Eltern noch nicht überwunden und fürchtet sich vor der Verantwortung, die die Geschäftsführung des ererbten Stoffgeschäfts mit sich bringt. Ungeachtet dieser offensichtlichen persönlichen Probleme behauptet er stets tapfer, alles wäre in bester Ordnung. Therapie bräuchte er ganz sicher keine, egal wie sehr ihn seine resolute Schwester Phyllis dazu kriegen will. „The Shrink Next Door“ spielt zwar in New York City, aber in den frühen Achtzigern hat selbst dort noch nicht jede*r einen Therapeuten. Nachdem Marty wieder einmal eine Panikattacke hatte, diesmal in seinem Laden und in Anwesenheit eines Kunden, gibt er Phyllis’ Wunsch nach und besucht den wärmstens empfohlenen Psychotherapeuten. Enter Dr. Ike.

Grenzüberschreitung als Methode

Eine Vorwärtsblende ins Jahr 2010 und viele kleinere Hinweise machen schnell klar: Ganz koscher ist Dr. Ike nicht. Der naive Marty geht ihm aber sofort und gründlich auf den Leim. Berauscht von seinen ersten Therapieerfolgen ist ihm nicht klar, dass er seine Kämpfe gar nicht selbst gewonnen hat, sondern sie von seinem Therapeuten gewinnen hat lassen - der offenbar gar kein Problem damit hat, Grenzen zu ignorieren, wenn es für ihn von Vorteil ist. So drängt der Doktor Marty dazu, dass dieser die unverschämten Forderungen seiner Ex-Freundin standhaft ablehnen soll; als Marty das nicht über sich bringt, begleitet ihn Dr. Ike kurzerhand zur Wohnung der Ex und nimmt die Sache selbst in die Hand.

Will Ferrell als Marty und Paul Rudd als Dr. Ike sind ein gut eingespieltes Team, das man etwa schon von „Anchorman“ kennt - der große, etwas ungelenke Ferrell und der vergleichsweise zierliche, dauergrinsende Rudd geben ein unterhaltsames Gegensatzpaar ab. Gaslighting ist dem Doktor zweite Natur, er macht es, ohne weiter darüber nachzudenken oder gar die Ethik seines Tuns zu hinterfragen. Warum Ike so ist, wird - zumindest in den bisher verfügbaren Folgen - nicht auserklärt: Sein bitterer Satz „Not all of us come from money“ muss ausreichen, um Dr. Ikes Untiefen anzudeuten.

Szenenbild aus "The Shrink Next Door"

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Charme ohne Tiefe

„The Shrink Next Door“ entlarvt seinen Antagonisten viel zu schnell. Der Social Butterfly, der bei einer Party von einer Person zur nächsten flattert, jeder mit ein paar persönlichen Worten schmeichelt und doch für keine echtes Interesse aufbringt, ist ein Stereotyp, der uns schon in zu vielen Filmen begegnet ist, als dass wir ihn nicht sofort als zutiefst suspekte Figur erkennen würden.

Podcast-Cover von "The Shrink Next Door"

Wondery

„The Shrink Next Door“ ist ursprünglich ein True-Crime-Podcast von Joe Nocera aus dem Jahr 2019. Die darauf basierende Serie ist derzeit auf AppleTV+ zu sehen.

Der Appeal von Dr. Ike ist aber, dass er diesen Eindruck eben nicht vermittelt, wenn man ihm zum ersten Mal begegnet: Er kommt, so will uns die Serie glauben machen, als empathischer, sympathischer und äußerst charmanter Mensch rüber, der auf sein unsicheres Gegenüber umso mehr Eindruck macht, weil er diesem seine kostbare Aufmerksamkeit schenkt. Dass die Serie uns von Anfang an seinem Charme misstrauen lässt, nimmt der ganzen Prämisse viel von ihrer potentiellen Kraft. Da kann Paul Rudd noch so bübisch grinsen; wir sind bereits gegen sein einnehmendes Wesen immun. Die Geschichte vom charmanten Gauner und dessen gutherzigem Opfer ist schon oft erzählt worden - und „The Shrink Next Door“ findet ihr nichts Interessantes hinzuzufügen. Ein Lichtblick in der etwas vorhersehbaren Story ist die von Kathryn Hahn gespielte Phyllis, die von Dr. Ike schnell als Bedrohung erkannt wird.

Das 80s-New York sieht allerdings ganz hervorragend aus: Wem beim Anblick alter Yellow Cabs, Föhnfrisuren und Münztelefone warm ums Herz wird, der oder die wird sich allein schon an der Optik von „The Shrink Next Door“ erfreuen. Und vielleicht wird’s ja mit dem Plot auch noch was – bislang wurde erst die Hälfte der insgesamt acht Folgen veröffentlicht.

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