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Ihr Kinderlein: Komet!

Ein Komet in der Größe des Himalaya rast auf die Erde zu, aber irgendwie ist niemand wirklich interessiert. „Don’t Look Up“ von Adam McKay ist eine großartige Satire, die den Zeitgeist als Schreckgespenst inszeniert. Mittendrin im Wahnsinn: Jennifer Lawrence, Leonardo DiCaprio und Meryl Streep.

Von Pia Reiser

„Everyone, deep in their hearts, is waiting for the end of the world to come“, das Zitat von Haruki Murakami hat Regisseur und Drehbuchautor Adam Mckay schon in seinem klasse Film „The Big Short“ untergebracht. Der drehte sich um das Platzen der Immobilienblase im Jahr 2008 - eh auch schon eine Art „it’s the end of the world as we know it“, doch mit „Don’t Look Up“ setzt McKay auf die oberste Eskalationsstufe und lässt einen Kometen in der Größe des Himalaya auf die Erde zurasen. Bruce Willis steht diesmal nicht zur Stelle, um die Welt zu retten, die Zeile aus dem „Armageddon“-Rockgejaule-Song - „I don’t want to close my eyes (...) cause I don’t want to miss a thing“ - gilt aber für die 145 Minuten Laufzeit von „Don’t Look Up“.

Jennifer Lawrence und Leonardo DiCaprio sind in diesem Film Astronomen, die diesen Kometen entdecken und gemeinsam mit Wissenschafter Dr. Oglethorpe (Rob Morgan) bei der US-Präsidentin (Meryl Streep) vorsprechen. Beschönigt wird hier nichts mehr: „This comet is what we call a planet killer“, so Oglethorpe, doch die Präsidentin macht sich Sorgen um ihre Umfragewerte und will keine Panik verursachen. Man solle mal abwarten.

Die Szene im Oval Office, wo die Position der Wissenschaft der Ignoranz der Politik händeschwitzend und ratlos gegenübersitzt, gehört zu den vielen großen - und wahnsinnig komischen - Momenten von „Don’t Look Up“. Man merkt auch dann, wenn Jonah Hill als Präsidentensohn und Chief of Staff als Mansplainer und Douchebag in Personalunion zu Höchstform aufläuft, wie sehr man ihn auf der Leinwand vermisst hat. Es gibt eine 16-Minuten-Variante von dieser Szene und ich hoffe sehr, dass es die mal irgendwo zu sehen gibt.

Die Wurzeln von Adam McKay liegen im Improv, und als Regisseur hat er von Anfang an die Mischung zwischen Skript und Improvisation beherrscht, nicht umsonst sind Will Ferrells Filme unter McKays Regie unglaubliche komödiantische Glanzstücke (was man von ganz vielen von Ferrells Filmen nicht behaupten kann).

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Interessant ist, dass es auch in McKays Filmen nach „Anchorman 2: The Legend Continues“ noch Zeit und Raum zum Improvisieren gibt, denn hier passiert ein Bruch. Angesichts der Dinge, die in der Finanzwelt und der Politik in den USA vor sich gehen, ist es für McKay nicht mehr genug, zu unser aller Vergnügen Geschichten von ewig unreifen, kindischen, polternden Männern auf die Leinwand zu bringen.

Von „Anchorman“ über „Step Brothers“ zu „Talladega Nights“ hat er das manchild in all seinen Facetten auf der Leinwand verewigt. Für McKay stehen diese Figuren - vom eitlen Ron Burgundy zum sich immer schlecht behandelt fühlenden Brendan Huff - mit ihrem Egoismus und Narzissmus stellvertretend für die Bush-Ära. Der widmet sich McKay 2018 in „Vice“, einem Biopic über den ehemaligen US-Vizepräsidenten Dick Cheney, den gar nicht mal so geheimen Strippenzieher hinter dem War on Terror, geheimen CIA-Gefängnissen und illegalen Abhöraktionen.

Vor „Vice“ thematisiert McKay in „The Big Short“ die Finanzkrise bzw. wie sie passieren konnte und wer davon profitiert hat. „The Big Short“ ist im Grunde ein Wunder, weil ein an sich trockenes Thema hier mit einem Sog, einer Komik und auf Augenhöhe erzählt wird. Und auch hier, wo sich fast jeder Dialog um Aktienpakete, Rating-Agenturen, Ninja-Kredite und Credit Default Swaps dreht, macht McKay seinem unglaublichen Cast, von Christian Bale über Ryan Gosling zu Jeremy Strong und Brad Pitt, Platz für Improvisation.

„Don’t Look Up“ ist seit 17. Dezember 2021 in einigen Kinos in Österreich zu sehen und seit 24. Dezember auf Netflix. Der FM4 Filmpodcast widmet sich am 3. Jänner „Don’t Look Up“ und der politischen Satire von Adam McKay.

McKay kombiniert hier das hibbelige Jazzbeserl-Tempo von den Heist-Filmen von Steven Soderbergh mit dem Tanz am Rande des Wahnsinns, den Armando Iannucci gern an den Tag legt, wenn er sich Politik widmet. Vom Komödienregisseur ist McKay mit „Vice“ und „The Big Short“ zum satirischen Chronisten jüngerer US-Geschichte geworden, und während beide Filme wahre Geschichte erzählten, erzählt er mit „Don’t Look Up“ auch vom Jetzt. Doch statt nur auf Satire zu setzen, greift er bei seinem verzweifelten Rundumschlag zum Zustand der (westlichen) Welt zu einer Metapher. Lange hat McKay überlegt, wie er in einem Film vom Umgang der Medien mit der Klimakrise erzählen könne, 2019 fällt in einem Gespräch mit Journalist David Sirota (und früherem Berater und Redenschreiber für Bernie Sanders) der Vergleich mit einem herannahenden Kometen.

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„Is the comet big enough to destroy my ex-wife’s house in Florida?“, ist die erste Frage des gut gelaunten Talk Show Hosts (Tyler Perry) an die beiden Astronomen - hätte auch die erste Frage von Ron Burgundy sein können. Kate Dibiaski verliert Geduld und Contenance: „Maybe the destruction of the entire planet isn’t supposed to be fun. Maybe it’s supposed to be terrifying and unsettling and you should stay up all night, every night, crying.“ Dieser Clip wird eine virale Sensation - ernsthafte Auseinandersetzung mit der Zerstörung der Erde, die bevorsteht, will niemand lesen. McKays Film ist aber kein moralisches Lehrstück über die Verwerflichkeit von Social Media, sondern ein hinreißend-wahnsinniger Schnappschuss des Jetzt.

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Eine satirische Stereowatschn an Medien, Politik, Social Media, Celebrity Culture und exzentrische Millionäre. Was McKay beim Drehbuchschreiben nicht ahnen konnte, war, dass sein Film auch die Pandemie in gewissen Aspekten perfekt abbilden würde. Ein Teil der US-Bevölkerung beschließt einfach, nicht hinzusehen und die Realität zu verweigern. Der Zeitgeist als Schreckgespenst. Rechtzeitig zum Jahresende liefert Adam McKay mit „Don’t Look Up“ die Komödie des Jahres ab.

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108. FM4 Film Podcast: Don’t Look Up & Adam McKay

Mit seinem neuen Film spaltet der Regisseur von satirischen Meisterstücken wie „The Big Short" oder „Vice" die Meinungen. Pia Reiser, Christian Fuchs und Jan Hestmann lieben aber nicht nur das bitterböse und sehr lustige Weltuntergangs-Epos „Don’t Look Up". In einer Spezialausgabe verbeugen sie sich vor der gesamten Karriere von Adam McKay, bis zurück zu dessen Durchbruch mit „Anchorman".

Der FM4 Filmpodcast widmet sich am 3. Jänner „Don’t Look Up“ und der politischen Satire von Adam McKay.

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