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Berit Gilma

Life is a movie: Cinephile Pilgerstätten in Los Angeles

Am Friedhof der Kino-Ikonen picknicken, auf den Spuren von David Lynch durch die Nacht fahren, Quentin Tarantinos Kino besuchen: Ein filmischer Erlebnisbericht aus Hollywood.

Von Christian Fuchs

Mitten im November die Stadt der Engel zu besuchen, fühlt sich tatsächlich himmlisch an. Nicht nur aus Wettergründen. Auch der strenge, aber gleichzeitig entspannte Umgang mit der Pandemie tut wohl. Der Herbst in Los Angeles hat ein bisschen etwas vom österreichischen Sommer. Masken und Tests gehören zum Alltag, für die meisten Indoor Spots muss man vollständig geimpft sein, das Leben pulsiert dennoch.

In den großen Lichtspielhäusern ist das Angebot ähnlich wie hierzulande vor dem Lockdown. Blockbuster wie „Eternals“ oder „Dune“ sind omnipräsent, daneben funkeln kleine Juwelen wie „The French Dispatch“ oder „Last Night in Soho“ im Programm. Aber auch wenn es im Kino keine Überraschungen zu sehen gibt, L.A. hat natürlich unzählige Spots für Filmfans zu bieten. Abseits der Touren von Studios wie Universal oder Warner lassen sich etliche Pilgerstätten für Cinephile erkunden.

Mein lokaler Guide zu diesen Orten ist die Grazerin Berit Gwendolyn Gilma, die als Creative Director für den Filmkomponisten Danny Elfman arbeitet. Erste Anlaufstelle in Sachen filmischer Obsessionen ist dabei der legendärste Friedhof in town. Der Hollywood Forever Cemetery existiert seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts, hier liegen unzählige Leinwandstars begraben, berühmte Regisseure, aber auch Rock’n’Roll-Legenden wie Johnny Ramone, George Harrison oder Chris Cornell.

Picknick mit toten Stars

Auf dem Friedhof, der mitten in Hollywood direkt an das Paramount Studiogelände grenzt, kann man nicht nur melancholisch flanieren und in Gedanken an das Golden Age Hollywoods schwelgen. Sondern auch idyllisch picknicken. „Der Hollywood Forever Cemetery ist eigentlich ein sehr lebensbejahender und schöner Ort“, meint Berit, „hier wird man eingeladen, mit den Toten den Tag zu genießen. Viele Gräber haben Bänke, es gibt herrliche Natur und viele Tiere, wie Schwäne, Enten, sogar Schildkröten.“

Wir verzehren an einem Sonntagmittag unsere mitgebrachte Jause vom lokalen Bauernmarkt mit Blick auf herumwuselnde Eichhörnchen, auf prunkvolle Mausoleen und stilvolle Grabstätten. Das Hollywood Sign ist zwischen den Baumreihen zu sehen. Die Atmosphäre ist speziell, zauberhaft und morbid gleichzeitig. Dazu passt auch, dass immer wieder Horror-Filmvorführungen stattfinden, besonders zu Halloween. Hier ist Friedhof und kulturelles Zentrum gleichzeitig – eine seltene Zusammenkunft.

Die fantastischen Flaming Lips gaben auf dem Hollywood Forever Cemetery ebenso ein Konzert wie andere Indie-Größen. Beim Spazieren zwischen den pittoresken Gräbern, im milden Licht des Indian Summers, kommt mir ihr größter Gänsehaut-Hit in den Sinn. „Do you realize that happiness makes you cry? Do you realize that everyone you know someday will die?“

Auf der Straße der Finsternis

Dunkelheit und Licht, scharfe Kontraste, widersprüchliche Stimmungen spielen auch in den Filmen von Ausnahmeregisseur David Lynch eine zentrale Rolle. Heuer feiert sein düsteres Meisterwerk „Mulholland Drive“ seinen 20. Geburtstag. Eine Warnung vor den Schattenseiten der (Alb-)Traumfabrik Hollywood, die gleichzeitig aber auch eine Liebeserklärung an Tinseltown darstellt.

Die gleichnamige Panoramastraße, 34 Kilometer lang, bietet neben dekadenten Mansions auch atemberaubende Blicke auf Los Angeles. In Lynchs Film, mit dem deutschen Untertitel „Straße der Finsternis“, repräsentiert diese glitzernde Aussicht auch die gefährlichen Verheißungen der Metropole, an denen so viele Neuankömmlinge scheitern.

Als wir am späten Abend den Mulholland Drive entlangkurven, wabert dichter Nebel gespenstisch die Hügelketten entlang. Vor dem geistigen Auge tauchen Figuren aus dem Film auf, die Klänge eines lokalen Jazzradios verstärken das Neo-Noir-Feeling. Bevor wir L.A. nächtlich funkeln sehen, schlägt Berit aber einen kurzen Abstecher zu einem nahen Haus vor. Drinnen brennt Licht.

„Hier wohnt David Lynch“, erklärt meine Reiseführerin vor einem kahlen Betongebäude, das Insider aus dem surrealen Thriller „Lost Highway“ kennen. „Der berühmte Architekt Lloyd Wright hat dieses Haus entworfen. Es sieht aus wie ein brutalistischer Bunker, aber gleichzeitig extrem faszinierend.“ Hier nimmt Mr. Lynch auch seinen täglichen Weather Report auf – ironisch, da das L.A. Wetter beinahe immer gleich ist. Während diverser Lockdowns wurde der Routinereport zu einer Fixeinrichtung. Jede Episode endet mit den Worten "Everyone, have a great day!“ Der unschuldige Optimismus gehört wie die Finsternis zur Persona von David Lynch. Und zur unverwechselbaren Aura von L.A.

Im Kino von Tarantino

Über Quentin Tarantinos zwiespältiges Verhältnis zum Kung-Fu-Kultstar Bruce Lee habe ich an dieser Stelle schon polemisiert. Dass der vielgelobte Regisseur anscheinend Probleme mit dem größten Martial-Arts-Künstler aller Zeiten hat, ist an einem sonnigen L.A.-Nachmittag aber kein Thema mehr. Wir besuchen nämlich das großartige New Beverly Cinema, um einen Klassiker von Bruce Lee zu sehen.

Das kleine, aber extrem feine Programmkino, wurde von Tarantino gekauft, um darin den Mythos Zelluloid zu zelebrieren. Im New Beverly laufen ausschließlich Filme im 35mm oder 16mm Format, viele davon aus der Privatsammlung des „Pulp Fiction“ Schöpfers. Das klingt gut, aber dass eine freitägliche Nachmittagsmatinee fast ausverkauft ist, überrascht dann doch. Im Saal drängeln sich überwiegend junge Filmliebhaber*innen aller Arten, schon die vergilbten Trailer im Vorprogramm werden beklatscht. Als dann „Enter The Dragon“ über die Leinwand flimmert, ist der Enthusiasmus der Crowd überdeutlich spürbar.

Es ist vielleicht mein 25. Mal mit dem „Mann mit der Todeskralle“, aber die Vorführung wird mir unvergesslich bleiben. Die Kopie ist bestechend, die Liebe zu Bruce Lee und dem Vintage-Kino rührt mich fast zu Tränen. Nach so viel cinephilem Glück schlägt Berit einen Besuch im benachbarte El Coyote Diner vor. „Hier hat Sharon Tate mit ihren Freunden im August 1969 die letzte Nacht ihres Lebens verbracht“, berichtet sie, „bevor es zu den furchtbaren Morden der Manson-Family kam. Hier hat aber auch Quentin Tarantino die entsprechende Szene für seinen letzten Film gedreht.“

Genau da wo wir dann Tacos und Nachos essen, drängelten sich also Margot Robbie & Co. in „Once Upon a Time in Hollywood“. Die mexikanischen Kellnerinnen sind charmant, das Essen passabel, der Flair einzigartig. Unzählige Eindrücke schwirren durch meinen Kopf. Wenn sich das Leben ohnehin oft wie ein Film anfühlt, dann ist dieser Streifen hier in L.A. in Cinemascope, knalligen Farben und voller unvergesslicher Bilder. Es war einmal in Hollywood...

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