FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

G Herbo hält eine  Amerikaflagge mit Einschusslöchern und den Porträts vieler Schwarzer Personen hoch

Epic

FM4 Pop Diagnose: Posttraumatische Belastungsstörung

Musik und mentale Gesundheit. Diesmal sprechen wir mit Paul Plener, dem Leiter der Kinder- und Jugendpsychiatrie am Wiener AKH über die posttraumatische Belastungsstörung anhand von G Herbos gleichnamigem Song „PTSD“

Von Susi Ondrušová

Es gibt Ereignisse, die so schwerwiegend unser Leben beeinflussen, dass sie uns aus der Bahn werfen und unser Leben auf den Kopf stellen. Wenn ich das Wort Trauma höre, dann denke ich zuerst an Terroranschläge, Krieg und Fluchterfahrung. Oder an die Astroworld-Konzerttragödie, bei der Fans zu Tode getrampelt wurden. Es sind vielleicht solche Zusammenhänge, die einem durch die Nachrichtenlage über PTSD nachdenken lassen, aber eine posttraumatische Belastungsstörung tritt häufig auch in Zusammenhang mit zwischenmenschlichen Traumata auf, bei sexuellem Missbrauch oder häuslicher Gewalt.

Hilfe bei psychischen Problemen

Du kannst dich auch rund um die Uhr unter der Nummer 147 an Rat Auf Draht wenden. Es gibt auch Beratungen per Chat und Online.

Eine Übersicht über weitere Anlaufstellen findest du im Bereich Schnelle Hilfe auf der Website der Psychosozialen Zentren.

Beim Chicago Musiker G Herbo würde man vielleicht kein Trauma vermuten, wenn er sein letztes Album nicht nach seiner Diagnose benannt hätte. Im Titelsong „PTSD“ widmet er sich seiner persönlichen Geschichte und liefert einen „Vorzeige-Song“ über die Symptomatik der posttraumatischen Belastungsstörung. „Da ist eigentlich alles drin!“, meint Paul Plener. „Eines der Kern-Symptome ist das Wiedererleben in der einen oder anderen Form. Es spielen sich Filme und Bilder ab. Oft habe ich gar keine Kontrolle darüber und das macht es auch so wahnsinnig beeinträchtigend. Daneben gibt es noch zwei andere Kern-Symptome. Das eine ist das Vermeidungsverhalten. Das heißt, ich will mich nicht in Situationen begeben, die mich daran erinnern, oder die so ähnlich sind. Und das dritte wäre eine körperliche Überregung, ein ‚Hyperarousal‘. Das heißt, ich bin immer am Sprung, was auch oft in Schlafstörungen resultiert. Das hört man auch in dem Song. Er kommt da gar nicht zur Ruhe.“

Im Song singt G Herbo zum Beispiel „Runnin’ so fast dodgin’ raindrops“ oder, dass er keine Energie hat, keinen Appetit, nicht zum Schlafen kommt, nur rot sieht und eben rastlos ist. Man soll ihm ja nicht zu nahe kommen. Paul Plener: „Wenn ich ständig in Alarmbereitschaft bin und das Gefühl habe, ich muss mich auch in Situationen verteidigen, wo das vielleicht gar nicht angebracht ist, ist das etwas, das zwischenmenschliche Beziehungen schwierig macht.“

G Herbo hat als Neunjähriger den Tod eines Freundes mitansehen müssen, mit 16 Jahren ist er angeschossen worden, er hat Gewalt und Drogenmissbrauch aus erster Reihe erlebt und war selber tablettenabhängig. Im Song erzählt er zum Beispiel: „When my homie was bleeding out, another homie went in his pockets.“

In Interviews meinte er “We feel like we’re strong enough to take on the pain, anger, frustration, and everything we’re up against on the day-to-day. We think it’s normal to just hold it in.” Er trug immer eine Waffe bei sich. Sein Anwalt hat ihm schließlich geraten, in Therapie zu gehen. Anfang 20 ist bei ihm PTSD diagnostiziert worden und so hat sein Leben eine positive Wende genommen. 2020 hat er sein Album „PTSD“ veröffentlicht und auch eine Mental Health-Initiative ins Leben gerufen: „Swerving Through Stress“ bietet gratis Therapieplätze für Jugendliche in Chicago, damit afroamerikanische Jugendliche nicht in den gleichen Teufelskreis geraten wie er.

Nicht jedes Trauma bedeutet gleich Krankheit, meint Paul Plener. So simpel es auch klingt: Menschen sind verschieden und reagieren je nach Auslöser und Situation unterschiedlich auf ein Trauma. Das Schlüsselwort hier ist Resilienz. Paul Plener darüber, welche Faktoren hier eine Rolle spielen: „Wir wissen, dass ein intaktes soziales Netzwerk, ein guter Resilienzfaktor ist. Oder wenn ich schon traumatische oder belastende Situation in der Vergangenheit gut gemeistert habe und so auf diese Erfahrungen zurückgreifen kann. Auch gute kognitive Fähigkeiten spielen eine Rolle. Es kommt aber immer sehr stark darauf an, welche Art von traumatischen Erlebnissen ich habe.“

Wie behandelt man also posttraumatische Belastungsstörungen? Im Song wird zum Beispiel auch Xanax erwähnt, ein Beruhigungsmittel, das schnell wirkt, aber auch abhängig machen kann. Gibt es Medikamente für Traumatherapie? Paul Plener verneint es für den Jugendbereich, für Erwachsene werden „manchmal Antidepressiva verwendet“.

Paul Plener

Radio FM4

FM4 Pop Diagnose onair:
Susi Ondrušová und Paul Plener im Gespräch über Songs und psychische Erkrankungen im FM4 Player.

Über das Ziel einer Traumatherapie erzählt Paul Plener: „Die Integration des dramatischen Geschehens in meine Lebensgeschichte, ohne dass es Kontrolle über mich hat!“ Es geht darum, sich mit dem Ereignis aus der Vergangenheit im Hier und Jetzt auseinanderzusetzen: „Und zu lernen, dass das Dinge sind, die mir passiert sind, aber sie haben jetzt keinen Effekt mehr auf mein Leben. Ich kann mich darüber unterhalten, ohne dass etwas passiert. Also in einer posttraumatischen Belastungsstörung - ich habe schon über diese hohe Anspannung in Alarmbereitschaft geredet -, ist ja etwas verborgen, wo der Körper mir ein Signal von Gefahr gibt. Es geht in einer Behandlung darum, das ein Stück weit anders zu lernen oder neu zu lernen. Sprich: Ich kann drüber reden. Im besten Fall ist es sogar etwas, was mich gestärkt hat, weil ich es eben überlebt habe und weil ich daran gewachsen bin. Also prinzipiell geht es darum, dass ich dieses Ereignis nicht mehr als etwas Bedrohliches, das über mich Kontrolle hat, erlebe.“

Ähnlich wie beim Immunsystem, wenn der Körper Abwehrkräfte gegen Krankheiten entwickelt, ist es auch bei mentalen Krankheiten: „Was sind denn resiliente Menschen? Was zeichnet die aus, was haben die auch für gemeinsame Faktoren? Es ist das Heranwachsen gegenüber meisterbaren und überwindbaren Widerständen. Meistens auch, weil man da gute Bezugspersonen hat, die einem beistehen. Und das finde ich irgendwie ganz analog zu dem, wie unser Immunsystem abläuft, wo wir wissen, dass es auch nicht gut ist, wenn wir keine Herausforderungen haben, bei Allergieentwicklung und Ähnlichem. Aber es müssen meisterbare Herausforderungen sein, die unser Immunsystem eben nicht überfordern und dann kommen wir auch in eine ganz gute Lage, uns gegen Krankheiten zu wehren!"

FM4 Pop Diagnose onair

Susi Ondrušová und Paul Plener im Gespräch über Songs und psychische Erkrankungen hier im FM4 Player.

Aktuell: