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Shirin David

Universal Music

Mit „Bitches brauchen Rap“ wechselt Shirin David in den Kampfmodus

Shirin Davids zweite Platte „Bitches brauchen Rap“ fällt deutlich politischer, selbstbestimmter und feministischer aus, als es ihr so mancher nach ihrem Debüt „Supersize“ vielleicht zugetraut hätte. Die Zeiten des lieblichen R’n’B-Singsangs sind vorbei, auf BBR herrscht Kampfmodus.

Von Melissa Erhardt

„Was ist das Erfolgsgeheimnis von Shirin David, die ohnе Privilegien in kleinstеn Verhältnissen aufwuchs?“, hört man die deutsche Promi-TV-Journalistin Martina Taubert auf dem Outro von Shirin Davids „Bitches brauchen Rap“ fragen. Und so mancher mag sich dieser Tage womöglich dieselbe Frage stellen – immerhin ist BBR das meist-gestreamte Album einer deutschen Musikerin am Startwochenende überhaupt.

Mit über 11 Millionen Streams landete sie auch international auf Platz vier der Streamingcharts und das an einem Wochenende, an dem auch Adele ihr lang ersehntes Album veröffentlicht hat. Was ist es also, das Geheimnis von Shirin David, der Schlüssel zu ihrem Erfolg? Bleiben wir beim Outro noch ein bisschen länger dran, liefert sie uns die Antwort ganz von allein:

Die sagen: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold / Aber Schweigen war mein Fehler und Reden brachte Erfolg.

Zu erzählen hat Shirin David viel, vor allem seit sie einen Fuß in die deutsche Rap-Welt gesetzt hat. Das war im Jahr 2019, nach mehreren Jahren erfolgreicher YouTube-Karriere und einem eher mäßig erfolgreichen ersten Feature im Jahr 2015. Seither hat sie nicht nur einmal erfahren müssen, wie es ist, sich als selbstbestimmte Frau in einer sehr männlich dominierten und von Alpha-Mentalität geprägten Umgebung zu bewegen: Etwa, als der Rapper Shindy im Sommer 2019 ohne ihr Einverständnis den gemeinsamen Song „Affalterbach“ veröffentlichte und auf ihre Kritik hin mit einem „Alles klar, Beyoncé, bleib besser zu Hause, du Spinnerin“ reagierte. Oder als sie mehrere Male unterschwellig, aber auch ganz offen und deutlich zu hören bekam, alles an ihr sei Fake: Der Körper, die Texte, ja sogar der Erfolg.

Kampfmodus mit Grips

An diese Kritiker*innen richtet sich Shirin David mit ihrer Platte „Bitches brauchen Rap“. Das Album fällt deutlich politischer, selbstbestimmter und feministischer aus, als es ihr so mancher nach ihrem Debüt „Supersize“ vielleicht zugetraut hätten. Jede Line sitzt, wird rausgeballert mit einem unersättlichen Hunger und viel Augenzwinkern, so, dass man bis zur letzten Sekunde dranbleiben will, wissen will, was noch kommt.

Popkulturelle Vergleiche gibt es en masse, ebenso wie Seitenhiebe auf diverse Industriekolleg*innen und sehr viel – wie sagt man so schön – Realtalk. Dazu später aber mehr.

Dass das Album so einen rohen Charakter hat, die Vergleiche wie angegossen sitzen und Shirin David beim Bars-Spitten fast schon aufs Luftholen vergisst, liegt nicht zuletzt an ihrer Zusammenarbeit mit dem Rapper Laas Unltd. Bekannt geworden durch AggroTV, hat dieser die deutsche Battlerap-Szene mitgeprägt, unter anderem als Texter für Fler, Kool Savas oder Sido gearbeitet und zuletzt mit Shindy an dessen letztem Album „Drama“ mitgewirkt.

Dass Shirin David ihre Songs nicht selbst schreibt, hat in der Vergangenheit immer wieder für heftige Diskussionen gesorgt: Dürfe man sich überhaupt als Rapper*in bezeichnen, wenn man seine Songs nicht selbst schreibt? Sei nicht das erst das, was eine*n Rapper*in ausmacht? Shirin David macht daraus keinen Hehl. Auf „Last Bitch Standing“ stellt sie einmal mehr fest:

„Jeder weiß, vielleicht’s der Body fake, aber die Story echt / Und nochmal: Ich hab’ nicht alles selbst geschrieben / Doch nur ich bring’ ich die Fakten, auf den’n die Texte basieren.“

Girls, die Girls canceln

Und die Fakten, die sie bringt, sind nicht ohne. Auf ihren Tracks thematisiert sie aus ihrer eigenen Rolle heraus die Art und Weise, wie wir als Gesellschaft mit selbstbestimmten Frauen umgehen. Dabei wechselt sie von Erfahrungen, die sie als Shirin David gemacht hat, zu allgemeineren Erfahrungen weiblich gelesener Menschen.

Sie erzählt von Situationen, die sie im Studio erlebt hat („NDA’s“), lamentiert mit den Worten „Von ‚Bei Gott, ist sie sexy‘ hin zu ‚Vallah, sie’s ne Schlampe!‘ / Die deklarieren einen Minirock zu maximaler Schande / Doch ne Frau mit Grips im Kopf wird abgetan zu ner Emanze“, über die begrenzten Optionen, die weiblich gelesene Personen in unserer Gesellschaft haben („Babsi Bars“) und zählt auf „Man’s World“ Frauen von Greta Thunberg über Kamala Harris bis hin zu Kim Kardashian und Nicki Minaj auf, um damit zu sagen: Egal, was du als Frau machst, was für eine Einstellung du hast und wofür du arbeitest oder kämpfst: Deine Optik und dein Frau-Sein wird immer das erste sein, worüber man sprechen und anhand dessen man dich bewerten wird.

Vielleicht geht sie auch deswegen ganz offen mit ihren Schönheitsoperationen um, etwa wenn sie sagt, ihr Körper sei „60 Prozent Doc, 40 Prozent Gym“. Ob solche OPs tatsächlich empowernd sein können oder sie viel mehr nur gängige Schönheitsideale verfestigen, darüber kann man streiten. Darüber wird derzeit auch viel gestritten. Erst gestern hat der Guardian berichtet, dass die britische Werbeaufsichtsbehörde Werbung von Schönheitschirurgien in allen Medien verbieten wird, die sich an minderjährige Personen richtet. Die potenzielle Anziehungskraft solcher Dienstleistungen sei vor allem für junge Menschen sehr groß, die mit ihrem Körperbewusstsein zu kämpfen haben.

Einerseits ist es also Shirin Davids persönliche Entscheidung, was sie mit ihrem Körper macht. Andererseits sendet sie damit eben auch immer ein Signal an ihre knapp sechs Millionen Follower*innen auf Instagram. Man hat es eben nicht einfach als Frau. Es ist eine Zwickmühle und führt wohl auch zu viel Kritik von anderen Frauen. Vielleicht hat Shirin David genau das im Kopf, wenn sie auf „Last Bitch Standing“ rappt: „Girls canceln Girls, Stimmung heiß wie Schaumbäder / Boys werden nicht ma’ boykottiert, sind sie Frauenschläger.“

Der German Dream

Shirin David ist heute nicht nur erfolgreiche Künstlerin: Sie hat ihre eigenen Parfums entworfen, ist mit ihrem „Dirtea“ ins berühmt-berüchtigte Eistee-Geschäft eingestiegen, wirbt für Rihannas „Savage X Fenty“-Unterwäsche und den deutschen Lieferdienst Flink und hat im Sommer in der Quizshow „Wer stiehlt mir die Show“ dem deutschen Moderator Joko Winterscheidt eindeutig die Show gestohlen.

Dass sie es aber nicht immer so einfach hatte, thematisiert sie auf ihrem Album ebenfalls. Etwa auf dem bereits anfangs erwähnten, neunminütigen Outro „Bramfeld Storys“: „Mama kommt aus Litauen, Papa ist Iraner / Hab’ in einem anderen Song schon mal erzählt, dass er nie da war / 95er Jahrgang, Kennzeichen ist HH / Die übersehen das Drama, der Weg bis hier war ein harter“, aber auch auf „Depressionen im Paradies“: „Vom Ansteh’n in der Schlange mit Mama vor dem Hartz-IV-Amt / Zu ich stell’ Frauen, die zwanzig Jahre älter sind, bei mir an.“

Mit dem Album „Bitches brauchen Rap“ hat Shirin David jedenfalls einen Meilenstein für den Deutschrap gelandet. Selten war eine Frau im Mainstream-Kommerz-Rap so politisch, so direkt, so feministisch. Es gab SXTN, es gibt Nura, es gibt Ebow, es gibt Kitty Kat, es gibt Lady Bitch Ray, es gibt Haiyti – es gibt sehr viele Rapperinnen, die schon lange das machen, was Shirin David macht. Aber mit knapp sechs Millionen Instagram-Follower*innen ist es bei ihr doch noch mal etwas anderes.

Dass sie sich für ihr großartiges Album die Credits mit Laas Ultd. und ihrem Team teilen muss, ist klar. Aber was anderes hätte sie wohl auch nie behauptet.

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