Mein Freund, der Internet-Troll

Todor Ovtcharovs Freund Anton hat im Lockdown ein ungewöhnliches Hobby entdeckt.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Der fast zweijährige Lockdown hat die Psyche der Menschen verändert, meinen Experten. Ich glaube das auch, und ich habe ein Beispiel. Mein Freund Anton ist ein ruhiger Typ, einer, der nie auf Konflikte aus ist und kein einziges Mal seine Meinung aggressiv durchzusetzen versucht. Seitdem wir weniger hinausgehen können, hat sich Anton verändert.

Grund dafür ist unsere virtuelle Existenz. Denn im virtuellen Raum dürfen wir anders sein, wir müssen es sogar. Anton lebt diese Internet Mimikry in vollen Zügen aus. Er hat mehrere Profile in unterschiedlichen sozialen Netzwerken kreiert. In einem davon ist er ein eifriger Impfgegner, in einem anderen ein Kämpfer für die Impfpflicht. In beiden Gruppen hat er Follower, die ihn schätzen, und solche, die ihn hassen. Seine Posts sind in beide Richtungen so argumentiert, dass er Millionen von Menschen bestätigen kann. Auf beiden Seiten der Barrikade zu stehen, mache am meisten Spaß, sagt Anton.

Er hat viel Freizeit und nimmt an vielen Streitgesprächen teil. Einmal sprengt er eine Gruppe von Veganern, indem er ihnen erzählt, wie gut Beef Tartar schmeckt. Die Rohfleischliebhaber hingegen beschuldigt er des Mordes an unschuldigen Kälbern. Menschen, die moderne Kunst mögen, bezeichnet Anton im Internet als Poser, die mit ihrem Snobismus hausieren gingen. Danach weint er anderswo um die moderne Kunst, die die engstirnige Mehrheit nicht verstehe.

In Wirklichkeit ist ihm bewusst, dass jeder Streit im Internet ein Kampf gegen Windmühlen ist; er wird aber von dem Wind, den diese Mühlen erzeugen, weiter angetrieben. Der Streit in Sozialen Netzwerke ist für Anton Sport und Hobby. Das Gute daran ist, dass er immer der moralische Sieger ist: als Impfgegner und als Impfbefürworter, als Veganer und als Fleischfresser, als Fan der Klassik und als Liebhaber der Moderne.

Somit verbringt er seine Zeit damit, immer weitere Internetskandale anzustiften. Das sei sein Zweck im Leben, meint Anton. Ein Psychoanalytiker hätte vielleicht eine Erklärung dafür. Aber Anton wäre immer bereit, allen Psychoanalytikern dieser Welt im Internet zu erklären, dass sie alle Vollkoffer sind.