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Das Kapitol in Washington, D.C. hinter einem Absperrband

Photo by Andy Feliciotti on Unsplash

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Annika Brockschmidt warnt in „Amerikas Gotteskrieger“ vor christlichem Nationalismus

Trump tat viel für die Religiöse Rechte, und sie für ihn. Kapitalismus und eigennützige Auslegungen der Bibel, Geschichtsrevisionismus und Machtansprüche verfolgt die Religiöse Rechte in den USA. Die deutsche Journalistin Annika Brockschmidt gibt in ihrem Buch „Amerikas Gotteskrieger“ einen Überblick über christlichen Nationalismus.

Von Maria Motter

Die Skispringer in Bischofshofen hatten am 6. Jänner 2021 gerade ihr traditionelles Dreikönigsspringen gemeistert, als verstörende Eilnachrichten aus Washington kamen. Ein Mob erstürmte das Kapitol und besetzte es stundenlang. Fünf Menschen starben. Das Jahr hat mit absurden, verstörenden Live-Bildern aus den USA begonnen.

Eine Frau stellte sich als „Elizabeth from Knoxville“ vor und beklagte, dass sie gerade mal einen Fuß ins Kapitol setzen konnte. Sie habe Pfefferspray abbekommen. Das Video ging viral als Illustration für den Versuch, unrechtmäßiges Verhalten umzudeuten und sich selbst als Opfer zu inszenieren. Andere zogen einen Galgen mit den Aufschriften „God Bless America“ und „In God We Trust“ vor das Kapitol, prügelten auf Sicherheitspersonal und Polizei mit Fahnenstangen ein und verschafften sich mit Gewalt Zugang. Der Angreifer mit den Büffelhörnern wurde inzwischen verurteilt, er war einer von über 400 strafrechtlich verfolgten „Capitol Rioters“.

„Amerikas Gotteskrieger“

Das Kapitol war der größte, digital erfasste Schauplatz eines Verbrechens in der Geschichte des Planeten, hält ein Journalist der New York Times fest. Die Regierung habe 15.000 Stunden Videomaterial von dem Angriff auf den Sitz des Kongresses.

Joe Biden verurteilte die „Capitol Rioters“ scharf: Man solle sie nicht Protestierende nennen, das waren Aufständische, einheimische Terrorist*innen. Hunderte hatten am 6. Jänner vor und im Sitz der Legislative christliche Symbole und rechtsextreme Botschaften zur Schau getragen. Das National Geographic Magazine widmete den Hasssymbolen der Kapitol-Stürmer eine Geschichte.

So bizarr und chaotisch dieser Angriff auf das Kapitol zuerst wirkte: Christlicher Nationalismus ist heute in den USA eine einflussreiche politische Bewegung. Das neue Sachbuch „Amerikas Gotteskrieger“ widmet sich diesem Phänomen. Die deutsche Journalistin Annika Brockschmidt bietet mit ihrem Buch ein Erklärstück, durch das man sich mit Leucht- und Bleistiften arbeiten kann. Der Taschenbucheinband ist dabei allerdings ein bisschen unpraktisch dünn.

Die Journalistin Annika Brockschmidt im ärmellosen Leiberl vor einer Mauer im Freien.

Lea Eggers

Die Journalistin Annika Brockschmidt unternimmt in „Amerikas Gotteskrieger - Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet“ den Versuch, christlichen Nationalismus in den USA von Präsident Woodrow Wilson bis in die Gegenwart zu überblicken.

Von allen US-Präsidenten habe Donald Trump am meisten für die Religiöse Rechte getan, so Brockschmidt. Er habe deren Vertreter in höchste Regierungsämter geholt und als Höchstrichter berufen. Trump war der erste US-Präsident, der auf einer Demo von Abtreibungsgegner*innen sprach.

Seit Trumps Regierungsantritt bediente sich der Oberste Gerichtshof immer wieder des sogenannten Shadow Docket-Prozesses und traf somit Entscheidungen ohne volle Anhörungen, betreffend etwa den „Muslim Ban“, das Ende des Stopps von Zwangsräumungen während der Pandemie und zuletzt bezüglich des extrem restriktiven Abtreibungsgesetzes des Bundesstaats Texas. Aufsehen und Empörung rief auch die Entscheidung am 1. Juli 2021 hervor, die es offiziell unabhängigen Wohltätigkeitsorganisationen erlaubt, Großspenden nicht offenlegen zu müssen.

US-Fahnen und ein Kreuz auf dem Buchcover von "Amerikas Gotteskrieger" von Annika Brockschmidt.

Rowohlt Polaris

„Amerikas Gotteskrieger - Wie die Religiöse Rechte die Demokratie gefährdet“ von Annika Brockschmidt ist 2021 bei Rowohlt Polaris erschienen.

Christlicher Nationalismus ist eine kulturelle und politische Bewegung. Seit vielen Jahrzehnten betreiben Religiöse Rechte in den USA massive Kampagnen. Der Fernsehprediger Billy Graham hatte sich Anfang der 1950er Jahre einen nationalen Tag des Gebets gewünscht. Und seit 1953 gibt es das National Prayer Breakfast: Das ist Frühstücksbeten mit dem US-Präsidenten. Auch Obama ist dem nicht ausgekommen.

Religiöse Rechte in der jüngeren Geschichte der USA

Erfrischend sind die vielen Kurzporträts von Personen in „Amerikas Gotteskrieger“. Der historische Abriss über die Verbindungen zwischen Präsidentschaftskandidaten und der Religiösen Rechten zeichnet den Einfluss der Bewegung nach.

Eigene, erfolgreiche moderne Medien haben die christlichen Nationalisten seit den 1970er Jahren. Die Televangelisten haben Nachfolger*innen auf YouTube und Social Media und der rhetorische Trick der „Dog Whistle“ - Schlagworte stehen für bestimmte Haltungen - hält sich. Im Geschichtsrevisionismus von Vertreter*innen des christlichen Nationalismus liegt eine große Gefahr. Die Geschichte des Landes wird umgedeutet: Christlichen Nationalist*innen geht es um ein weißes, evangelikales Amerika. Wie vielschichtig die Verbindungen der Bewegung sind, welche Agenden sie verfolgt und sie mit ihren Überzeugungen seit vielen Jahrzehnten im öffentlichen Leben Amerikas mit Erfolg positioniert, legt Annika Brockschmidt dar. Aktuell stößt sich die Bewegung an Transsexualität. Die Bedrohung durch die Erderhitzung indes ist für weiße Evangelikale weniger ein Problem. Wer die Apokalypse im aktiven Weltbild bereithält, leistet sich die Skepsis am menschengemachten Klimawandel.

Geschrieben ist „Amerikas Gotteskrieger“ wie zwei sehr umfassende Diplomarbeiten, das Quellenverzeichnis hat 60 Seiten, die Bibliografie zwei. Gegen Ende wird es noch einmal kurz sehr spannend. Da verstärkt Annika Brockschmidt ihre Warnung vor dem christlichen Nationalismus. Sie schreibt, die Republikanische Partei habe sich zum politischen Arm der Religiösen Rechten in den USA entwickelt, und die Bewegung der Religiösen Rechten wäre drauf und dran, die US-amerikanische Demokratie mit deren Eigenheiten zu untergraben.

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