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Gupi & Fraxiom

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Die Hyperpop Essentials

Hyperpop ist in den letzten Jahren zu einem Schlagwort für so einiges geworden - vor allem aber für hoch-gepitchte, exzentrische Pop-Produktionen mit experimenteller Note. Ein kleiner Überblick über eine streitbare Bewegung, die immer ein bisschen over-the-top ist und trotzdem nie genug.

Von Melissa Erhardt

FM4 Homebase Spezial am Montag, 29. November

Gäbe es ein Bild, um Hyperpop zu beschreiben – es wäre für mich eine stillgelegte Industriehalle irgendwo am Stadtrand, in der die Crowd mit rosarotem Tüllrock und von Stroboskop-Lichtblitzen geblendet die Nacht durchravet. Dieser „Candyshop meets Industrial“ Flair trifft zumindest auf die Pionier*innen des Hyperpops zu: Auf die schottische, viel zu früh verstorbene Produzentin SOPHIE sowie auf ihre engen musikalischen Wegbegleiter*innen, darunter dem Londoner PC-Music-Label Gründer A. G. Cook und die britische Singer und Songschreiberin Charli XCX. Vor allem in den letzten beiden Jahren hat sich aber einiges in der Hyperpop-Welt getan – nicht zuletzt wegen eines ganz besonderen Album-Releases und einer kuratierten Spotify-Playlist.

Die Pioniere

Als größter Einfluss für die Hyperpop-Bewegung zählt der Dunstkreis rund um das britische Label PC Music. Gegründet wurde das Label 2013 von Produzenten und Künstler A.G. Cook, der von Anfang an einen sehr experimentellen und elektronischen Zugang zu Popmusik hatte. Nach und nach teilte und entwickelte er diesen mit anderen Künstler*innen weiter. Darunter: Danny L Harle, Hannah Diamond, Caroline Polachek, Charli XCX oder SOPHIE. Mit letzterer hat er zum Beispiel das Projekt QT gestartet; eine Art fiktionale Werbekampagne für einen fiktionalen Energy Drink von einem fiktionalen Popstar.

Als „Botschafterin“ für den Mainstream für diese bis dato doch eher avantgardistische Untergrund-Musik fungierte ab 2016 vor allem Charli XCX. Mit dem Release ihres „Vroom Vroom“ Tapes, das in Zusammenarbeit mit SOPHIE entstand, wandte sie sich von eingängigen Radio-Pop-Nummern ab und begann zu experimentieren. Das Ergebnis ist auf dem gleichnamigen Track „Vroom Vroom“ (2016) zu hören: Von Charlis Boss-Energie nur so strotzend, wird der Song durch SOPHIEs extravagante Produktion buchstäblich vorangepeitscht, abgebremst, und dann wieder hochgefahren – eine aufregende Achterbahnfahrt.

Wir sehen bereits: Ohne SOPHIEs hemmungsloser und vor allem innovativer Herangehensweise wäre Hyperpop nicht Hyperpop. Auf „Immaterial“ (2018) kommt das in knapp vier Minuten zum Ausdruck: ein Spiel mit Identität, Sound und unzähligen Möglichkeiten.

Die Weiterentwicklung

2019 haben schließlich die beiden Musiker*innen aus Missouri, Dylan Brady und Laura Les, die US-amerikanische Antwort auf die sich bisher vor allem in Großbritannien abspielende Szene geliefert. Als „100 Gecs“ veröfentlichten sie nach mehreren Jahren Zusammenarbeit im Mai des Jahres ihr Debütalbum „1000 Gecs“. Darauf zu hören: Experimenteller Pop, den sie bis aufs Äußerste verzerren und verbiegen: Es kracht, es scheppert, es quietscht. Das Duo hat mit seinem außergewöhnlichen Stil einen so überraschenden Erfolg gelandet, dass man bei Spotify beschlossen hat: Dafür braucht es eine eigene Kategorie. Für die Playlist-Kuratorin Lizzy Szabo und ihre Kolleg*innen war der Musikstil am besten unter dem Schlagwort Hyperpop fassbar – und voilá, die „hyperpop“ Playlist war geboren. Heute ist die Playlist quasi der Ort, wo sich der Hyperpop-Kosmos trifft und weiterentwickelt.

Die neue Generation: „PC Music für die Kids“

Seit dem Release von „1000 Gecs“ und der Erstellung der Playlist hat die Bewegung eine neue Dynamik bekommen: Die „hyperpop“ Playlist ist womöglich sogar das anschaulichste Beispiel dafür, wie Musikstreaming-Dienste nicht nur unseren Musikkonsum, sondern auch Musik verändern. Die Playlist wird Woche für Woche hand-kuratiert, manchmal auch von Hyperpop—Artists wie 100 Gecs oder Dorian Electra. Dadurch ist das, was unter „hyperpop“ gefasst wird, aber auch deutlich vielfältiger geworden. Die Artists sind heute vor allem Internet-Kids – oft aus der queeren Community - die sich an dem unendlichen Pool verfügbarer Musik inspirieren und sich einfach ausprobieren. Ein bisschen so wie Memes, nur eben in musikalischer Form. Bei Vertreter*innen wie ericdoa, glaive oder p4rkr/osquinn wird viel von der Soundcloud-Emo-Rap Ära und anderen Hip-Hop-Sounds übernommen. Für die 16-jährige Transgender-Rapperin und Sängerin osquinn war vor allem Chicago Drill eine große Inspo. ‘It must be nice to have some friends in person / Goin’ over to someone’s house would be worth it’, singt sie auf „mbn“ mit jeder Menge Autotune über eine simple Bass-Line – und könnte damit den Vibe dieser heute hauptsächlich virtuellen Szene fast nicht besser ausdrücken.

Aber auch elektronischere Sounds, Dubstep oder Acid werden hörbarer. Bestes Beispiel hierfür: Gupi, der 22-jährige Sohn von Skateboard-Legende Tony Hawk.

Hyperpop ist mit dieser Ausbreitung in verschiedene musikalische und örtliche Ecken wohl eher eine Art Idee, eine Bewegung eben, die Musik neu denkt und mixt und matcht was das Zeug hält. Amüsant ist das auf jeden Fall. Und wer weiß: Vielleicht haben wir ja schon bald einen neuen Hyperpop-Superstar.

Homebase Spezialstunde

Am Montag, 29. November, geht es in der FM4 Homebase eine Stunde lang um Hyperpop. Wir sprechen nicht nur über die Wurzeln der Bewegung, sondern werfen auch ein Auge auf ihre Pop- und Kapitalismuskritik, die in Tracks wie „Hey QT“ vielleicht erst auf den zweiten Blick sichtbar werden. Außerdem: Ein Interview mit Caroline Polachek, die mit ihren Hyperpop-Tracks zu einer der wichtigsten Kollaborations-Partner*innen von PC Music zählt.

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